Ich hielt einen Augenblick inne. »Vielleicht mach ich's ein bisschen zu sehr auf Western. Wahrscheinlich gab es eine dritte Phase: Der Orden ist reich geworden, inzwischen kommen auch Leute, die zu Hause gut situiert sind. Aber Templer sein heißt jetzt nicht mehr unbedingt, im Heiligen Land zu wirken, man kann auch zu Hause den Templer spielen. Eine komplizierte Geschichte. Mal erscheinen sie als rohe Haudegen, mal legen sie eine gewisse Sensibilität an den Tag. Zum Beispiel kann man nicht sagen, dass sie Rassisten gewesen wären: Sie bekämpften die Muslime, dazu waren sie da, aber in ritterlichem Geist, und man hatte Achtung voreinander. Als der Gesandte des Emirs von Damaskus Jerusalem besucht, überlassen die Templer ihm eine kleine Moschee, die schon zur christlichen Kirche umfunktioniert worden war, damit er dort seine Gebete verrichten kann. Eines Tages kommt ein Franke herein, empört sich über die Anwesenheit eines ›Muselmanns‹ an einem heiligen Ort und misshandelt ihn. Aber die Templer jagen den Intoleranten hinaus und entschuldigen sich für ihn bei dem Muslim. Diese Waffenbrüderschaft mit dem Feind kommt sie schließlich teuer zu stehen, denn im Prozess werden sie auch beschuldigt, Beziehungen zu esoterischen Muslim-Sekten unterhalten zu haben. Was vielleicht sogar stimmte, es war wohl ein bisschen wie bei jenen Abenteurern im vorigen Jahrhundert, die sich die ›Afrikanische Krankheit‹ holten. Sie hatten keine reguläre Klostererziehung genossen, sie waren nicht besonders feinsinnig im Erfassen der theologischen Unterschiede, man muss sie sich vielleicht so vorstellen wie Lawrence von Arabien, der sich nach einer Weile wie ein Scheich anzieht... Naja, und außerdem ist es schwierig, ihre Aktionen richtig einzuschätzen, weil die christlichen Geschichtsschreiber oft, wie Guillaume von Tyrus, keine Gelegenheit auslassen, um sie anzuschwärzen.«
»Warum?«
»Weil sie zu schnell zu mächtig geworden sind. Schuld daran war der heilige Bernhard — Bernhard von Clairvaux, der ist Ihnen doch ein Begriff, nein? Großer Organisator, reformiert den Benediktinerorden, räumt gnadenlos allen Schmuck aus den Kirchen, wenn ein Kollege ihm auf die Nerven geht, wie Abaelard, attackiert er ihn a la McCarthy und würde ihn, wenn er könnte, am liebsten auf den Scheiterhaufen bringen. Ersatzweise lässt er seine Bücher verbrennen. Dann ruft er zum Kreuzzug auf und predigt: Bewaffnet euch und zieht los gegen die Heiden ... «
»Sie mögen ihn nicht«, bemerkte Belbo.
»Ich kann ihn nicht ausstehen, wenn es nach mir ginge, säße er jetzt in einem der inneren Höllenkreise, von wegen Heiliger! Aber er war ein guter PR-Mann seiner selbst, siehe die Position, die ihm Dante verleiht: er macht ihn zum Kabinettschef der Madonna. Heiliger ist er geworden, weil er sich mit den richtigen Leuten zusammengetan hat. Aber ich sprach von den Templern. Bernhard hat sofort gerochen, dass die Idee kultiviert werden muss, er unterstützt diese neun Abenteurer, macht sie zu einer Militia Christi, wir können ruhig sagen, die Templer in ihrer heroischen Version, die hat er erfunden. 1128 lässt er extra ein Konzil in Troyes einberufen, um zu definieren, was genau diese neuen Mönchssoldaten sein sollen, und ein paar Jahre später schreibt er eine Eloge auf diese ›Christus-Milizen‹ und entwirft eine Regel mit zweiundsiebzig Artikeln, amüsant zu lesen, weil man da alles finden kann. Jeden Tag Messe, kein Umgang mit exkommunizierten Rittern, aber wenn einer von ihnen um Aufnahme in den Tempel ersucht, muss man ihn christlich empfangen — da können Sie sehen, wie recht ich hatte, als ich von Fremdenlegion sprach. Weiße Mäntel sollten sie tragen, einfache, ohne Pelz, es sei denn von Lämmern oder von Widdern, feine modische Schnabelschuhe waren verboten, geschlafen wurde in Hemd und Hose, auf einer Matratze mit Laken und brav unter einer Decke ...«
»Muss ganz schön gestunken haben bei der Hitze da«, meinte Belbo.
