Выбрать главу

Einige dieser Sentenzen mögen etwas sehr anmaßend für einen Vampir am Anfang seiner Laufbahn erscheinen. Zu meiner Verteidigung kann ich nur sagen, dass Begriffe und Ideen dieser Art mir schon immer recht wenig bedeutet haben.

Den Diskurs eignete ich mir spielend an, auch wenn er

mich in eine misanthropische Stimmung versetzte. Hingegen hatte ich mit dem Glamour von Beginn an meine Schwierigkeiten. Das meiste kapierte ich noch irgendwie - bis zu dem Moment, wo Baldur sagte: »Manche Experten sind der Meinung, es gäbe in der modernen Gesellschaft keine Ideologie, nur weil sie als solche nicht ausformuliert ist. Aber das ist ein Irrtum. Die Ideologie der anonymen Diktatur ist der Glamour. «

Ich sah eine Woge lähmender Stumpfheit über mich kommen.

»Und der Glamour in einer anonymen Diktatur ist was?«

»Rama«, sagte Baldur missmutig, »das haben wir doch schon in der ersten Lektion durchgenommen. Der Glamour der anonymen Diktatur ist ihr Diskurs.«

In Baldurs und Jehovas Worten klang das alles sehr eingängig und glatt. Der Vorstellung aber, Photos von halbnackten Weibern mit Brillanten an den Silikontitten könnten die Ideologie eines Regimes ausmachen, mochte ich beim besten Willen nicht folgen.

Zum Glück gab es eine effektive Methode, Fragen dieser Art zu klären. Hatte ich in Baldurs Ausführungen etwas nicht verstanden, fragte ich in der nächsten Stunde Jehova danach und bekam eine alternative Erläuterung nachgereicht. Und war etwas an Jehovas Darlegungen unklar, konnte ich Baldur fragen. Am Ende bewegte ich mich wie ein Bergsteiger, der, die Füße links und rechts gegen die Wände stemmend, einen Kamin hinaufläuft.

»Wieso meint Baldur, Glamour wäre eine Ideologie?«, fragte ich bei Jehova nach.

»Eine Ideologie beschreibt einen nicht ersichtlichen Zweck, der die ersichtlichen Mittel heiligt«, erwiderte er. »Den Glamour darf man als Ideologie betrachten, da er eine Antwort ist auf die Frage: Wozu war das alles nötig?«

»Was alles?«

»Nimm ein Geschichtsbuch zur Hand und lies das Inhaltsverzeichnis.«

Ich hatte zu dem Zeitpunkt schon Termini und Konzepte in ausreichender Zahl geschluckt, um das Gespräch auf passablem Niveau fortführen zu können.

»Wie ließe sich dann das zentrale Ideologen! des Glamours formulieren?«, fragte ich.

»Ganz einfach«, sagte Jehova. »Verkleidung!«

»Verkleidung?«

»Jawohl. Wenn man den Begriff etwas weiter fasst. Verkleidung meint auch den Umzug von der Kaschirka auf die Rubljowka und von da nach London, die Verpflanzung der Haut vom Gesäß ins Gesicht, den Geschlechtswandel und alles so etwas. Auch der ganze zeitgenössische Diskurs lässt sich als Verkleidung sehen - beziehungsweise als permanente Neuverpackung der paar Themen, die für die öffentliche Diskussion zugelassen sind. Darum sprechen wir davon, dass der Diskurs eine Spielart des Glamours ist, und ebenso umgekehrt. Kapiert?«

»Klingt nicht gerade romantisch«, sagte ich.

»Was dachtest denn du?«

»Ich dachte, Glamour verheißt Wunder. Sie sprachen selbst von der ursprünglichen Bedeutung des Wortes: Zauberei. Ist es nicht das, was man sich davon verspricht?«

»Glamour verheißt Wunder, so ist es«, sagte Jehova. »Und diese Verheißung maskiert den Umstand, dass das Leben ganz ohne Wunder vonstatten geht. Verkleidung und Maskerade sind mehr als nur Technologie, sie sind der einzige reale Inhalt - von Glamour ebenso wie von Diskurs.«

»Glamour kann die Verheißung des Wunders also unter keinen Umständen einlösen?«

Jehova dachte einen Moment nach.

