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»Im Prinzip schon«, sagte ich. »Durchaus.«

»Na, und das Übrige ist einfach. Wenn der User sich einloggt, muss er sein Passwort angeben. Wenn einer das Passwort abfängt, kann er das Schließfach genauso benutzen wie sein eigenes.«

»Aha, verstehe. Sie wollen vermutlich sagen, dass als Passwort ein Code dient, der im Blut enthalten ist?«

»Ich hatte doch darum gebeten, dieses Wort nicht zu benutzen!«, raunzte Enlil Maratowitsch. »Gewöhne dir das bitte gleich ab. Schriftlich kannst du das B-Wort benutzen, so oft du magst, da ist es normal. Aber im mündlichen Gebrauch gilt es für einen Vampir als unschicklich und unzulässig.«

»Was wäre anstelle des B-Worts denn schicklicher?«

»Rote Flüssigkeit.«

»Rote Flüssigkeit?«

Der Ausdruck war tatsächlich schon ein paarmal gefallen.

»Ein Amerikanismus«, erklärte Enlil Maratowitsch. »Die angelsächsischen Vampire sagen red liquid, und wir kopieren es. Das ist eine lange Geschichte. Im neunzehnten Jahrhundert hat man Fluid dazu gesagt. Dann kam das Wort in Verruf. Als die Elektrizität in Mode kam, sagte man Elektrolyt oder einfach Elektro, bis auch das wieder einen Ruch von Vulgarität bekam, und man begann den Ausdruck Präparat zu verwenden. In den Neunzigern sagte man dann Lösung dazu. Und jetzt eben rote Flüssigkeit... Hirnrissig, das Ganze. Aber gegen den Strom zu schwimmen ist sinnlos.«

Er sah auf die Uhr.

»Noch Fragen?«

»Ja, sagen Sie, was ist das für eine Besenkammer mit Kleiderbügel?«

»Das ist keine Besenkammer«, antwortete Enlil Maratowitsch, »das ist unser Hamlet.«

»Shakespeare?«

»Nein, nicht Shakespeare. Aber aus dem Englischen. Es bedeutet: kleines Dorf ohne Kirche. Eine unheilige Zuflucht sozusagen ... Das Hamlet ist unser Ein und Alles. Es hat mit einem Aspekt unseres Alltags zu tun, der vielleicht etwas beschämend, aber sehr, sehr faszinierend ist. Mehr dazu später. Jetzt muss ich wirklich gehen.«

Er erhob sich aus dem Sessel. Ich begleitete ihn zur Tür.

Auf der Schwelle wandte er sich um, tat eine zeremoniöse Verbeugung und sagte, mir tief in die Augen schauend:

»Wir sind froh, dass du wieder bei uns bist.«

»Auf Wiedersehen«, stammelte ich irritiert.

Die Tür schloss sich hinter ihm.

Und mir ging auf, dass der letzte Satz nicht an mich gerichtet war, sondern an die Zunge.

BALDUR

Die Salbe, die Enlil Maratowitsch dagelassen hatte, wirkte unerhört schnell - am nächsten Morgen waren die Blutergüsse um meine Augen tatsächlich verschwunden, so als hätte ich sie mir wie Schminke aus dem Gesicht gewaschen. Nun sah ich, von den zwei Zahnlücken abgesehen, wieder aus wie vorher, was meine Stimmung deutlich aufhellte. Die Zähne wuchsen - sie juckten die ganze Zeit. Auch das Krächzen hatte aufgehört, die Stimme war die alte. Ich nahm die angeratene Dosis Kalzium und beschloss meine Mutter anzurufen.

Ihre erste Frage war, wo ich gerade auf der Schnauze liege. Das war ihr Lieblingsscherz, dem man entnehmen durfte, dass sie beim Kognak saß und in gnädiger Stimmung war. Auf diese Frage folgte unweigerlich eine zweite: »Aber dass du, wenn du so weitermachst, früher oder später tatsächlich auf der Strecke bleibst, weißt du?«

Ich ließ sie die Frage erst noch stellen, log ihr dann etwas vor von einem Klassentreffen und einer Datscha ohne Telefon und gab bekannt, ich hätte jetzt eine Wohnung gemietet und käme demnächst meine Sachen holen. Drogenabhängige werden nicht älter als dreißig, verkündete Mama trocken und legte auf.

Die Familienfrage war geklärt.

Dann rief Mitra an.

» Schläfst du noch ?«, fragte er.

