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»Das ist ja ekelhaft«, sagte ich aufrichtig.

»Verachten sollte man den Menschen aber deswegen nicht«, sprach Jehova, den Zeigefinger hebend. »Das schreib dir hinter die Ohren. Eine Kuh nur deshalb auszulachen, weil sie so ein komisches fettes Euter zwischen den Beinen baumeln hat, ist für einen Vampir nicht minder schmählich als für einen Menschen. Wir haben ihn gezüchtet, Rama, also sollten wir ihn lieben und mit ihm fühlen. So wie er ist. Außer uns tut das sowieso keiner.«

»Gut«, sagte ich. »Und wie empfehlen Sie zu reagieren, wenn einer sein Dalai-Lama-Bild aus der Brieftasche zieht?«

»Ganz einfach: Du zeigst deines, wo du mit Christus oder Buddha oder Mohammed drauf bist... Nein, nicht mit Mohammed, das wäre unklug. Da genügen Pfeile vom Bildrand her, mit der Anmerkung: Hier steht Mohammed.«

Nun wollte ich noch wissen, was das Wort Spiritualität bedeutet - da wir es schon mehrfach gebraucht hatten. Ich studierte das Thema durch Zufallsverkostung und verallgemeinerte meine Erkenntnisse in folgender Notiz:

Die dem russischen Leben nachgesagte Spiritualität bedeutet, dass kein materielles Gut, sondern Bluff die vornehmste in Russland produzierte und konsumierte Ware ist. Die Unfähigkeit, ordentlich zu bluffen, wird spirituelle Armut genannt. Das Bluffen lernt man mit zunehmender Erfahrung und zunehmendem Geld, darum gibt es hier nichts spirituell Ärmeres als einen jungen Manager.

Der Glamour-Lehrgang war umfangreich, doch wenig davon blieb mir im Bewusstsein hängen. Er enthielt zahlreiche Verkostungen; ich musste eine Unmenge sinnloser Proben zu mir nehmen, von denen eine jede den Sack Lebenserfahrung, der sich auf meinen Schultern blähte, schwerer machte. Bis heute kann ich nicht begreifen, wie ich dergleichen überhaupt runterbekam:

hirni $%

blow azz

cavalli No3

sssärr!

oppla mascha ts-ts-ts.

tschechos

Doch waren die Surftouren im trüben Nebel fremder Seelen nicht umsonst. Immer klarer nahm ich wahr, was ringsum vor sich ging. Stieß ich auf einen Zeitungsbericht über die Promenadenkonzertsaison im Schloss Archangelskoje oder über die zweite Moskauer Segelregatta auf dem Natternluch, fühlte ich mich nicht mehr klein und armselig, sondern wusste, da richten die Funktionäre des Regimes, seine neue Infanterie, die den Parteisekretären und Volkstanzensembles alter Schule den Rang abgelaufen hat, nur mal wieder ihr ideologisches Sperrfeuer gegen mich.

Gleiches betraf den Diskurs. Ich kam nun schon leichter dahinter, dass das Scharmützel zweier Intellektueller, von denen der eine als Kettenhund des Regimes auftritt und der andere ihn furchtlos von allen möglichen Seiten attackiert, dass dies keine ideologische Auseinandersetzung ist, sondern ein Duett für Mundharmonika und Konzertina, stimmungsvoller Background zur realen, aus dem Natternluch hervorirrlichtelierenden Ideologie.

»Während der Glamour, wie wir nun wissen, die Ideologie des Regimes ist«, fuhr Jehova fort, »sind die wichtigsten Künste für uns Pi-ahr, Dshi-ahr, Bi-ahr und Vieh-ahr. ... Mit einem Wort: die Werbung.«

Pi-ahr war klar, Dshi-ahr meinte wohl G. R. - government relations. Was die anderen beiden sein sollten, war ich zu faul zu fragen.

Der Werbung waren zwei Unterrichtsstunden gewidmet. Alle gängigen Theorien, die Menschen zu dem Thema entwickelt hatten, ließen wir beiseite (Jehova bezeichnete sie als Scharlatanerie), um uns mit der einen zentralen Technologie zu befassen, die in Handel, Politik und Medien gleichermaßen Anwendung findet. Ihren Ansatz definierte Jehova so: aus Fragmenten der Wahrheit (d.h. unter Vermeidung glatter Lügen) ein Bild zu schaffen, welches mit der Wirklichkeit genau so viel zu tun hat, wie es den Absatz zu steigern vermag. Das klang simpel, doch die Einlassung war wesentlich: Wenn der Bezug zur Realität keine Absatzsteigerung ermöglichte, musste man sich eben um andere Bezüge kümmern. Durch dieses Nadelöhr zogen alle Karawanen.