»Doch, unter Umständen schon.«

»Welchen?«

»Na, zum Beispiel in der Literatur.«

Das erstaunte mich. Literatur hätte ich für die unglamouröseste Veranstaltung gehalten, die man sich vorstellen konnte. Und Wunder hatten dort, soviel ich wusste, schon seit Jahren nicht mehr stattgefunden.

»Der Schriftsteller von heute«, erklärte Jehova, »wenn er einen neuen Roman abschließt, verbringt ein paar Tage über einem Packen Hochglanzjournale und platziert in seinem Text eine Anzahl teurer Auto- und Krawattenmarken sowie Restaurants, was dem Buch einen gewissen High-Budget-Abglanz verleiht.«

Ich erzählte Baldur davon und sagte: »Jehova sieht darin ein Beispiel für ein Glamourwunder. Was ist daran wunderbar? Das ist doch eine triviale Maskerade.«

»Du hast noch nicht verstanden«, sagte Baldur. »Das Wunder vollzieht sich nicht am Text, sondern am Autor. Anstelle des Ingenieurs der menschlichen Seelen haben wir nun einen zum Nulltarif arbeitenden Werbeagenten.«

So ließ sich, dank der Methode wechselseitiger Befragung, beinahe jedes Problem klären. Nur manchmal führte sie zu noch größerer Konfusion. Einmal bat ich Jehova um eine Erläuterung des Begriffs Expertise, dem ich beinahe täglich im Internet begegnete, meist im Zusammenhang mit einem sogenannten Sachverständigenrat.

»Eine Expertise ist ein Gutachten. Genauer gesagt: ein Format neurolinguistischer Programmierung, das der anonymen Diktatur zu Diensten ist«, schnarrte Jehova seine Definition herunter.

»Na-a-a-ja«, brummte Baldur, als ich ihn um einen Kommentar dazu anging. »Klingt gut. Nur dass sich im realen Leben kaum unterscheiden lässt, wer wem die Füße küsst: das Gutachten der Diktatur oder die Diktatur dem Gutachter. «

»Wieso das?«

»Weil die Diktatur, selbst wenn sie anonym ist, konkretes Geld auf den Tisch legen muss. Und das einzige greifbare Ergebnis, das die neurolinguistische Programmierung bringt, ist das Honorar für den NLP-Coach.«

Am nächsten Tag bereute ich es bitter, die Frage nach den Expertisen gestellt zu haben. Jehova brachte ein komplett gefülltes Gestell der Kennung Sachverst.rat No. 1-18 mit zum Unterricht. Ich musste alle Proben verkosten. Hier der Eintrag, den ich in einer Pause zwischen den Gaben verfasste:

Jeder moderne Intellektuelle, der sein Gutachten auf dem Markt verkauft, tut zweierlei: Er sendet Zeichen, und er prostituiert Inhalte, ln Wirklichkeit sind dies zwei Aspekte eines einzigen Willensaktes, der die Tätigkeit eines modernen Philosophen, Kulturwissenschaftlers, »Sachverständigen« zur Gänze beschreibt: Die gesendeten Zeichen künden von der Bereitschaft, Inhalte zu prostituieren, und die Prostitution von Inhalten ist überhaupt erst der Weg, Zeichen auszusenden. Der Intellektuelle von heute kennt oft nicht einmal seinen potenziellen Auftraggeber. Er ist wie ein Blümelein, das auf dem Gehweg wächst und von dem man nicht weiß, wo seine Wurzeln die Säfte hernehmen, und der Blütenstaub weht über den Bildschirmrand hinaus. Mit dem Unterschied, dass ein Blümelein nicht denkt, während der Intellektuelle von heute annimmt, die Säfte gelangten zu ihm im Austausch gegen Blütenstaub, und komplizierte, schizophrene Kalkulationen darüber anstellt, wie beides korrekt gegeneinander aufzurechnen wäre. Diese Kalkulationen sind die wahren Wurzeln des Diskurses: Zottig, grau und feucht liegen sie in finsterer Pestilenz.

Ein paar Tage später wusste ich dann schon mit dem Wort Kulturologe etwas anzufangen. Auch hier hatte ich zunächst falsch gelegen, was seine Bedeutung anging, und auf einen Mediziner getippt, der durch eingehende Studien des menschlichen urogenitalen Systems Kultstatus erlangte und mithin das Recht, auch zu geistigen Fragen gehört zu werden. Was mir nicht verwunderlich vorkam: Hatte es doch auch Professor Sacharow als Erfinder der Wasserstoffbombe zu humanitärer Autorität gebracht.