Und als der König fragt, was für Nachricht man von seinem Bruder habe, dem zur Hölle gefahrenen Grafen Artois, antwortet ihm Bruder Henry de Ronnay, Oberhaupt des Johanniterordens: »Gute Nachricht, denn gewiss ist Graf Artois jetzt schon im Paradiese.« Gelobt sei Gott für alles, was er uns schickt, sagt der König, und dicke Tränen rinnen ihm aus den Augen.
Nicht immer ist es Ballett, ob zierlich oder blutig. Der Großmeister Guillaume de Sonnac verbrennt lebendigen Leibes im griechischen Feuer, das christliche Heer wird, infolge des großen Leichengestanks und des Mangels an Lebensmitteln, vom Skorbut erfasst, die Flotte des heiligen Ludwig ist zerstört, der König wird von der Ruhr ausgesogen, sodass er in der Schlacht, um Zeit zu gewinnen, sich den Hosenboden aufschneiden muss. Damiette ist verloren, die Königin muss mit den Sarazenen verhandeln und bezahlt ihnen fünfhunderttausend französische Pfund für das Leben des Königs.
Aber Kreuzzüge führt man mit kardinaler Unredlichkeit. In Akkon wird Ludwig als Triumphator empfangen, die ganze Stadt zieht ihm in großer Prozession entgegen, samt Klerus, Frauen und Kindern. Die Templer denken weiter und versuchen, in Verhandlungen mit Damaskus zu treten. Ludwig kriegt Wind davon, erträgt es nicht, übergangen worden zu sein, staucht den neuen Großmeister vor den versammelten Botschaftern der Sarazenenherrscher zusammen, und der Großmeister widerruft das den Feinden gegebene Wort, kniet vor dem König nieder und bittet ihn um Vergebung. Man kann nicht sagen, dass die Ritter sich nicht gut geschlagen hätten, sie waren tapfer und selbstlos, aber der König von Frankreich demütigt sie, um seine Macht zu stabilisieren — und aus demselben Grunde wird sein Nachfolger Philipp sie ein halbes Jahrhundert später auf den Scheiterhaufen schicken.
Im Jahre 1291 wird Akkon von den Sarazenen erobert, und alle Einwohner werden geopfert. Mit dem restlichen Königreich von Jerusalem ist es vorbei. Die Templer sind wohlhabender, zahlreicher und mächtiger denn je, doch im Heiligen Lande, das zu befreien sie sich einst aufgemacht hatten, im Heiligen Lande gibt es die Templer nicht mehr.
Sie leben glanzvoll begraben in ihren Komtureien überall in Europa und im Tempel zu Paris, und sie träumen noch immer von der Esplanade des Tempels zu Jerusalem in den glorreichen Zeiten — die schöne Kirche Sankt Marien in Lateran, vollgestopft mit Votivkapellen und Siegestrophäen, umgeben von emsigen Schmiedewerkstätten, Sattlereien, Tuchwebereien und Kornspeichern, dazu ein Stall mit zweitausend Pferden, ein Gewimmel von Schildknappen, Adjutanten, türkischen Söldnern, die weißen Mäntel mit roten Kreuzen, die braunen Kutten der Hilfskräfte, die Gesandten des Sultans mit großen Turbanen und vergoldeten Helmen, die Pilger, ein Hin und Her von schönen Reiterschwadronen und Kurieren, dazu die Pracht der vollen Tresore, der Hafen, aus dem Befehle und Dispositionen ausgingen, Ladungen für die Burgen des Mutterlandes, der Inseln, der Küsten Kleinasiens...
Vorbei, meine armen Templer, alles vorbei.
Mit einem Mal wurde mir bewusst, an jenem Abend in Pilades Bar, beim fünften Whisky, den Belbo mir förmlich aufzwang, dass ich geträumt hatte, sentimental (welche Schande), aber laut, und dass ich eine wunderschöne Geschichte erzählt haben musste, mit Leidenschaft und Mitgefühl, denn Dolores hatte glänzende Augen, und Diotallevi, der sich inzwischen sogar ein zweites Tonicwater geleistet hatte, drehte seraphisch die Augen zum Himmel, beziehungsweise zur keineswegs sefirothischen Decke der Bar, und murmelte: »Vielleicht waren sie alles das zugleich: verlorene und gerettete Seelen, Rossknechte und Ritter, Bankiers und Recken... «
»Gewiss waren sie einzigartig«, lautete Belbos Urteil. »Aber sagen Sie, Casaubon, mögen Sie sie?«
»Ich promoviere über sie, und wer über die Syphilis promoviert, mag am Ende sogar die bleichen Spirochäten.«
»Ach, schön wie ein Film war das«, seufzte das Mädchen Dolores. »Aber jetzt muss ich gehen, tut mir leid, ich muss noch Flugblätter für morgen abziehen. Bei Marelli wird gestreikt«
»Sei froh, dass du dir das erlauben kannst«, sagte Belbo, hob müde eine Hand und strich ihr übers Haar.