Unter den Beispielen, die diese Idee veranschaulichen sollten, fand sich das folgende lingualgeometrische Objekt:

Man spricht nicht darüber.

Und vergisst es doch nicht.

Das ist die Wurzel von allem.

Die Quelle, aus der wir alle kommen - du ebenso

wie jene, die du vorbehaltlich »anders« nennst.

Nicht irgendwo im Himalaya, nein, in dir drin.

Das ist real und spürbar.

Greifbar und verlässlich.

Gib zu: Das ist das Wahre.

Die Erläuterung sah so aus:

Bsp. 3: Unkonventionelle Positionierung einer analphallischen Penetration unter Einbeziehung orthogonal zum Standard-Diskurs des Sabtschäkts verlaufender Kontexte.

»Ah ja. Und wozu ein Kreuz?«, fragte ich Jehova.

Jehova schüttelte einen Tropfen klare Flüssigkeit aus dem Gläschen auf seinen Finger, leckte ihn ab und schaute eine Zeit lang versonnen in die Ferne.

»Du hast das Kleingedruckte übersehen«, sagte er dann. »Wozu ein Kreuz? - das ist der Slogan des Konzepts.«

Als Beispiel für die Anwendung der zentralen Technologie im Politbusiness musste das Projekt der regierungstreuen Jugendbewegung True Batch Nadeshda herhalten, das unter Surkow_Fedajin/built3 05 zu genießen war. Auf Resonanz in den englischsprachigen Medien abzielend, fußte es auf einem Zitat aus dem späten Nabokov, das wiederum einen frühen Okudshawa in Oberflächenübersetzung enthielt. Aus:

Nadeshda, ja wernus' togda,

Kogda trubatsch otboy sygrajet...

dt.: Nadeshda [Hoffnung], ich kehre zurück / Sobald der Hornist zum Rückzug bläst

machte Nabokov:

Nadezhda, I shall then be back

When the true batch outboys the riot...

dt.: Nadeshda [Hoffnung], ich kehre zurück / wenn die treue Gang den Mob an Kerligkeit aussticht

Die Frage »Wozu ein Hornist?«, brauchte ich hier nicht zu stellen.

Damit war der Schnellkurs in Werbung vorbei, und wir kehrten zurück zur allgemeinen Theorie des Glamours.

Heute kommt mir das Gewicht, das ich meinen Erleuchtungen damals beimaß, etwas komisch vor; es springt einen an aus jeder akkurat gepinselten Zeile meiner Kladde:

Das Bedürfnis nach wissenschaftlichem Kommunismus kommt auf wenn der Glaube, man könne den Kommunismus errichten, nachlässt; das Bedürfnis nach Glamour entsteht, wenn die natürliche sexuelle Attraktivität sich verliert.

Dieser Gedanke erfuhr übrigens nach Bekanntschaft mit den Probereihen Laufstegfleisch 05-07 und Shahidin Beelzebub ultimate (irgendein misogyner Vampir hatte sich diese Bezeichnungen für weibliche Models ausgedacht) noch eine wichtige Präzisierung:

Alles nicht so einfach. Was heißt schon natürliche sexuelle Attraktivität? Betrachtet man ein Mädchen, das als ideale Schönheit gilt, von Nahem, so sieht man Poren, Härchen, Risse. Eigentlich doch nur ein mit französischer Hautcreme eingeriebenes dummes junges Tier. Der Eindruck von Schönheit oder Hässlichkeit entsteht durch Abstand zum betrachteten Objekt, wenn die Gesichtszüge sich auf ein Schema reduzieren, das sich an die im Bewusstsein gespeicherten Vervielfältigungsschablonen anlegen lässt. Woher diese Schablonen stammen, weiß man nicht - doch lässt sich vermuten, dass es heute nicht mehr der genetisch gesteuerte Fortpflanzungsinstinkt ist, der sie bereitstellt, sondern die Glamourindustrie. ln der Robotertechnik nennt man diese Form von Ausblendung override ... Das Thema Glamour ist jedenfalls genauso unerschöpflich wie das Thema Diskurs.

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