»Von Gestank reden wir noch. Es gab noch andere Härten in Bernhards Regeclass="underline" nur eine Schüssel für zwei, beim Essen darf nicht geredet werden, Fleisch nur dreimal die Woche, freitags wird gefastet, aufgestanden wird im Morgengrauen, wenn die Arbeit schwer war, darf man ein Stündchen länger schlafen, aber dafür muss man im Bett dreizehn Vaterunser beten. Es gibt einen Meister, eine ganze Hierarchie absteigender Ränge, bis runter zu den Stallmeistern, Pferdeburschen, Dienern und Knechten. Jeder Ritter soll drei Pferde und einen Knappen haben, keinerlei Schmuck am Zaumzeug, an Sattel und Sporen, einfache, aber gute Waffen, die Jagd ist verboten, außer auf Löwen. Kurzum, ein Leben in Buße und Kampf. Ganz zu schweigen vom Keuschheitsgelübde, auf dem wird besonders herumgeritten, denn es ging ja um Leute, die nicht im Kloster lebten, sondern Krieg führten, die in der Welt lebten, wenn man die Schlangengrube Welt nennen will, die damals das Heilige Land gewesen sein muss. Im Kern sagt die Regel, dass der Umgang mit Frauen höchst gefährlich ist und dass man niemand küssen darf außer der Mutter, der Schwester und der Tante.«
Belbo nickte: »Recht so, allerdings bei der Tante wäre ich vorsichtiger... Aber sagen Sie, hat man die Templer nicht auch der Sodomie bezichtigt? Es gibt da doch dieses Buch von Klossowski, Der Baphomet. War der Baphomet nicht so eine Art teuflische Gottheit bei denen?«
»Darauf komme ich gleich. Aber erst überlegen Sie maclass="underline" Die führten ein Leben wie Seeleute, monatelang nur Wüste und nichts als Wüste. Man kommt sich vor wie am Arsch der Welt, es ist Nacht, man legt sich ins Zelt mit dem Typ, mit dem man aus derselben Schüssel gegessen hat, man ist müde und friert und hat Durst und Angst und sehnt sich nach Muttern. Was macht man da?«
»Männerliebe, thebanische Legion«, suggerierte Belbo.
»Aber bedenken Sie, was für ein Höllenleben, umgeben von anderen Kriegern, die kein Gelübde abgelegt haben, wenn die eine Stadt überfallen, greifen sie sich das Maurenmädchen, ambraduftender Bauch und Sammetaugen, und was macht der arme Templer unter den aromatischen Zedern des Libanon? Lassen Sie ihm den Maurenjungen. Und jetzt verstehen Sie auch, warum sich die Redensart ›trinken und fluchen wie ein Templer‹ verbreitet. Es ist ein bisschen wie die Geschichte mit dem Kaplan im Schützengraben: er säuft und flucht mit seinen analphabetischen Kameraden. Und wenn's nur das wäre. In ihrem Wappen sind sie immer zu zweit dargestellt, einer dicht hinter dem andern auf demselben Pferd. Warum, wo doch die Regel jedem von ihnen drei Pferde gönnte? Muss eine Idee von Bernhard gewesen sein, um ihre Armut zu symbolisieren, oder die Duplizität ihrer Rolle als Ritter und Mönche. Aber was meinen Sie wohl, was die Leute sich dabei dachten, wenn sie diese komischen Mönche sahen, die da pärchenweise so eng aneinandergepresst herumgaloppierten, einer mit dem Bauch am Hintern des andern? Man wird sie auch ganz schön verleumdet haben ...«
»Das hatten sie sich ja wohl selbst zuzuschreiben«, warf Belbo ein. »Dieser heilige Bernhard wird doch nicht blöd gewesen sein?«
»Nein, blöd war er nicht, aber auch er war ein Mönch, und Mönche hatten damals eine sonderbare Vorstellung vom Körper... Eben hatte ich noch gefürchtet, meine Geschichte zu sehr als Western aufgezogen zu haben, aber wenn ich's mir recht überlege, hören Sie, was Bernhard über seine geschätzten Ritter sagt, ich habe das Zitat mitgebracht, weil sich's wirklich lohnt: ›Sie meiden und verabscheuen die Mimen, die Taschenspieler und Gaukler, die ungehörigen Lieder und Farcen, sie schneiden sich die Haare kurz, da sie vom Apostel gelernt haben, dass es eine Schande sei für einen Mann, die eigene Haartracht zu pflegen. Nie sieht man sie gekämmt, selten gewaschen, ihr Bart ist struppig, sie stinken und starren vor Schmutz in ihren Rüstungen und in der Hitze.‹ «