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»Das ist ein Kreditbrief«, sagte Belbo.

»Genau, sie haben den Scheck erfunden, lange vor den ersten Bankiers in Florenz. Und folglich, so peu a peu, teils durch Schenkungen, teils durch Eroberungen mit Waffengewalt, teils durch die Provisionen auf ihre Finanzoperationen, werden die Templer ein multinationaler Konzern. Um solch ein Unternehmen zu führen, braucht man Leute, die den Kopf fest auf den Schultern haben, Leute, die imstande sind, einen wie Papst Innozenz III. zu überreden, ihnen außerordentliche Privilegien einzuräumen: Der Orden darf alles, was er im Krieg erbeutet, behalten, und wo immer er Güter hat, untersteht er weder dem König noch den Bischöfen, noch dem Patriarchen von Jerusalem, sondern ganz allein nur dem Papst. An jedem Ort vom Zehnten befreit, hat er das Recht, in den von ihm kontrollierten Gebieten selber den Zehnten einzutreiben... Mit einem Wort, er ist ein florierendes Unternehmen, in das niemand seine Nase reinstecken kann. Kein Wunder, dass er von den Bischöfen und den weltlichen Herren scheel angesehen wird, und doch kann niemand auf ihn verzichten. Die Kreuzfahrer sind Wirrköpfe, Leute, die losziehen, ohne zu wissen, wohin und was sie dort vorfinden werden, die Templer dagegen sind dort zu Hause, sie wissen, wie man mit dem Feind verhandelt, sie kennen die Gegend und die Kriegskunst. Der Templerorden ist eine seriöse Angelegenheit, auch wenn sein Ruf auf den Rodomontaden seiner Sturmtruppen beruht.«

»Waren es denn bloß Rodomontaden?«, fragte Diotallevi.

»Meistens schon, man staunt immer wieder über die Kluft zwischen ihrer politischen und administrativen Klugheit und ihrem draufgängerischen Stil a la Green Berets, bloß Mut und kein Hirn. Nehmen wir nur mal die Geschichte von Askalon... «

»Ja, nehmen wir sie«, sagte Belbo, der sich für einen Moment weggedreht hatte, um mit übertrieben großer Gebärde eine gewisse Dolores zu begrüßen.

Die so Begrüßte setzte sich zu uns an den Tisch und rief: »Au ja, ich will die Geschichte von Askalon hören, ich will sie hören.«

»Also. Eines Tages beschließen der König von Frankreich, der deutsche Kaiser, König Balduin III. von Jerusalem und die beiden Großmeister der Templer und der Johanniter, die Stadt Askalon zu belagern. Alle ziehen los mit Riesentamtam, der König, der Hofstaat, der Patriarch, die Priester mit ihren Kreuzen und Standarten, die Erzbischöfe von Tyrus, Nazareth und Cäsarea — kurz, die Belagerung wird wie ein großes Fest aufgezogen, mit Zelten vor den Mauern der Stadt und mit Kriegsbannern, Oriflammen, großen Wappenschilden und Trommeln... Askalon war mit hundertfünfzig Türmen befestigt, die Einwohner hatten sich seit geraumer Zeit auf die Belagerung vorbereitet, jedes Haus war mit Schießscharten versehen, jedes zu einer Festung in der Festung ausgebaut worden. Man sollte meinen, die Templer, die doch so dolle Typen waren, die hätten das wissen müssen. Aber von wegen, nix da, sie mühen sich ab, sie bauen sich Belagerungsmaschinen, sogenannte Schildkröten und Türme aus Holz, ihr wisst schon, diese Dinger auf Rädern, die man bis vor die feindlichen Mauern schiebt, wo sie dann Steine und Brandfackeln schleudern, während von hinten die Katapulte große Wackmänner katapultieren... Die Belagerten versuchen, die Türme in Brand zu stecken, aber der Wind steht für sie ungünstig, die Flammen ergreifen die Mauern, das Mauerwerk bricht an mindestens einer Stelle zusammen. Das ist die Bresche! Alle Belagerer rennen los wie ein Mann — und jetzt passiert das Seltsame: der Großmeister des Templerordens lässt den Zugang versperren, sodass nur seine Leute in die Stadt gelangen. Die Böswilligen behaupten später, er hätte das nur getan, damit die Templer allein plündern könnten, die Gutwilligen meinen, er hätte einen Hinterhalt gefürchtet und wollte seine tapferen Krieger vorschicken. Na, jedenfalls, wie auch immer, ich würde ihn nicht zum Chef einer Militärakademie ernennen, denn was passiert? Vierzig Templer preschen mit achtzig Sachen quer durch die ganze Stadt, bis sie an die gegenüberliegende Mauer stoßen, bremsen in einer großen Staubwolke, schauen sich verdutzt in die Augen und fragen sich, was zum Teufel sie da eigentlich wollen, machen kehrt und preschen zurück, Hals über Kopf direkt in den Hinterhalt der Sarazenen, die sie mit einem Hagel von Steinen und Glasscherben aus den Fenstern empfangen und sie allesamt massakrieren, inklusive den Großmeister, um dann die Bresche zu schließen, die Leichen außen an den Mauern aufzuhängen und den Christen draußen mit grässlichem Grinsen obszöne Gesten hinunterzuwerfen, als riefen sie höhnisch — natürlich in ihrer Maurensprache — Fuck you

