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Es zuckte unsicher in seinem Gesicht. »Gut, Klaudine, ich werde für jetzt mich bescheiden«, fuhr er fort, »nur die eine Bitte noch, sagen Sie mir, lieben Sie einen anderen?«

Sie schwieg. Eine Purpurglut floß über ihr Antlitz. Stumm senkte sie das blonde Haupt.

»Sagen Sie ›nein‹!« flüsterte der Herzog leidenschaftlich.

»Hoheit wünscht, Fräulein von Gerold möge mit den Aventiureliedern von Scheffel in das Schlafzimmer kommen, um Hoheit vorzulesen«, sagte Frau von Katzenstein eintretend.

Klaudine war erschreckt zusammengefahren und sah ihn an, wie um Erbarmen flehend.

»Ja – oder nein, Klaudine, ist Ihr Herz schon gebunden?« flüsterte er.

Sie trat zurück und verbeugte sich tief. »Ja!« sagte sie fest und schritt hochaufgerichtet an ihm vorüber, in der Hand das Buch, das sie mechanisch vom Tisch genommen hatte. Vorlesen jetzt? Sie war halb betäubt.

Die Herzogin lag in ihrem mächtigen französischen Himmelbette, dessen schwere seidenen Purpurvorhänge zurückgenommen waren. Das ganze Gemach zeigte das tiefe satte Rot, die Lieblingsfarbe seiner Bewohnerin. Unter der Decke hing eine Ampel aus Rubinglas. Neben dem Bette stand ein niedriges, mit roter Seide bezogenes Tischchen, darauf eine Lampe mit ebenfalls rotem Lichtschirme; in einem zusammenlegbaren Juchtenrahmen die Photographie des Herzogs und der Prinzen. An der gegenüberliegenden Wand hing in schweren Goldrahmen eine wundervolle Kopie der Madonna della Sedia, der erste Blick der Erwachenden mußte dieses schöne Bild treffen.

Die fürstliche Frau schien sich ganz erholt zu haben, sie lag mit einer gewissen Behaglichkeit unter ihrer Purpurdecke und lächelte der Eintretenden entgegen. »Setzen Sie sich auf den Hocker hier und lesen Sie mir die Thüringer Lieder, liebe Klaudine. War der Herzog noch bei Ihnen?« fragte sie dann, »ist er sehr geängstigt über den Hustenanfall? Es tut mir so leid, wenn ich in seiner Gegenwart husten muß. War er sehr traurig?«

Die Kranke sah forschend in die bewegten Züge des schönen Mädchens, welches nicht wußte, was sie antworten sollte. Sie nahm Platz und bückte sich nach ihrem Taschentuch zur Erde, um Zeit zu gewinnen. Wie furchtbar war doch ihre Lage!

»Klaudine«, sagte die Herzogin, »ich glaube, ihr haltet mich alle für sehr krank, für kränker, als ich bin. Lesen Sie nur, ich will keine Antwort. Dort, wo das Zeichen liegt.«

Und Klaudine las mit bebender Stimme:

»Denn das ist deutschen Waldes Kraft, Daß er kein Siechtum leidet Und alles, was gebrestenhaft, Aus Leib und Seele scheidet – «

»Hören Sie?« unterbrach die Herzogin, »hören Sie? Auch ich werde hier genesen! Und morgen wird die Sonne scheinen, und wir wandern hinaus in die Tannen und atmen Gesundheit, Oh meine geliebte Heimat!«

Als Klaudine abends die Treppe hinabstieg, um heimzufahren, trat ihr Herr von Palmer entgegen und begleitete sie vollends hinunter. Er gab hinter Klaudines Rücken der Kammerfrau einen Wink, die sogleich verschwand.

»Mein gnädiges Fräulein«, begann er mit einer geflissentlich zur Schau getragenen Ehrfurcht – »Seine Hoheit hat mich mit dem schmeichelhaften Auftrage betraut, ein Schreiben in Ihre Hände zu legen, was ich hiermit tun möchte.«

Er hielt ihr ein Briefchen hin, mit dem herzoglichen Wappen gesiegelt. »Es betrifft Ihre Hoheit, die Frau Herzogin, und Antwort sei nicht nötig, sagten Hoheit. Darf ich bitten?«

Sie mußte es nehmen, obgleich sie die Hand des Menschen am liebsten zurückgestoßen hätte. Wie konnte der Herzog so unvorsichtig sein, ihr durch diese Kreatur einen Brief, einen verschlossenen Brief zu senden! Sie riß den Umschlag in seiner Gegenwart auf und las. Es waren nur wenige Zeilen:

»Klaudine!

