— Sator Arepo! rufe ich mit einer Stimme, die ein Gespenst erzittern ließe. Und ablassend von dem Rad, das er hält mit dem schlauen Werk seiner Mörderhände, erscheint Sator Arepo, bereit für meine Befehle. Ich erkenne ihn, ich hatte bereits geargwöhnt, daß er es sei. Es ist Luciano, der kriegsversehrte Packer, den die Unbekannten Oberen zum Exekutor meines infamen und blutigen Auftrags ausersehen haben.
— Sator Arepo, frage ich höhnisch, weißt du, welches die letzte Antwort ist, die sich hinter dem Erhabenen Anagramm verbirgt?
— Nein, Graf, antwortet der Unbesonnene, ich erwarte sie aus deinem Munde.
Ein Höllengelächter steigt von meinen bleichen Lippen empor und bricht sich hallend unter den alten Gewölben.
— Narr! Nur der wahre Initiierte weiß, daß er die Antwort nicht weiß.
— Jawoll, Chef, antwortet der Packer stumpf, ganz wie Sie wollen. Stehe zu Diensten.
Wir befinden uns in einem finsteren Keller in Clignancourt. Heute Nacht muß ich dich bestrafen, dich vor allem, die du mich eingeweiht hast in die noble Kunst des Verbrechens. Dich, die du vorgibst, mich zu lieben, und schlimmer noch, es sogar glaubst, und die namenlosen Feinde, mit denen du das nächste Weekend verbringen wirst. Luciano, der ungelegene Zeuge meiner Demütigungen, wird mir seinen Arm dazu leihen — den einzigen, den er noch hat — und dann selbst daran sterben.
Der Keller hat eine Luke im Boden, die zu einem Schacht führt, einer Art Brunnenloch oder Verlies, das seit unvordenklichen Zeiten als Versteck für Schmuggelware benutzt wird. Der Schacht ist beunruhigend feucht, da unmittelbar den Pariser Kloaken benachbart, dem Labyrinth des Verbrechens, und das alte Gemäuer schwitzt unsägliche Miasmen aus, so daß es genügt, mit Hilfe Lucianos, des Treuesten im Bösen, ein Loch in die Wand zu schlagen, und das Wasser bricht in Strömen herein, überschwemmt das Kellergeschoss, lässt die brüchigen Mauern zerfallen und den Schacht einswerden mit dem Rest der Kanäle, schon schwimmen da unten verwesende Ratten, die schwärzlich schimmernde Fläche, die man vom Rande des Schachtes aus sieht, ist nurmehr der Vorhof zur nächtlichen Verdammnis — fern, fern die Seine, dann das Meer...
Eine Strickleiter hängt in den Schacht hinab, und auf ihr geht Luciano jetzt unten, dicht über dem Wasserspiegel, in Stellung, bewehrt mit einem Messer: eine Hand um die erste Sprosse geklammert, die andere um den Messergriff, die dritte bereit, das Opfer zu packen. — Jetzt warte, und rühr dich nicht, sage ich zu ihm, du wirst sehen.
Ich habe dich dazu gebracht, alle Männer mit Narben zu eliminieren — komm mit, sei für immer die meine, lass uns diese unerwünschten Präsenzen beseitigen, ich weiß, daß du sie nicht liebst, du hast es mir selber gesagt, so werden nur du und ich übrig bleiben, wir zwei und die unterirdischen Strömungen.
Jetzt bist du eingetreten, hochmütig wie eine Vestalin, heiser und bucklig wie eine Hexe — o Höllenvision, die du meine hundertjährigen Lenden erschütterst und mir die Brust einschnürst vor stechendem Verlangen, o herrliche Mulattin, Werkzeug meiner Verdammnis! Mit Krallenhänden zerreiße ich mir das feine Batisthemd, das meine Brust schmückt, und mit den Nägeln kratze ich blutige Furchen hinein, indes eine grässliche Glut meine Lippen verbrennt, die kalt sind wie die Hände der Schlange. Ein dumpfes Gebrüll steigt aus den schwärzesten Tiefen meiner Seele empor und durchbricht das Gehege meiner gebleckten Zähne — ich Zentaur, erbrochen vom Tartaros —, und fast hört man keinen Salamander mehr fliegen, denn ich halte den Schrei zurück und nähere mich dir mit einem schaurigem Lächeln.
— Meine Liebe, meine Sophia, begrüße ich dich katzenhaft schmeichelnd, wie es nur der geheime Chef der Ochrana vermag. Komm, ich hatte dich schon erwartet, verstecke dich mit mir im Dunkeln und warte — und du lachst heiser und schmierig, in lüsterner Vorfreude auf eine Erbschaft oder Beute, ein Manuskript der Protokolle zum Verkauf an den Zaren... Wie gelingt es dir nur, hinter diesem Engelsgesicht deine Dämonennatur zu verbergen, schamhaft eingehüllt in deine androgynen Jeans, dein fast durchsichtiges T-Shirt, das gleichwohl die infame Lilie verbirgt, die dir der Henker von Lille in dein weißes Fleisch gebrannt hat!
