Und was bitte war Abulafia mit seiner geheimen Reserve an files? Der Schrein all dessen, was Belbo wusste oder zu wissen glaubte, seine Sophia! Jawohl, er wählt sich einen geheimen Namen, um in die Tiefen Abulafias einzudringen, in das Objekt, mit dem er Liebe macht (das einzige), doch während er mit ihm Liebe macht, denkt er zugleich an Lorenza, er sucht nach einem Wort, das Abulafia überzeugt, aber das zugleich ihm selbst als Talisman dient, auch um Lorenza zu haben, er will ins Innerste von Lorenza eindringen und begreifen, so wie er ins Innerste von Abulafia eindringen kann, er will, dass Abulafia undurchdringlich für alle anderen sei, so wie Lorenza undurchdringlich für ihn ist, er macht sich vor, das Geheimnis Lorenzas zu hüten, es zu erkennen und zu erobern, so wie er das Geheimnis Abulafias besitzt...
Ich war dabei, mir eine Erklärung zurechtzulegen, und machte mir vor, dass sie wahr sei. Wie bei dem Großen Plan: ich nahm meine Wünsche für Wirklichkeit.
Aber da ich betrunken war, beugte ich mich über die Tastatur und tippte SOPHIA. Und die Maschine, ungerührt, fragte nur wieder höflich: »Hast du das Passwort?« Blöde Maschine, nicht mal der Gedanke an Lorenza bringt dich in Wallung.
6
Judá Léon se dio a permutaciones De letras y a complejas variaciones Y al fin pronunció el Nombre que es la Clave, La Puerta, el Eco, el Huésped y el Palacio ...
(Juda Löw verlegte sich auf Permutationen / Von Lettern und auf komplexe Variationen, / Und schließlich sprach er ihn aus, den Namen, welcher der Schlüssel ist, / Das Tor, das Echo, der Wirt und der Palast ...)
J. L. Borges, El Golem
Schließlich, in einem Wutanfall, als Abulafia zum x-ten Mal seine sture Frage stellte (»Hast du das Passwort?«), hackte ich: »Nein.«
Der Bildschirm begann sich mit Zeichen zu füllen, mit Linien, Kolonnen, mit einer Flut von Worten.
Ich hatte Abulafias Geheimnis geknackt.
Meine Freude über den Sieg war so groß, dass ich mich gar nicht fragte, warum Belbo ausgerechnet dieses Wort gewählt hatte. Heute weiß ich es, und ich weiß auch, dass er in einem Moment der Klarheit begriffen hatte, was ich jetzt begreife. Aber am Donnerstag dachte ich nur an meinen Sieg.
Ich begann zu tanzen, laut in die Hände zu klatschen und einen Gassenhauer zu trällern. Dann hielt ich inne und ging ins Bad, um mir das Gesicht zu waschen. Ich kam zurück und ließ Abulafia als erstes die letzte Datei ausdrucken, diejenige, die Belbo direkt vor seiner Flucht nach Paris geschrieben hatte. Während der Drucker gleichmütig ratterte, verzehrte ich heißhungrig meine Sandwiches und trank noch ein Glas.
Als der Drucker stehenblieb, las ich und war erschüttert, und mir war noch immer nicht klar, ob ich außergewöhnliche Enthüllungen oder das Zeugnis eines Wahns vor mir hatte. Was wusste ich letztlich von Jacopo Belbo? Was hatte ich von ihm verstanden in jenen zwei Jahren, als wir fast täglich zusammen gewesen waren? Wie viel Vertrauen durfte ich den privaten Aufzeichnungen eines Mannes schenken, der nach eigenem Geständnis in außergewöhnlichen Umständen schrieb, benebelt vom Alkohol, vom Tabak und von seinen Angstvorstellungen, drei volle Tage lang abgeschnitten von jedem Kontakt mit der Welt?
Es war unterdessen Nacht geworden, die Nacht des 21. Juni. Mir tränten die Augen. Seit dem Vormittag hatte ich auf den Bildschirm gestarrt und auf das punktierte Zeichengewimmel, das aus dem Drucker kam. Ob es nun wahr oder falsch war, was ich da gelesen hatte, Belbo hatte gesagt, dass er am nächsten Morgen anrufen wollte. Ich musste in der Wohnung bleiben und warten. Mir schwirrte der Kopf.
