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Sinān beschließt, den christlichen Markgrafen Konrad von Monferrat zu töten, und instruiert zwei seiner Getreuen. Es gelingt ihnen, sich bei den Ungläubigen einzuschleichen, nachdem sie in hartem Training gelernt haben, ihre Sprache und ihre Gebräuche zu imitieren. Verkleidet als Mönche, bei einem Bankett, das der Bischof von Tyrus dem ahnungslosen Markgrafen gibt, fallen sie über ihn her und verletzen ihn. Einer der Assassinen wird von den Leibwächtern auf der Stelle getötet, der andere flieht in eine Kirche, wartet, bis der Verletzte dorthin gebracht wird, stürzt sich auf ihn, gibt ihm den Rest und stirbt selig.

Denn — so die arabischen Geschichtsschreiber der sunnitischen Linie und nach ihnen die christlichen Chronisten, von Odorico da Pordenone bis Marco Polo — der Alte vom Berge hatte eine fürchterliche Methode entdeckt, sich seine Getreuen ergeben bis in den Tod zu machen, als unbesiegbare Kampfmaschinen: Er schleppte sie als junge Burschen, in Schlaf versetzt, auf seine Burg, entnervte sie mit Genüssen, Wein, Weibern, Blumen, schwelgerischen Banketten, betäubte sie mit Haschisch (daher der Name Assassinen: von Haschaschin, Haschischraucher), und wenn sie auf die perversen Wonnen dieses künstlichen Paradieses nicht mehr verzichten konnten, riss er sie aus ihren Träumen und stellte sie vor die Alternative: Geh hin und töte! Wenn du es schaffst, wird dieses Paradies dir erneut und für immer offenstehen, wenn nicht, fällst du zurück in die Hölle des Alltags.

Und sie, betäubt von der Droge, blind seinem Willen untertan, opferten sich, um zu opfern — zum Tode verurteilte Töter, zum Morden verdammte Mordopfer.

Wie wurden sie gefürchtet! Wie wurde über sie gefabelt und gefaselt von den Kreuzfahrern in den mondlosen Nächten, wenn der Samum durch die Wüste blies! Wie wurden sie bewundert von den Templern, diesen rauen Haudegen, überwältigt von einem so hehren Märtyrerwillen, die sich unterwarfen, um ihnen Wegzölle zu zahlen und formale Tribute dafür zu verlangen, in einem Wechselspiel von gegenseitigen Zugeständnissen, Komplizen-und Waffenbrüderschaften, einander auf offenem Felde bekämpfend und im geheimen liebkosend, einander mystische Visionen zuraunend, magische Formeln, alchimistische Raffinessen...

Von den Assassinen des Alten vom Berge hatten die Templer ihre okkulten Riten gelernt. Nur die unkriegerische Ignoranz der Vögte und Inquisitoren Philipps des Schönen hatte diese daran gehindert, zu begreifen, dass der Kuss auf den Hintern, das Spucken aufs Kreuz, der schwarze Kater und die Anbetung des Baphomet-Hauptes nichts anderes waren als Wiederholungen anderer Riten, welche die Templer unter dem Einfluß des ersten Geheimnisses vollzogen hatten, dem sie im Orient begegnet waren: dem Gebrauch des Haschischs.

So war nun klar, dass der Große Plan dort entstanden war, ja dort entstanden sein musste: von den Männern aus Alamut hatten die Templer über die tellurischen Strömungen erfahren, mit den Männern aus Alamut hatten sie sich in Provins vereint und das geheime Komplott der Sechsunddreißig Unsichtbaren ausgeheckt; darum war Christian Rosencreutz nach Fez und in andere arabische Orte gereist, darum hatte sich Guillaume Postel in den Orient begeben, darum hatten die Magier der Renaissance aus dem Orient, aus Ägypten, dem Sitz der fatimidischen Ismaeliten, die namengebende Gottheit des Großen Plans importiert, Hermes, Hermes-Thot oder Hermes Trismegistos, und darum hatte der Intrigant Cagliostro seine Riten für ägyptische Figuren ersonnen. Und die Jesuiten, ja die Jesuiten, die hatten sich, weniger dumm, als wir dachten, mit Pater Kircher sofort auf die Hieroglyphen gestürzt, und auf das Koptische und auf die andern orientalischen Sprachen, wobei das Hebräische nur eine Tarnung war, eine Konzession an den Zeitgeist.

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Diese Texte sind nicht für gewöhnliche Sterbliche... Die gnostische Wahrnehmungsweise ist einer Elite vorbehalten... Denn wie die Bibel sagt: Werft eure Perlen nicht vor die Säue.

Karnal Jumblatt, Interview in Le Jour, 31.3.1967

Arcana publicata vilescunt: et gratiam propha-nata amittunt. Ergo: ne margaritas objice porcis, seu asino substerne rosas.

