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»Das muß mal gesagt werden!«

»Überdies war er als Italiener ausgeschlossen vom Großen Plan. Was wusste er überhaupt davon? Um so schlimmer für die diversen Agrippa, Reuchlin und Konsorten, die sich auf diese falsche Spur stürzten. Denn damit wir uns recht verstehen, ich rekonstruiere hier die Geschichte einer falschen Spur. Wir haben uns von Diotallevi und seiner Kabbalistik beeinflussen lassen. Diotallevi trieb kabbalistische Studien, und so haben wir die Juden in den Plan eingefügt. Hätte Diotallevi sich mit der chinesischen Kultur beschäftigt, hätten wir dann die Chinesen in den Plan eingebaut?«

»Vielleicht ja.«

»Vielleicht nein. Aber das ist kein Grund, sich die Haare zu raufen, denn wir sind von allen irregeführt worden. Alle haben den Fehler gemacht, von Guillaume Postel bis heute, vermutlich. Seit damals, zweihundert Jahre nach Provins, waren alle überzeugt, dass die sechste Gruppe die Jerusalemische sei. Das war falsch.«

»Aber entschuldigen Sie, Casaubon, wir haben doch die Interpretation von Ardenti korrigiert, wir haben doch gesagt, das sechste Treffen ›auf dem Stein‹ sei nicht in Stonehenge, sondern auf dem Stein der Omar-Moschee.«

»Und wir haben uns getäuscht. Steine gibt es noch andere. Wir müssen an einen Ort denken, der auf einem Stein gebaut ist, auf einem Felsen, einer Klippe, einem schmalen Grat... Die Sechsten warten in der Festung von Alamut!«

103

Und es erschien Kairos, in der Hand ein Szepter, das bedeutete Königtum, und er übergab es dem zuerst geschaffenen Gott, und der nahm es und sprach: »Dein geheimer Name wird sechsunddreißig Lettern haben.«

Ḥasan-i Ṣabbāḥ, Sargoẕašt Sayyid-nā

  Ich hatte mein Bravourstück gegeben, jetzt schuldete ich Erklärungen. Ich lieferte sie am nächsten Abend, ausführlich, detailliert und dokumentiert, während ich auf Pilades Tischchen Beweise über Beweise vor Belbo aufblätterte, der sie mit immer benebelteren Blicken verfolgte, eine Zigarette am Stummel der anderen entzündend und alle fünf Minuten das leere Whiskyglas mit einem Restchen von Eis zu Pilade hinstreckend, der sich beeilte, es wieder zu füllen, ohne auf weitere Order zu warten.

Die ersten Quellen waren dieselben, in denen auch die ersten Berichte über die Templer auftauchten, von Gérard de Strasbourg bis zu Joinville. Die edlen Ritter, berichteten sie, seien in Berührung gekommen — manchmal als Gegner, öfter als undurchsichtige Bündnispartner — mit den Assassinen des Alten vom Berge.

Natürlich war die Geschichte viel komplizierter. Sie begann nach dem Tode Mohammeds mit der Spaltung zwischen den Anhängern des orthodoxen Gesetzes, den Sunniten, und den Gefolgsleuten des Prophetenschwiegersohns Ali, des Gatten der Fatima, der sich um die Nachfolge des Propheten gebracht sah. Es waren die Getreuen Alis, die sich in der Schia zusammenfanden, der Abspaltung oder Parteiung, die den häretischen Flügel des Islam begründete: das Schiitentum. Eine Initiationslehre, welche die Kontinuität der Offenbarung nicht in der traditionellen Meditation über die Worte des Propheten sah, sondern in der Person des Imam selbst, des Oberhauptes und Führers, der Epiphanie Gottes und theophanen Realität, des Königs der Welt.

Was geschah nun mit diesem häretischen Flügel des Islam, der nach und nach von allen esoterischen Lehren des Mittelmeerraumes durchdrungen wurde, von den Manichäern bis zu den Gnostikern, von den Neuplatonikern bis zu den iranischen Mystikern, von all jenen Einflüssen, deren abendländische Weiterentwicklung wir seit Jahren verfolgt hatten? Die Geschichte war lang und verwickelt, es gelang uns nicht, sie zu entwirren, auch weil die verschiedenen arabischen Autoren und Protagonisten so lange und komplizierte Namen hatten, die in den seriöseren Werken mit diakritischen Zeichen geschrieben wurden, so dass wir spätabends nicht mehr recht unterscheiden konnten zwischen Abū ‘Abdullāh Muḥammad b. ‘Alī ibn Razzām aṭ-Ṭā'ī al-Kūfī , Abū Muḥammad ‘Ubaydullāh, Abū Mu‘ini ad-Dīn Nāṣir ibn Hosrow Marwāzī Qobādyānī und so weiter (ich glaube, dass ein Araber in der gleichen Verlegenheit wäre, wenn er zu unterscheiden hätte zwischen Aristoteles, Aristoxenos, Aristarchos, Aristeides, Anaximandros, Anaximenes, Anaxagoras, Anaxarchos und Anaxandrides).

