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Das Partisanenkommando beschloss, es solle ein feierliches Begräbnis werden, mit angetretenen Kompanien, geschmücktem Leichenwagen, der kommunalen Musikkapelle und dem Dompropst. Und mit Don Ticos Blaskapelle.

Don Tico war sofort einverstanden. Vor allem, wie er sagte, weil er immer antifaschistisch empfunden habe. Sodann auch, wie die Spieler flüsterten, weil er seit einem Jahr zwei Trauermärsche mit ihnen eingeübt hatte, die er irgendwann einmal vorführen musste. Und schließlich, wie die Lästerzungen im Städtchen sagten, um die Geschichte mit Giovinezza wiedergutzumachen.

Die Geschichte mit Giovinezza ging so.

Monate vorher, ehe die Partisanen kamen, war Don Ticos Kapelle eines Tages losgezogen, um zum Fest ich weiß nicht welches Heiligen aufzuspielen, und war unterwegs von den Schwarzen Brigaden angehalten worden. »Spielen Sie Giovinezza, Herr Pfarrer!« hatte der Hauptmann befohlen, und seine Finger trommelten auf der MP. Was tun, wie man später sagen lernte? Don Tico sagte: Jungs, versuchen wir's halt, man hat nur ein Leben. Und er schlug den Takt mit seiner Stimmpfeife, und eine wüste Horde von Kakofonikern überzog *** mit einem Getöse, das nur die desperateste Hoffnung auf Endsieg hätte für die Faschistenhymne Giovinezza halten können. Es war eine Schande für alle. Eine Schande, weil sie eingewilligt hatten, sagte Don Tico hinterher, aber vor allem, weil sie so hundsmiserabel gespielt hatten. Priester ja, und Antifaschist, aber Kunst ist Kunst.

Jacopo war an dem Tag nicht dabei gewesen. Er hatte Mandelentzündung gehabt. Es waren nur Annibale Cantalamessa und Pio Bo da gewesen, und ihre exklusive Präsenz muß entscheidend zum Zusammenbruch des Nazifaschismus beigetragen haben. Aber für Belbo war das Problem noch ein anderes, jedenfalls als er darüber schrieb: Er hatte eine weitere Gelegenheit versäumt, herauszufinden, ob er den Mut zum Neinsagen hätte. Vielleicht ist er deshalb am Pendel gestorben.

Wie auch immer, das Begräbnis war dann für Sonntag Vormittag angesetzt worden. Auf dem Domplatz waren sie alle da. Terzi mit seinen Mannen, Onkel Carlo und einige Honoratioren der Stadt mit ihren Orden aus dem Ersten Weltkrieg, und es spielte keine Rolle, wer von ihnen Faschist gewesen war und wer nicht, es ging nur darum, die Helden zu ehren. Da waren der Klerus, die Männer der kommunalen Kapelle in dunklen Anzügen, der prächtige Leichenwagen, gezogen von schabrackenbedeckten Pferden mit Zaumzeug in Cremeweiß, Silber und Schwarz. Der Kutscher war aufgeputzt wie ein Marschall Napoleons, mit Zweispitz, Cape und weitem Mantel in denselben Farben wie das Zaumzeug. Und da war Don Ticos Kapelle, mit Schirmmützen, Khaki-Jacken und blauen Hosen, goldglänzend das Blech, schwarz glänzend das Holz und funkelnd das Becken über der Großen Trommel.

Von *** bis San Davide waren es fünf bis sechs Kilometer, in Serpentinen den Hügel hinauf. Ein Weg, den die Rentner sonntags bocciaspielend zurücklegten, eine Partie, eine Pause, ein paar Fläschchen Wein, die nächste Partie, und so weiter bis rauf zur Kapelle.

Ein paar Kilometer Steigung sind nichts, wenn man Boccia spielt, und vielleicht ist es auch nur ein Klacks, sie in Marschformation zu überwinden, die Waffe geschultert, den Blick geradeaus, die frische Frühlingsluft atmend. Aber man probiere es einmal blasend, mit prallen Backen, wenn einem der Schweiß von der Stirn rinnt und die Luft wegbleibt. Die Männer von der kommunalen Kapelle taten ihr ganzes Leben lang nichts anderes, aber für die Jungs vom Oratorium war's eine harte Prüfung. Sie hielten heroisch durch, Don Tico schlug den Takt mit seiner Stimmpfeife in die Luft, die Klarinetten jaulten erschöpft, die Saxophone blökten asthmatisch, das Bombardon und die Trompeten krächzten mit letzten Kräften, aber sie schafften es bis zum Dorf, bis zum Fuß des steilen Weges, der zum Friedhof hinaufführte. Seit geraumer Zeit hatten Annibale Cantalamessa und Pio Bo nur noch so getan, als ob sie bliesen, aber Jacopo spielte wacker weiter seine Rolle als Hirtenhund unter Don Ticos verständnisinnigen Blicken. Verglichen mit der kommunalen Kapelle hatten sie keine schlechte Figur gemacht, und das sagten nun auch Terzi und die anderen Kommandanten der Brigaden: Bravo, Jungs, großartig habt ihr gespielt.