»Nein, nein«, sagte ich, »ich bin schon auf.«

»Enlil Maratowitsch ist von dir angetan«, verkündete er. »Deine erste Prüfung hast du sozusagen schon mal bestanden.«

»Er sagte, heute kämen irgendwelche Lehrer.«

»Richtig. Gib dir Mühe und denk an nichts anderes. Ein guter Vampir wird nur, wer den Rahm abschöpft von dem, was der denkende Teil der Menschheit geleistet hat.«

Kaum hatte ich aufgelegt, klingelte es an der Tür. Ich schaute durch den Spion und sah zwei schwarz gekleidete Männer. Auch die Hebammenköfferchen in ihren Händen waren schwarz.

»Wer ist da?«, fragte ich.

»Baldur«, sprach eine tiefe, satte Stimme.

»Jehova«, sprach eine andere, die dünner und höher war.

Ich öffnete.

So wie die beiden vor mir standen, erinnerten sie an irgendwelche mittleren Staatssicherheitskader im Ruhestand: rosige, rüstige alte Männer, die anständige Westautos fahren, gute Wohnungen in irgendeiner der Schlafstädte haben und immer wieder einmal auf einer Datscha vor den Toren von Moskau Zusammenkommen, um beim Saufen und Dominospielen die Sau rauszulassen. Nur der Glanz ihrer Augen weckte in mir den Verdacht, das prollige Aussehen könnte Tarnung sein.

Noch eine Merkwürdigkeit hatte das Pärchen an sich, die ich unterschwellig wahrnahm, ohne genau sagen zu können, worin sie bestand; erst als sie dann einzeln erschienen, kam ich dahinter. Sie ähnelten einander sehr und waren zugleich grundverschieden. Sah man sie zusammen, überwogen die Unterschiede. Doch wenn ich sie einzeln traf, kam es vor, dass ich sie, trotz ungleicher Größe und nicht sehr ähnlichen Gesichtern, verwechselte.

Baldur war mein Lehrer in Glamour, Jehova unterrichtete

Diskurs. Der komplette Lehrgang in beiden Fächern dauerte drei Wochen. Wobei der Stoff, den ich mir in dieser Zeit anzueignen hatte, dem Umfang nach einem Universitätsstudium gleichkam mit nachfolgendem Magisteraufbaustudiengang plus Doktorat.

Ich gebe zu, ich war zu dem Zeitpunkt ein zwar aufgeweckter, doch reichlich ungebildeter junger Mann und wusste bei vielen Wörtern nicht recht, was sie bedeuteten. Die Termini Glamour und Diskurs zum Beispiel hatte ich schon des Öfteren gehört; Diskurs war etwas Kluges und Unverständliches, Glamour etwas Schickes und Teures, das war meine Vorstellung davon. Außerdem klangen für mich beide wie die Namen gewisser Kartenspiele im Knast. Was gar nicht einmal so fern der Wahrheit war, wie sich zeigen sollte.

Als das Ritual der gegenseitigen Vorstellung absolviert war, sagte Baldur: »Glamour und Diskurs sind die zwei wesentlichen Künste, die ein Vampir in Vollendung beherrschen sollte. Ihre Quintessenz ist zum einen Tarnung, zum anderen Kontrolle. Und was sich daraus ableitet, ist Macht. Verstehst du dich zu maskieren? Vermagst du Kontrolle auszuüben? Macht?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Dann bringen wir es dir bei.«

Baldur und Jehova machten es sich auf Stühlen in zwei gegenüberliegenden Ecken des Arbeitszimmers bequem. Mich platzierten sie auf dem roten Sofa - das, auf dem sich Brahma erschossen hatte. Kein verheißungsvoller Anfang, wie ich fand.

»Heute werden wir dich parallel unterrichten«, begann Jehova. »Weißt du warum?«

»Weil Glamour und Diskurs im Grunde ein und dasselbe ist!«, gab Baldur die Antwort.

»Jawohl«, stimmte Jehova zu. »Es sind die zwei Säulen der modernen Kultur, die hoch über unseren Köpfen in einem Bogen zueinanderfinden.«

Sie schwiegen erwartungsvoll, was ich darauf sagen würde.

»Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht recht, wovon Sie reden«, gab ich zu. »Ein und dasselbe, schön und gut, und warum dann zwei verschiedene Wörter?«

»Sie sind verschieden nur auf den ersten Blick«, sagte Jehova.

»Das Wort Glamour geht auf das Schottische zurück und bedeutet dort so viel wie Zauberei. Da ist es wiederum von grammar abgeleitet und dieses von grammatica. Damit bezeichnete man im Mittelalter verschiedene Formen von Gelehrsamkeit, darunter auch okkulte Praktiken, die mit Schriftkundigkeit assoziiert wurden. Womit wir schon fast beim Diskursbegriff angelangt wären.«