Eins war jedoch sicher. Das Schiitentum zerfällt in zwei Strömungen, eine »Zwölfer« genannte, deren Anhänger auf die Wiederkehr eines verborgenen zwölften Imam warten, und eine kleinere, die Sekte der Ismaeliten, die sich auf Ismael, den früh verstorbenen Sohn des sechsten Imam, berufen. Entstanden im achten Jahrhundert, hatten sie ihre Blüte im Reich der Fatimiden von Kairo und konnten sich dann, nach diversen Wechselfällen und Spaltungen, als reformierte oder Neo-Ismaeliten vor allem in Persien behaupten, dank der Aktivität einer faszinierenden, mystischen und grausamwilden Persönlichkeit: des Persers Ḥasan-i Ṣabbāḥ. Dieser etablierte im Jahre 1090 seine Zentrale, seinen uneinnehmbaren Sitz bei Qazvin, südwestlich des Kaspischen Meeres, in der Bergfestung Alamut, dem Adlerhorst.

Dort umgab er sich mit seinen Getreuen, den Fida’iyyūn oder Fedajin, die ihm blinden Gehorsam bis in den Tod schwören mussten und die er benutzte, um seine politischen Morde auszuführen, als Instrumente im Ğihād hīf ī, dem geheimen Heiligen Krieg. Es waren diese Fedajin oder wie immer er sie nannte, die später eine traurige Berühmtheit unter dem Namen »Assassinen« erlangten — was heute kein schöner Name ist, aber damals und für sie ein glänzender war, Zeichen einer Elite von Mönchskriegern, die den Templern sehr ähnlich waren, allzeit bereit, für den Glauben zu sterben. Spirituelle Ritterschaft.

Die Bergfestung Alamut: der Stein. Erbaut auf einem hohen schmalen Grat von vierhundert Metern Länge und stellenweise nur wenigen Schritten Breite, maximal dreißig Metern, kam sie dem Wanderer, der sich ihr auf der Straße nach Aserbeidschan näherte, wie eine natürliche Mauer vor, blendend weiß in der Sonne, blau im purpurnen Abendlicht, bleich in der Dämmerung und blutrot im Morgengrauen, an manchen Tagen wolkenverhangen oder von Blitzen umzuckt. Längs ihrer oberen Kante war mit Mühe eine Art Bebauung erkennbar, eine unregelmäßige Zinnenkrone aus eckigen Türmen, von unten sah sie aus wie eine steinerne Säge, die über Hunderte von Metern ihre Zähne drohend zum Himmel reckte, der zugänglichste Hang war ein steiles Geröllfeld, das die Archäologen noch heute nicht bezwingen, damals gelangte man über eine geheime Treppe hinauf, die schneckenförmig in den Felsen gehauen war, wie um einen fossilen Apfel zu schälen, und die zu verteidigen ein einziger Bogenschütze genügte. Uneinnehmbar, schwindelerregend im Anderswo. Alamut, die Burg der Assassinen. Dort hinauf kam man nur auf Adlersrücken.

Dort oben regierte Ḥasan-i Ṣabbāḥ und nach ihm die Reihe derer, die kollektiv als »der Alte vom Berge« bekannt werden sollten, allen voran sein teuflischer Nachfolger Rašīd ad-Dīn Sinān.

Ḥasan hatte eine Technik zur Beherrschung sowohl der Seinen wie seiner Widersacher erfunden. Den Feinden kündigte er an, dass er sie töten werde, wenn sie seinen Wünschen nicht entsprächen. Und vor den Assassinen gab es kein Entkommen. Nizâm al-Mulk, Wesir des Sultans zu der Zeit, als die Kreuzfahrer sich noch bemühen, Jerusalem zu erobern, wird auf dem Wege zu seinem Harem in seiner Sänfte getötet, erdolcht von einem Schergen, der sich als Derwisch verkleidet hatte. Der Atabeg von Homs wird von den Assassinen erstochen, als er aus seiner Burg herabkommt, um sich zum Freitagsgebet zu begeben, umringt von einer Schar bis an die Zähne bewaffneter Leibwächter.