Der erste Ahnungslose ist eingetroffen, von mir in die Falle gelockt. Ich erkenne nur schwer seine Züge unter der Kapuze, doch er zeigt mir das Zeichen der Templer von Provins. Es ist Soapes, der Abgesandte der portugiesischen Gruppe. — Graf, sagt er, der Moment ist gekommen. Zu viele Jahre sind wir verstreut durch die Welt geirrt. Ihr habt das Schlussstück der Botschaft, ich das, mit welchem das Große Spiel einst begann, aber das ist eine andere Geschichte. Tun wir unsere Kräfte zusammen, und die andern...
Ich vollende seinen Satz: — Die andern, zur Hölle mit ihnen! Geh, Bruder, dort in der Mitte des Raumes findest du einen Schrein, und in dem Schrein befindet sich, was du seit Jahrhunderten suchst. Fürchte dich nicht vor der Dunkelheit, sie bedroht uns nicht, sie schützt uns.
Der Ahnungslose bewegt sich langsam, fast tastend voran. Ein dumpfer Fall. Er ist in den Schacht gestürzt, unten packt ihn Luciano und schwingt seine Klinge, ein rascher Schnitt durch die Kehle, und das Sprudeln des Blutes vermischt sich mit dem Blubbern der chthonischen Flüssigkeit.
Jemand klopft an die Tür. — Bist du's, Disraeli?
— Yes, antwortet der Unbekannte, in dem meine Leser sogleich den Großmeister der englischen Gruppe erkannt haben werden, der den Gipfel der Macht erreicht hat, aber noch immer nicht zufrieden ist. Er spricht: — My lord, it is useless to deny, because it is impossible to conceal, that a great part of Europe is covered with a network of these secret societies, just as the superficies of the earth is now being covered with railroads...
— Das hast du bereits im Unterhaus gesagt am 14. Juli 1856, mir entgeht nichts. Komm zur Sache!
Der baconische Jude flucht leise zwischen den Zähnen. Dann fährt er fort: — Es sind zu viele. Die sechsunddreißig Unsichtbaren sind nun dreihundertsechzig. Multipliziert mit zwei, macht siebenhundertzwanzig. Ziehe die hundertzwanzig Jahre ab, nach denen die Tone sich öffnen werden, und du hast sechshundert, wie beim Angriff der Leichten Brigade auf der Ebene von Balaklawa.
Teufel von einem Menschen, die Geheimwissenschaft der Zahlen hat keine Geheimnisse für ihn.
— Und weiter?
— Wir haben das Gold, du hast die Karte. Tun wir uns zusammen, und wir sind unschlagbar.
Mit feierlicher Gebärde deute ich auf den phantasmatischen Schrein, den er, geblendet von seiner Gier, im Dunkeln zu erspähen meint. Er setzt sich in Bewegung, fällt.
Ich höre das düstere Aufblitzen von Lucianos Klinge, ich sehe trotz der Finsternis das Röcheln, das in den brechenden Augen des Engländers schimmert. Gerechtigkeit ist getan.
Ich erwarte den dritten, den Mann der französischen Rosenkreuzer, Montfaucon de Villars — bereit, schon weiß ich's, die Geheimnisse seiner Sekte zu verraten.
— Gestatten, Graf Gabalis, stellt er sich vor, verlogen und eitel.
Ich brauche nur wenige Worte zu raunen, und schon geht er seinem Schicksal entgegen. Er fällt, und blutgierig verrichtet Luciano sein Henkerswerk.
Du lächelst mir zu aus dem Dunkel und sagst du seiest mein und dein werde mein Geheimnis sein. Du irrst dich, du irrst dich, sinistre Karikatur der Schechinah. Jawohl, ich bin dein Simon, doch warte, noch weißt du das Beste nicht. Und wenn du's erfahren hast, wirst du aufgehört haben, zu wissen.
Was weiter? Nacheinander kommen die anderen.
Die deutschen Illuminaten werde, hatte mir Pater Bresciani gesagt, die schöne Babette von Interlaken vertreten, die Urenkelin von Weishaupt, die hehre Jungfrau des helvetischen Kommunismus, aufgewachsen unter Säufern, Räubern und Mördern, Expertin im Durchdringen undurchdringlicher Geheimnisse, im Öffnen versiegelter Briefe, ohne das Siegel zu öffnen, im Verabreichen giftiger Tränke, wie's ihre Sekte befahl.