Ich wankte ins Schlafzimmer und fiel angezogen auf das noch ungemachte Bett.
Am Freitagmorgen erwachte ich gegen acht aus einem tiefen, bleiernen Schlaf und wusste zuerst gar nicht, wo ich war. Zum Glück fand ich eine Dose mit einem Restchen Kaffee und machte mir ein paar Tassen. Das Telefon schwieg, ich wagte nicht hinunterzugehen, um mir etwas zu kaufen, aus Furcht, Belbo könnte genau in dem Moment anrufen.
Ich setzte mich wieder an den Computer und ließ ihn die anderen Disketten ausdrucken, in chronologischer Reihenfolge. Ich fand Spiele, Übungstexte, Berichte über Ereignisse, die ich kannte, die mir aber jetzt, durch Belbos Brille gesehen, in einem anderen Licht erschienen. Ich fand tagebuchähnliche Aufzeichnungen, Geständnisse, Ansätze zu erzählenden Texten, geschrieben mit dem bitteren Eigensinn dessen, der weiß, dass sie von vornherein zur Erfolglosigkeit verdammt sind. Ich fand Notizen, Porträts von Personen, an die ich mich erinnerte, die aber hier eine andere Physiognomie annahmen — düsterer, würde ich sagen, oder war nur mein Blick verdüstert, meine Art und Weise, kleine Nebenbemerkungen zu einem schrecklichen Mosaik zusammenzusetzen?
Vor allem fand ich jedoch eine ganze Datei, die nur Zitate enthielt — Exzerpte aus Belbos jüngster Lektüre, ich erkannte sie auf den ersten Blick, wir hatten in den letzten Monaten so viele ähnliche Texte gelesen ... Sie waren durchnummeriert: hundertzwanzig. Die Zahl war kein Zufall, und wenn doch, war die Koinzidenz beunruhigend. Aber wieso hatte Belbo gerade diese Zitate gewählt?
Heute kann ich seine Texte und die ganze Geschichte, die sie mir ins Gedächtnis rufen, nur im Licht jener einen Datei wiederlesen. Ich drehe und wende die Zitate wie Kügelchen eines häretischen Rosenkranzes, und manchmal ist mir, als hätten einige davon für Belbo ein Warnzeichen sein können, eine rettende Spur.
Oder bin ich es, der nicht mehr zwischen dem guten Rat und der Sinnesverwirrung unterscheiden kann? Ich versuche mich zu überzeugen, dass meine erneute Lektüre die richtige ist, aber erst heute Morgen sagte jemand zu mir — und nicht zu Belbo —, ich sei verrückt.
Der Mond steigt langsam am Horizont herauf, drüben hinter dem Bricco. Das große Haus ist erfüllt von seltsamem Knacken und Knistern — vielleicht Holzwürmer, Mäuse, oder das Gespenst von Adelino Canepa ... Ich wage nicht, durch den Flur zu gehen, ich sitze im Arbeitszimmer von Onkel Carlo und schaue zum Fenster hinaus. Hin und wieder gehe ich auf die Terrasse, um zu sehen, ob jemand den Hügel heraufkommt. Mir ist, als wäre ich in einem Film, wie pathetisch: »Sie kommen ...«
Dabei ist der Hügel so still in dieser Frühsommernacht.
Um wie viel abenteuerlicher, ungewisser, verrückter war die Rekonstruktion, die ich, um mir die Zeit zu vertreiben und wachzubleiben, vorgestern Abend zwischen fünf und zehn im Periskop versuchte, stehend, während ich, um mein Blut zirkulieren zu lassen, langsam die Beine bewegte, als folgte ich einem afrobrasilianischen Rhythmus.
Zurückdenken an die letzten Jahre und sich dabei dem betörenden Trommeln der Atabaques überlassen ... Vielleicht um die Offenbarung zu erhalten, dass unsere Phantasien, die als mechanisches Ballett begonnen hatten, sich nun in jenem Tempel der Mechanik in Ritus verwandeln würden, in Possession, Erscheinung und Herrschaft des Exu?