Sie sind ein ungewöhnlicher Charakter und werden dementsprechend auch das Ungewöhnliche richtig beurteilen. Nach Ihrem letzten Wort – habe ich nur noch eine Bitte: bleiben Sie der Herzogin auch trotzdem eine Freundin, geben Sie meinem Bekenntnis nicht die Folge, Altenstein zu meiden! Sie haben es nicht nötig, Klaudine! Bei meinem Wort, Sie dürfen mir vertrauen!

Adalbert.«

Sie ging rasch, Brief und Umschlag in der herabhängenden Rechten tragend, weiter. Herr von Palmer folgte ihr und half ihr dienstbeflissen in den Wagen, er ließ es sich sogar nicht nehmen, behutsam die Schleppe ihres Kleides zusammenzulegen, und trat erst mit tiefer Verbeugung zurück, als der Diener die Wagentür schloß.

»Auf Wiedersehen!« sagte er, als jetzt der Diener zum Kutscher auf den Bock sprang und die Pferde anzogen. Dann nahm er mit lächelnder Miene aus seinem rechten Ärmel ein Papier. »Man muß derartiges fester halten, schöne Klaudine«, murmelte er und überflog die Zeilen beim Scheine der Türlaterne.

Er nickte befriedigt und ging, eine Operettenmelodie vor sich hinsingend, in das Schloß zurück, um sein Zimmer im Erdgeschoß aufzusuchen. Dort zündete er sich eine Havanna an, warf sich auf die Ruhebank und überlas das Schreiben noch einmal.

»Seine Hoheit scheinen einen etwas stürmischen Anlauf genommen zu haben«, murmelte er, »und sie hat ihn in tugendhafter Entrüstung abgewiesen, gedroht, nicht wieder zu kommen. Und nun bittet er, der Herzogin wegen, diesen grausamen Vorsatz aufzugeben, und verspricht Besserung. Zeit gewonnen, alles gewonnen! denkt er. Es entwickelt sich sehr logisch, es ist gar nichts dagegen zu sagen – hm! Sie ist klug, sie wird sich nie begnügen, Seiner Hoheit die Stirn mit Rosen zu bekränzen, sie wird regieren helfen wollen. Diese Damen glauben ja alle, ihre schiefe Stellung durch sogenannte gute Taten zu sühnen, sie wollen den Unglücklichen, den sie in ihrer Macht haben, veredeln, wollen dem Volk zeigen, daß sein geliebter Herrscher keiner Unwürdigen in die Hände fiel, es soll anbetend vor ihnen auf den Knieen liegen und sie >des Landes guten Engel< nennen. Und auch die Klügsten sehen nur das, was ihnen zunächst vor Augen steht, und dieses Nächste könnte möglicherweise im vorliegenden Falle – ich sein!«

Er blies den Rauch seiner Zigarre zur Decke empor und betrachtete die Stuckgewinde dort oben.

»Sie kann mich nicht leiden«, sprach er weiter, »es geht ihr mit mir, wie es weiland dem unschuldigen Gretchen mit Mephisto erging, und es ist klar, daß sie eines Tages zu ihrem fürstlichen Faust sagen wird: ›Der Mensch, den du da bei dir hast, ist mir in tiefer innerer Seele verhaßt‹ – und so weiter. Das möchten wir am Ende doch verhindern! Ich will es nicht darauf ankommen lassen, ob der Herzog ihr glaubt oder nicht. Einstweilen freilich aufpassen! Die Berg wird helfen, sie hat eine hervorragende Begabung für Intrigen, mir selbst graut zuweilen vor diesem Weibe.«

»Das Abendessen ist bereit«, meldete der Diener. Herr von Palmer erhob sich ohne allzu große Eile, schloß sorgsam das Briefchen in einen riesigen alten Schreibtisch, dessen Täfelung das Geroldsche Wappen zeigte, ordnete vor einem großen Stehspiegel sein spärliches Haar, wusch sich mit einer wahren Flut von Kölnischem Wasser die mageren feinen Hände, gähnte herzhaft, nahm Hut und Handschuhe von dem ehrerbietig harrenden Diener, und nachdem er noch einen Blick auf die Uhr geworfen, welche die zehnte Stunde anzeigte, ging er nach dem kleinen Speisezimmer, wo die Herren, die der Herzog für seinen hiesigen Aufenthalt gewählt, bereits versammelt waren, der alte Kammerherr von Schlotbach, der Adjutant von Rinkleben, der den Rang eines Rittmeisters besaß, und der Jagdjunker von Meerfeld, ein Kerl wie ein junger Hund – wie Herr von Palmer ihn bezeichnete. Der letztere schien sich im allgemeinen der Freundschaft dieser drei Herren auch nicht besonders zu erfreuen. »Verzeihung«, sagte er zu den in einer Gruppe Versammelten, »ich ließ warten, war im Allerhöchsten Dienste beschäftigt, und ein reizender Dienst, meine Verehrtesten! Ich hatte auf Befehl Seiner Hoheit die schöne Klaudine von Gerold in den Wagen zu heben.«