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Dagegen ließ sich schwer etwas einwenden.

»Sämtliche Vorstellungen, die Menschen über Vampire haben, sind falsch, Rama, merk dir das. Wir sind ganz und gar nicht die heimtückischen Monster, als die man uns hinstellt ...«

Ich schaute auf das Fledermausbild. Das flauschige Schnäuzchen sah wirklich nicht bedrohlich aus - eher klug, zappelig und ein bisschen verschreckt.

»Was sind wir dann?«, fragte ich.

»Weißt du, was eine Nahrungskette ist?«

»So was wie McDonald’s?«

»Nicht ganz. Einer Nahrungskette gehören Pflanzen und Tiere an, die durch das Prinzip »Fressen und gefressen werden« miteinander verbunden sind. Kaninchen und Schlange zum Beispiel, oder Grashüpfer und Kröte ...«

Bei diesen Worten zwinkerte er mir lächelnd zu.

»... oder Frosch und Franzose. Na ja, oder Franzose und Leichenwurm. Die Menschen sehen sich diesbezüglich als Gipfel einer Pyramide: Sie können essen, wen sie wollen, wann? sie wollen, wie sie wollen und wie viel sie wollen. Darauf gründet das menschliche Selbstwertgefühl. Doch in Wahrheit hat diese Pyramide noch eine höher gelegene Etage, von der die meisten Menschen keine Vorstellung haben. Und das sind wir, die Vampire. Wir sind die Krone auf Erden. Das vorletzte Glied.«

»Und das letzte wäre?«

» Gott.«

Darauf erwiderte ich nichts, drückte mich nur etwas tiefer in meinen Sessel.

»Und die Vampire sind nicht nur der Schlussstein der Nahrungsketten, sie sind auch ihr humanstes Glied. Ihr hypermoralischstes.«

»Na, ich weiß nicht«, sagte ich. »Bei anderen zu schmarotzen scheint mir nicht in Ordnung.«

»Und ein Tier zu töten, um sein Fleisch zu essen - das findest du besser?«

Wieder wusste ich nicht, was ich darauf sagen sollte.

»Was ist humaner«, fuhr Enlil Maratowitsch fort, »Kühe zu melken, um ihre Milch zu trinken, oder sie zu schlachten und zu Koteletts zu verarbeiten?«

»Melken ist humaner.«

»Eindeutig! Selbst Graf Leo Tolstoi, von dem die Vampire sich viel sagen ließen, hätte sich damit einverstanden erklärt. Und die Vampire richten sich danach, Rama. Wir töten niemanden. Jedenfalls nicht zu kulinarischen Zwecken. Die Aktivitäten von Vampiren ähneln eher der Milchwirtschaft.«

Auch bei ihm hatte ich - wie bei Mitra - den Eindruck, dass er die Dinge etwas zuspitzte.

»Das lässt sich doch nicht vergleichen«, hielt ich dagegen. »Kühe werden von den Menschen extra gehalten. Sie sind eine künstliche Züchtung, wie sie in der wilden Natur gar nicht vorkommt. Vampire betreiben hingegen keine Menschenzucht, oder?«

»Woher willst du das wissen?«

»Wollen Sie mir erzählen, die Vampire hätten sich den Menschen herangezüchtet?«

»Jawohl«, erwiderte Enlil Maratowitsch. »Genau das will ich sagen.«

Ich dachte zunächst, das sollte ein Witz sein. Doch sein Gesicht blieb vollkommen ernst.

»Wie haben die Vampire das denn angestellt?«

»Das verstehst du sowieso nicht, bevor du nicht die Grundlagen von Glamour und Diskurs studiert hast.«

»Die Grundlagen von was?«

»Glamour und Diskurs«, wiederholte er. »Das sind die zwei wichtigsten Lehren der Vampirologie. Siehst du - nicht einmal die kennst du. Und maßt dir an, über diese schwierige Materie zu urteilen. Im Zuge deiner ordentlichen Ausbildung werde ich dir von der Schöpfungsgeschichte erzählen und wie Vampire die menschlichen Ressourcen zu nutzen verstehen. Jetzt vergeuden wir damit nur Zeit.«

»Und wann werde ich Glamour und Diskurs studieren?«

»Ab morgen. Zwei unserer besten Experten werden Vorlesungen halten, Baldur und Jehova. Sie kommen zeitig, geh also am besten etwas früher schlafen. Noch Fragen?«

Ich dachte nach.