(Aufgedeckte Geheimnisse werden alt, und profaniert verlieren sie ihren Reiz. Also wirf deine Perlen nicht vor die Säue, noch unterbreite dem Esel Rosen.)

Johann Valentin Andreae, Die Chymische Hochzeit Christiani Rosencreutz, Straßburg 1616, Frontispiz

  Und wo übrigens wäre sonst jemand zu finden gewesen, der sechs Jahrhunderte lang auf dem Stein zu warten imstande war und tatsächlich so lange gewartet hätte? Sicher, Alamut war schließlich unter dem Ansturm der Mongolen gefallen, aber die Sekte der Ismaeliten hatte im ganzen Orient überlebt. Einerseits hatte sie sich mit den nicht-schiitischen Sufis vermischt, andererseits hat sie die furchtbare Sekte der Drusen erzeugt, und drittens schließlich lebt sie noch heute unter den indischen Khojas, den Anhängern Aga Khans, unweit der Stätte von Agarttha.

Doch ich hatte noch mehr entdeckt: Unter der Fatimiden-Dynastie waren die hermetischen Kenntnisse der alten Ägypter wiederentdeckt worden, und zwar durch die Akademie von Heliopolis in Kairo, wo man ein Haus der Wissenschaften gegründet hatte. Ein Haus der Wissenschaften! Woher hatte Francis Bacon die Inspiration für sein Salomonisches Haus genommen, nach dessen Muster dann ja das Conservatoire des Arts et Metiers in Paris gebaut worden war?

»So ist es, so ist es, da gibt's gar keine Zweifel mehr«, sagte Belbo, inzwischen schon ziemlich betrunken. Und dann: »Aber was ist jetzt mit den Kabbalisten?«

»Das ist nur eine parallele Geschichte. Die Rabbiner in Jerusalem ahnen, dass etwas zwischen Templern und Assassinen passiert sein muß, und auch die Rabbiner in Spanien, die sich unter dem Vorwand, sie wollten Geld für Wucherzinsen verleihen, in den europäischen Komtureien herumtreiben, haben etwas gerochen. Sie sehen sich ausgeschlossen von dem Geheimnis, und in einem Akt nationalen Stolzes beschließen sie, es allein herauszubekommen: Was? Wir, das Auserwählte Volk, wir sollen keinen Zutritt zum Geheimnis der Geheimnisse haben? Und zack, beginnt die kabbalistische Tradition, das heroische Unterfangen der in die Diaspora Verstreuten und an die Ränder Gedrängten, es den großen Herren zu zeigen, den Herrschenden, die immer alles zu wissen meinen.«

»Aber so bringen sie die Christen auf den Gedanken, sie, die Juden, wüssten tatsächlich immer alles.«

»Und irgendwann begeht dann einer den Kardinalfehler: er verwechselt zwischen Israel und Ismael.«

»Also Barruel, die Protokolle der Weisen von Zion, der ganze Antisemitismus — alles nur das Ergebnis einer Konsonantenverwechslung!«

»Sechs Millionen Juden umgebracht wegen eines Fehlers von Pico della Mirandola.«

»Nun, vielleicht gab's da noch einen anderen Grund. Das Auserwählte Volk hatte die Pflicht zur Auslegung des Heiligen Buches übernommen. Es hat eine Obsession verbreitet. Und die andern haben sich, als sie nichts im Heiligen Buch finden konnten, dafür gerächt. Die Leute fürchten sich vor denen, die uns von Angesicht zu Angesicht mit dem Gesetz konfrontieren... Aber sagen Sie, Casaubon, wieso haben sich diese Assassinen nicht schon früher gemeldet?«

»Überlegen Sie doch mal, Belbo, wie elend es der Gegend dort unten ergangen ist seit der Schlacht von Lepanto! Ihr Sebottendorff hatte ja noch kapiert, dass da etwas gesucht werden musste unter den türkischen Derwischen, aber Alamut existiert nicht mehr, und seine Bewohner sind irgendwo untergetaucht. Sie warten ab. Und jetzt ist ihre Stunde gekommen, im Zuge des neuen islamischen Selbstbewusstseins heben sie wieder das Haupt... Indem wir Hitler in den Großen Plan einbauten, hatten wir einen guten Grund für den Zweiten Weltkrieg gefunden. Indem wir jetzt die Assassinen aus Alamut einbauen, erklären wir alles, was seit Jahren im Nahen Osten geschieht. Und hier finden wir nun auch den Ort und die Kollokation für die Gruppe Tres, die Templi Resurgentes Equites Synarchici, eine Geheimgesellschaft mit dem Ziel, die Kontakte zwischen den spirituellen Ritterschaften unterschiedlichen Glaubens wiederherzustellen.«