»Der Mohr ist grausam«, nickte Belbo.

»Wie die kleinen Kinder«, wiederholte Diotallevi.

»Wow!«, rief die Dolores hingerissen. »Das müssen ja irre Typen gewesen sein, deine Templer!«

»Mich erinnern sie an Tom und Jerry«, sagte Belbo.

Ich bereute. Schließlich lebte ich seit zwei Jahren mit den Templern und mochte sie. Erpresst vom Snobismus meiner Zuhörer, hatte ich sie als Comicfiguren dargestellt. Schuld war vielleicht Guillaume von Tyrus, der ungetreue Chronist. Sie waren nicht so, die Ritter vom Tempel, sie waren ganz anders. Bärtig und flammend, das prächtige rote Kreuz auf dem weißen Mantel, sprengten sie hoch zu Roß dahin im Schatten ihres schwarz-weißen Banners, des Beauceant, nichts anderes im Sinne, als edel und todesmutig ihren Dienst zu erfüllen, und der Schweiß, von dem Bernhard sprach, war vielleicht ein bronzener Schimmer, der ihrem furchtbaren Lächeln einen sarkastischen Adel verlieh, wenn sie sich anschickten, ihren Abschied vom Leben so grausam zu feiern... Löwen im Krieg, wie Jacques de Vitry sagte, Lämmer voll Sanftmut im Frieden, roh in der Schlacht und fromm im Gebet, wild mit den Feinden und mild zu den Brüdern, gezeichnet vom Weiß und Schwarz ihres Banners, da strahlend rein für die Freunde Christi und finsterschrecklich für seine Feinde.

Pathetische Glaubenskämpfer, letzte Beispiele einer untergehenden Kavallerie — warum behandelte ich sie wie ein beliebiger Ariost, während ich doch ihr Joinville hätte sein können? Mir kamen die Seiten in den Sinn, die ihnen der Verfasser der Histoire de Saint Louis gewidmet hatte, der mit Ludwig dem Heiligen ins Heilige Land gekommen war, als sein Schreiber und Mitstreiter zugleich. Die Templer gab es bereits seit einhundertfünfzig Jahren, Kreuzzüge waren genug geführt worden, um jedes Ideal zuschanden zu machen. Verblasst wie Phantome sind die Heldenfiguren der Königin Melisenda und König Balduins des Leprösen, erschöpft die internen Kämpfe des seit damals blutüberströmten Libanon, Jerusalem ist bereits einmal gefallen, Barbarossa ist in Kilikien ertrunken, Richard Löwenherz kehrt geschlagen und gedemütigt heim im Gewande eben des Templers, die Christenheit hat ihre Schlacht verloren, die Mauren haben einen ganz anderen Sinn für den Zusammenschluss autonomer Potentaten zur gemeinsamen Verteidigung einer Kultur — sie haben Avicenna gelesen, sie sind nicht ignorant wie die Europäer, wie kann man zweihundert Jahre lang einer toleranten, mystischen und zugleich sinnenfreudigen Kultur ausgesetzt sein, ohne ihren Verlockungen nachzugeben, zumal wenn man sie mit der abendländischen Kultur vergleicht, mit dem rohen, rüpelhaften, barbarischen und germanischen Westen? Als es im Jahre 1244 zum letzten und definitiven Fall Jerusalems kommt, ist der Krieg, der hundertfünfzig Jahre zuvor begonnen hatte, verloren, die Christen müssen aufhören, Waffen in ein Land zu tragen, dessen Bestimmung der Frieden ist und der Duft der Zedern des Libanon. Arme Templer, wozu hat euer ganzes Heldenepos gedient?