Ein Kommandant mit blauem Halstuch und einem Regenbogen von Ordensbändern aus beiden Weltkriegen sagte: »Herr Pfarrer, lassen Sie die Jungs sich erst mal hier im Dorf ausruhen, sie können nicht mehr. Geht nachher rauf, am Ende. Da wird dann ein Pritschenwagen kommen, der bringt euch zurück nach ***.«

Sie stürmten in die Osteria, und die Männer von der kommunalen Kapelle, alte Hasen, gestählt durch unzählige Beerdigungen, stürzten sich hemmungslos auf die Tische und bestellten Kutteln und Wein in rauen Mengen. Sie würden da zechend bis zum Abend bleiben. Die Jungs von Don Tico versammelten sich am Tresen, wo der Wirt Granita di Menta servierte, grün wie ein chemisches Experiment. Das Eis flutschte durch die Kehle und rief einen Schmerz in der Mitte der Stirn hervor, wie bei einer Nebenhöhlenentzündung.

Dann waren sie zum Friedhof hinaufgestiegen, wo der Pritschenwagen schon auf sie wartete. Sie waren lärmend auf die Ladefläche geklettert und standen dicht gedrängt, einander mit den Instrumenten anstoßend, als aus dem Friedhof der Kommandant mit den vielen Ordensbändern kam und sagte: »Herr Pfarrer, für die Schlusszeremonie brauchten wir rasch noch eine Trompete, Sie wissen schon, die üblichen Signale. Eine Sache von fünf Minuten.«

»Trompeter!« rief Don Tico. Und der unselige Inhaber des begehrten Titels, inzwischen ganz verklebt von pfefferminzgrüner Granita und begierig auf das heimische Mahl, ein träger Bauernlümmel ohne jedes Gespür für ästhetischen Schauder und höhere Ideale, begann zu jammern, es wäre schon spät, er wolle nach Hause, er hätte gar keine Spucke mehr und so weiter und so fort, und der arme Don Tico stand ganz blamiert vor dem Kommandanten.

Da sagte Jacopo, der in der Glorie des Mittags das süße Bildnis Ceciliens erspähte: »Wenn er mir die Trompete gibt, gehe ich.«

Dankbares Leuchten in den Augen Don Ticos, Erleichterung in dem verschwitzten Gesicht des offiziellen Trompeters. Austausch der Instrumente, wie zwei Wachen.

Und Jacopo schritt in den Friedhof hinein, geführt von dem Psychopompos mit den Ordensbändern aus Addis Abeba. Alles ringsum war weiß, die Mauer im blendenden Sonnenlicht, die Gräber, die blühenden Bäume an der Umfriedung, das Chorhemd des Probstes, der zum Segnen bereitstand, alles außer dem verblichenen Braun der Fotos auf den Grabsteinen. Und außer dem großen Farbfleck der vor den zwei offenen Gräbern angetretenen Formationen.

»Junge«, sagte der Kommandant, »stell dich hier neben mich, und auf mein Kommando bläst du das Attenti. Danach, wieder auf mein Kommando, das Riposo. Ist doch ganz leicht, oder?«

Kinderleicht. Nur hatte Jacopo noch nie ein Habt-acht und noch nie ein Rührt-euch geblasen.

Er hielt die Trompete im angewinkelten rechten Arm, an die Rippen gedrückt, den Trichter ein wenig nach unten gerichtet, als wär's ein Karabiner, und wartete, Kopf hoch, Bauch rein, Brust raus.

Terzi hielt eine kleine Rede mit lauter sehr kurzen Sätzen. Jacopo überlegte: Beim Blasen würde er die Augen zum Himmel heben müssen, und dann würde ihn die Sonne blenden. Aber so stirbt ein Trompeter, und da man nur einmal stirbt, tut man's lieber gleich richtig.

Dann flüsterte der Kommandant ihm zu: »Jetzt!« Und begann laut: »Aaa... « Und Jacopo wusste nicht, wie man ein At-ten-ti bläst.

Die Tonfolge musste sehr viel komplexer sein, aber in diesem Augenblick war er nur fähig, C-E-G-C zu blasen, und jenen rauen Kriegsmännern schien das auch zu genügen. Bevor er zum abschließenden C ansetzte, holte er tief Luft, damit er den Ton lange aushallen konnte, so lange, dass ihm Zeit genug blieb —, schrieb Belbo —, die Sonne zu erreichen.