»Donnerwetter, sie war schon wieder hier?« rief der Jagdjunker mit ungeheucheltem Erstaunen.
»Soeben verließ sie die herzoglichen Gemächer.«
»Sie wollen sagen: ›die Gemächer Ihrer Hoheit‹, mein Herr von Palmer«, berichtigte nicht ohne Schärfe der Rittmeister, und eine leise Röte stieg in sein Gesicht.
»Ich hatte das Glück, den schönsten Gast dieses Hauses auf dem oberen Korridor zu treffen«, erwiderte Palmer vielsagend lächelnd.
»Ah so! ›Man wußte nicht, woher sie kam, und schnell war ihre Spur verloren, sobald sie wieder Abschied nahm‹«, deklamierte der Jagdjunker lachend.
Der Rittmeister warf ihm einen unwilligen Blick zu. »Fräulein von Gerold war bei der Herzogin, hat in ihrem Salon gesungen und ist dann im Schlafzimmer ihrer Hoheit gewesen«, sagte er laut und bestimmt.
»Vorzüglich unterrichtet!« flüsterte Palmer und verbeugte sich tief. Der Herzog war soeben eingetreten. –
»Ich verstehe Klaudine von Gerold nicht«, sagte der Rittmeister ernst, als er nach dem Abendessen neben dem Jagdjunker den Gang entlang schritt, an dessen Ende sich ihre Zimmer befanden. »Es ist Mut am unrechten Platz, sie sollte die Höhle des Löwen meiden. Unglaublich, mit welcher Tollkühnheit ein Weib im Gefühl seiner Sicherheit und Tugend seinen guten Ruf aufs Spiel setzt.«
»Vielleicht macht es ihr Spaß, auf dem gefährlichen Seil zu tanzen«, erwiderte der Jagdjunker leichthin, »strauchelt sie, dann sind ja die Arme längst geöffnet, die sie auffangen, strauchelt sie nicht – um so besser. Ich denke aber, es kann ganz amüsant werden, es ist ohnehin verteufelt langweilig in diesem deutschen Aranjuez.«
»Von einer anderen würde ich vielleicht auch so denken, lieber Meerfeld, aber in anbetracht dieser Dame möchte ich doch bitten, Ihre Kritik etwas mäßigen zu wollen.«
»Na, nur nicht tragisch, Rittmeisterchen«, lachte der andere. »Lassen Sie sich den Schlaf nicht vergehen darüber, vorläufig sehen Seine Hoheit noch nicht aus wie ein Beglückter, Sie waren mehr denn schlechter Laune. Die Langeweile! Die Langeweile! Dieses Altenstein ist aber auch eine tolle Idee. Wenn man hier dumme Streiche macht, so beantrage ich mildernde Umstände.«
12.
Klaudine langte vor dem Eulenhause an, sie hatte noch immer ein zerknittertes Papier in der Hand. Der alte Heinemann, der schon lange neben seinem Laternchen vor der Gartentür auf sie gewartet hatte, erhielt kaum mehr als einen flüchtigen Gruß von seiner jungen Herrin. Sie flog förmlich vor ihm her in das Haus, und als er nachkam und die Tür verriegelte, hörte er nur noch das Rascheln ihres seidenen Kleides auf dem oberen Flur. Dann ging eine Tür und es ward still.
Auch in dem kleinen Mädchenstübchen blieb es still und dunkel, als sei niemand drinnen, und doch saß am Fenster eine Gestalt und starrte regungslos in das Waldesdunkel, das schwärzer noch als die lichtlose Nacht das einsame Haus umgab. »Was ist geschehen?« fragte Klaudine sich. »Der Herzog hat mir seine Liebe gestanden und ich wies ihn zurück, auf immer zurück. Aber um welchen Preis?« Um das Bekenntnis ihres tiefsten Geheimnisses, das sie sich selbst noch nicht zu gestehen wagte, ihr Stolz empörte sich gegen diese Tatsache, jetzt wußte es derjenige, der ihr heute mit einem beleidigenden Geständnis genaht! Ob der Herzog ahnte, wen sie liebte? Es wäre unerträglich!