Dann bestellte er den, wie er sagte, letzten Whisky und bemerkte: »Es ist fast Mitternacht. Ich denke dabei nicht an die gewöhnlichen Sterblichen, aber an Diotallevi. Trotzdem, beenden wir die Geschichte, ich möchte noch wissen, was es mit dem Prozess auf sich hatte. Wann, wie, warum ...«
»Cur, quomodo, quando«, stimmte Diotallevi zu. »Ja ja!«
14
Er sagte aus, er habe am Abend zuvor mit eigenen Augen gesehen, wie vierundfünfzig Brüder besagten Ordens auf einem Karren zum Scheiterhaufen geführt worden seien, weil sie die obengenannten errores nicht hätten gestehen wollen, und er habe sagen hören, sie seien verbrannt worden, und er selber würde, weil er fürchte, daß er nicht gut standzuhalten vermochte, so man ihn verbrennte, aus Angst vor dem Tode gestehen und auch beeiden, vor den genannten Herren Kommissaren und vor einem jedem beliebigen andern, so man ihn verhörte, daß alle dem Orden vorgeworfenen errores wahr seien, und daß er, so man es von ihm verlangte, sogar gestehen würde, unseren lieben Herrn Jesum Christum umgebracht zu haben.
Aussage des Templers Aimery de Villiers-le-Duc am 13.5.1310
Ein Prozess voller Lücken, Widersprüche, Rätsel und Dummheiten. Die Dummheiten waren am auffälligsten, und da sie mir unerklärlich waren, warf ich sie mit den Rätseln zusammen. In jenen glücklichen Studientagen glaubte ich noch, dass die Dummheit Rätsel erzeuge. Vorgestern Abend im Periskop dachte ich, dass die schrecklichsten Rätsel, um nicht als solche erkannt zu werden, sich als Verrücktheit tarnen. Heute denke ich, dass die Welt ein gutartiges Rätsel ist, das unsere Verrücktheit schrecklich macht, weil sie sich anmaßt, es nach ihrer Wahrheit zu deuten.
Die Templer hatten kein Ziel mehr. Oder besser gesagt, sie hatten die Mittel zum Zweck gemacht, sie verwalteten ihren immensen Reichtum. Kein Wunder, dass ein auf Zentralisierung erpichter Monarch wie Philipp der Schöne sie scheel ansah. Wie ließ sich ein souveräner Orden unter Kontrolle halten? Der Großmeister hatte den Rang eines Fürsten von Geblüt, er befehligte eine Armee, verwaltete einen immensen Grundbesitz, war gewählt wie der Kaiser und besaß eine unumschränkte Autorität. Der französische Staatsschatz befand sich nicht in den Händen des Königs, sondern wurde im Pariser Tempel gehütet. Die Templer waren die Depositäre, Prokuristen und Verwalter eines formal auf den Namen des Königs eingetragenen Kontos. Sie kassierten, bezahlten, spekulierten mit den Zinsen, kurzum: sie benahmen sich wie eine große Privatbank, aber mit allen Privilegien und Freiheiten einer Staatsbank. Und des Königs Schatzmeister war ein Templer ... Kann man unter solchen Bedingungen ernstlich regieren?
Wen man nicht schlagen kann, den muss man umarmen. Philipp ersuchte den Orden, ihn zum Ehrenmitglied zu ernennen. Die Antwort war negativ. Eine Beleidigung, die sich ein König merkt. Er wandte sich an den Papst und legte ihm nahe, die Templer mit den Johannitern zu fusionieren, um den neuen Orden dann einem seiner Söhne zu unterstellen. Der Großmeister des Tempels, Jacques de Molay, kam mit großem Pomp aus Zypern angereist, wo er inzwischen wie ein Monarch im Exil residierte, und legte dem Papst eine Denkschrift vor, in der er scheinbar die Vorteile, in Wahrheit aber die Nachteile der Fusion hervorhob. Ohne Scham gab Molay unter anderem zu bedenken, dass die Templer reicher als die Johanniter seien, die Fusion also mehr den einen als den anderen zugutekäme, was den Seelen seiner Ritter sehr zum Schaden gereichen würde. Molay gewann diese erste Partie des beginnenden Spiels, der Fall wurde zu den Akten gelegt.