»Sie sagen, Vampire hätten die Menschen überhaupt erst gezüchtet. Wie kommen die Menschen dann darauf, sie als heimtückische Monster anzusehen?«

»Das soll über die Lage der Dinge hinwegtäuschen. Und lustiger ist es so herum auch.«

»Aber die Menschenaffen existieren auf der Erde schon viele Millionen Jahre. Der Mensch auch schon ein paar hunderttausend. Wie könnten die Vampire ihn gezüchtet haben?«

»Vampire leben auf der Erde seit undenklichen Zeiten. Vor den Menschen mussten sie sich anders ernähren. Aber ich sage es noch einmal, hierüber zu diskutieren wäre verfrüht. Hast du noch irgendwelche Fragen?«

»Hab ich. Könnte natürlich sein, dass Sie auch die verfrüht finden.«

»Das käme auf den Versuch an.«

»Wie macht es ein Vampir, dass er die Gedanken eines anderen Menschen lesen kann? Beim Blutsaugen, meine ich?«

Enlil Maratowitsch rümpfte die Nase.

»Beim Blutsaugen!«, wiederholte er verächtlich. »Puh! So reden wir nicht darüber, Rama, merk dir das. Nicht nur, weil es vulgär klingt. Du könntest anderen Vampiren damit zu nahetreten. In meiner Gegenwart - von mir aus. Ich führe selbst zuweilen gern einmal lose Reden. Doch es gibt andere«, er wies mit dem Kopf in unbestimmte Richtung, »die würden dir das nicht verzeihen.«

»Und wie sagen die Vampire?«

»Vampire sagen: während einer Verkostung.«

»Na gut. Wie kann ein Vampir während einer Verkostung die Gedanken eines Menschen lesen?«

»Dich interessiert die technische Seite?«

»Die technische Seite kenne ich schon. Mich interessiert die wissenschaftliche Erklärung.«

Enlil Maratowitsch seufzte schwer.

»Weißt du, Rama, jede Erklärung geht von den jeweils herrschenden Vorstellungen aus. Handelt es sich um eine wissenschaftliche Erklärung, dann eben von den Vorstellungen, die in der Wissenschaft herrschen. Im Mittelalter war man zum Beispiel der Ansicht, die Pest würde über die Poren der Haut übertragen. Darum hat man den Leuten vorsichtshalber den Badehausbesuch verboten, weil die Poren sich dort weiten. Heute meint die Wissenschaft, die Pest würde von Flöhen übertragen, weshalb sie den Leuten vorbeugend empfiehlt, möglichst oft in die Sauna zu gehen.

Vorstellungen wandeln sich, Verdikte dementsprechend. Verstehst du?«

Ich nickte.

»Siehst du, und die moderne Wissenschaft hat einfach nicht die Vorstellungen parat, auf deren Grundlage sich eine wissenschaftliche Antwort auf deine Frage geben ließe. Ich könnte es an einem Beispiel aus einem anderen Bereich zu erklären versuchen, von dem du mehr verstehst. Du kennst dich mit Computern aus, nicht wahr?«

»Ein wenig«, sagte ich bescheiden.

»Und ob du dich auskennst - das hab ich doch gesehen. Erinnere dich einmal daran, warum die Firma Microsoft so scharf darauf war, den Netscape-Browser vom Markt zu verdrängen!«

Es war mir nicht unangenehm, mit meinen Kenntnissen zu glänzen.

»Damals wusste noch keiner, wie die Entwicklung des Computers weitergehen würde«, sagte ich. »Es gab zwei Konzepte. Dem einen zufolge sollten alle persönlichen Daten des Users auf seiner Festplatte gespeichert sein. Das andere sah vor, den Computer zu einem simplen Netzanschlussgerät zu machen und alle Information im Netz zu hinterlegen. Der User würde sich einkoppeln, ein Passwort eingeben und bekäme Zugang zu seinem Schließfach. Hätte dieses Konzept sich durchgesetzt, dann wäre heute nicht Microsoft alleiniger Marktführer, sondern Netscape.«

»Genau so ist es!«, sagte Enlil Maratowitsch. »Selbst hätte ich es keinesfalls so klar zu formulieren gewusst. Und nun stell dir vor, das menschliche Hirn wäre ein Computer, über den noch niemand etwas weiß. Heute sind die Gelehrten der Meinung, er wäre so eine Art Festplatte, auf der alles Wissen der Menschheit gespeichert ist. Aber vielleicht kommt eines Tages einer drauf, dass das Hirn nur ein simples Modem ist für den Anschluss an ein Netz, welches sämtliche Daten enthält. Wäre das vorstellbar?«