Sie ballte unwillkürlich das Papier in ihrer Hand zusammen, und Tränen heißer Scham traten ihr in die Augen. Rasch erhob sie sich, zündete Licht an, faltete das Papier wieder auseinander und bemühte sich, es zu glätten. Dann stützte sie sich schwer auf den Tisch und starrte auf den zerknitterten weißen Umschlag, es war eben nur der Umschlag, – das Briefblatt fehlte! Unruhig begann sie in der nächsten Minute zu suchen auf dem Tisch, auf dem Boden an dem Fleck, wo sie gesessen, sie schüttelte den Mantel aus und die Falten ihres Kleides, sie nahm endlich den Wachsstock und leuchtete das Treppchen hinunter – auch dort nichts! Wie ein Dieb schlich sie zur Haustür, schob den Riegel zurück und leuchtete hinaus auf die Schwelle und den Sandsteintritt – auch hier nichts zu sehen. In ihrer Besorgnis ging sie, das flackernde Flämmchen mit der hohlen Hand schützend, den Gartenweg entlang bis zur Pforte, möglicherweise war ihr das Papier beim Aussteigen entfallen. Die Gittertür, die auf die Landstraße führte, knarrte, als sie von ihr geöffnet wurde, der Lichtschein flammte geisterhaft über den Weg – nichts helles glänzte ihr entgegen. Mit angstvollen Augen spähte sie unter die Weißdornsträucher zur Seite der Pforte – nichts! Und plötzlich flackerte das Licht auf und erlosch dann und sie befand sich im Dunkeln, und so tief erschien den an das Licht gewöhnten Augen die Finsternis, daß sie einen Augenblick ratlos stand und nicht zu unterscheiden vermochte, wohin sie sich wenden müsse, um wieder in den Garten zu gelangen.
Ah, richtig! Dort über ihrem Fenster leuchtete Joachims Studierlampe friedlich in die Nacht hinaus und sandte einen schmalen Streifen Helligkeit auf das Gärtchen und die Straße. Wenn er ahnen könnte, wie sie hier draußen stand, Angst und Zorn im Herzen! Sie beneidete ihn förmlich und den Frieden seiner engen Stube, in die kein Sturm von außen drang. Sein Schifflein lag im Hafen, und ihres trieb auf dem wilden Meer, und wo es einst einen Hafen finden würde, das mochte Gott allein wissen!
Plötzlich schrak sie zusammen und huschte in die geöffnete Pforte. Auf der Landstraße scholl Hufschlag, nahe schon und immer näher. Ein rascher Trab war es, und jetzt kam der Reiter dicht an ihr vorüber, und just in dem Lichtschein blieb er halten und sah zu dem Fenster des Turmes hinauf. Sie faßte auf einmal, wie nach einer Stütze suchend, in die Latten der Pforte und starrte hinüber – Lothar! Was wollte er hier? Ein fast betäubendes Glücksgefühl überkam sie. Sah sie recht? War er es wirklich? Was wollte er? Kam er wahrhaftig, um nach ihrem Fenster zu spähen? Barmherziger Gott, ein Zeichen, daß sie nicht träume!
Da wandte er das Pferd, und langsam ritt er zurück; die Dunkelheit verschlang aufs neue seine Gestalt, nur der Hufschlag klang noch lange in den Ohren des zitternden Mädchens nach, bis sie sich endlich in das Haus zurückschlich.
Sie dachte nicht mehr an den verlorenen Brief, sie konnte überhaupt nicht mehr denken, ihre Augen brannten, und ihre Lippen waren trocken, es bohrte ihr schmerzend in den Schläfen. »Ruhe! Ruhe!« flüsterte sie und barg die heiße Stirn in die Kissen. – »Ruhe! Schlaf!«
13.
Auf Neuhaus herrschte am anderen Tage ein ganz ungewöhnliches Leben. Zu ebener Erde, neben dem Wohnzimmer, links von dem großen Flur, stand in dem hohen geräumigen Speisesaal eine Tafel, die wesentlich abstach von derjenigen, an welcher gewöhnlich hier gegessen wurde. Während sie sonst mit einem blendend weißen, aber doch ziemlich derben Drelltischtuch nebst Servietten von gleicher Qualität gedeckt war, breitete sich heute schimmernder Damast darüber aus und das einfache Geschirr von gewöhnlichem Steingut mit blauen Rändchen war durch köstliches altes Meißner Porzellan verdrängt, das schon seit langer Zeit den Stolz des Neuhäuser Geschirrschrankes ausmachte, reizend geformte Tafelaufsätze, deren Platten Früchte und Backwerk trugen, hatten die Blechkörbchen ersetzt, in denen Beate für gewöhnlich den Nachtisch herumreichen ließ, mochte derselbe in Frühbirnen oder Winteräpfeln oder in kleinem Gebäck bestehen, und die sehr handfesten Solinger Messer und Gabeln mit Griffen von Hirschhorn waren den Silberbestecken gewichen, die Wappen, Namenszug der Gerolds und eine Jahreszahl trugen, welche das hohe Alter verriet, wenn es ihre schöne Form nicht bereits getan hätte.