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Seine Feinde bezichtigten ihn der Hexerei und brachten ihn an den Galgen. Viele begannen, Molay als einen Märtyrer zu sehen. Dante hat den Unmut vieler Zeitgenossen über die Verfolgung der Templer zum Ausdruck gebracht.

Hier endet die Historie und beginnt die Legende. In einem ihrer Kapitel heißt es, als Ludwig XVI. guillotiniert worden war, sei ein Unbekannter auf das Schafott gesprungen und habe gerufen: »Jacques de Molay, du bist gerächt!«

Dies mehr oder minder war die Geschichte, die ich an jenem Abend bei Pilade erzählte, alle naselang unterbrochen von meinen Zuhörern.

So fragte mich Belbo an einem bestimmten Punkt: »Also das ... sind Sie sicher, dass Sie das nicht bei Orwell gelesen haben, oder bei Koestler?« Und an einem anderen: »Also das ist ja genau wie bei ... na, wie heißt doch gleich der mit der Kulturrevolution? ...« Diotallevi kommentierte dann jedes- mal sentenziös: »Historia magistra vitae«, worauf Belbo zu ihm sagte: »He, he, ein Kabbalist glaubt nicht an die Geschichte«, und er, unerschütterlich: »Eben, alles wiederholt sich im Kreise, die Geschichte ist Lehrmeisterin des Lebens, weil sie lehrt, dass sie nicht existiert. Jedoch die Permutationen zählen.«

»Aber alles in allem«, sagte Belbo am Ende, »was waren denn nun diese Templer für Leute? Zuerst haben Sie sie uns wie Sergeanten in einem Film von John Ford vorgeführt, dann als Dreckschweine, dann wie Ritter in einer alten Miniatur, dann als Gottes eigene Bankiers, die ihren schmutzigen Geschäften nachgehen, dann wieder als eine geschlagene Armee, dann als Anhänger einer luziferischen Sekte und schließlich als Märtyrer des freien Denkens ...Was waren sie?«

»Es wird schon einen Grund dafür geben, dass sie zum Mythos geworden sind. Wahrscheinlich waren sie alles zugleich. Was war die katholische Kirche, könnte sich ein Historiker vom Mars im Jahre dreitausend fragen, wer waren die Christen? Die, die sich von den Löwen auffressen ließen, oder die, die die Ketzer erschlugen? Alles zugleich.«

»Aber all diese schlimmen Sachen, die ihnen vorgeworfen wurden, hatten sie die nun getan oder nicht?«

»Das Schöne ist, dass ihre eigenen Anhänger, ich meine die Neotempler diverser Epochen, diese Frage bejahen. Rechtfertigungen gibt es viele. Erste These: es handelte sich um Mutproben — nach dem Motto: Willst du ein Templer sein, dann zeig uns, dass du ein Kerl bist, spuck aufs Kruzifix, und wir werden ja sehen, ob Gottes Blitzschlag dich trifft; wenn du in diesen Orden eintrittst, musst du dich mit Haut und Haaren den Brüdern verschreiben, also lass dich auf den Hintern küssen. Zweite These: sie wurden aufgefordert, Christus zu verleugnen, damit man sah, wie sie sich verhalten würden, wenn sie den Sarazenen in die Hände fielen. Eine idiotische These, finde ich, denn man bringt nicht jemandem bei, der Folter zu widerstehen, indem man ihn genau das tun lässt, wenn auch nur symbolisch, was der Folterer von ihm verlangen wird. Dritte These: die Templer im Orient waren mit manichäischen Ketzern in Berührung gekommen, die das Kreuz verachteten, weil es das Werkzeug der Folter des Herrn war, und die predigten, man müsse der Welt entsagen und auf Ehe und Nachkommenschaft verzichten. Eine alte Idee, typisch für viele Häresien in den ersten Jahrhunderten, die später auch bei den Katharern wieder auftaucht — und es gibt eine ganze Richtung der Tradition, nach der die Templer zutiefst vom Katharismus durchtränkt waren. Das würde auch die Sodomie erklären, selbst wenn sie nur symbolisch war. Nehmen wir an, die Ritter sind mit diesen Häretikern in Berührung gekommen: sie waren gewiss keine Intellektuellen; ein bisschen aus Naivität, ein bisschen aus Snobismus und Korpsgeist bastelten sie sich eine private Folklore zusammen, die sie von anderen Kreuzfahrern unterschied. Sie praktizierten ihre Riten als Erkennungsgesten, ohne sich groß zu fragen, was sie bedeuteten.«

»Und der Baphomet?«

»Sehen Sie, in vielen Aussagen ist zwar von einer figura Baphometi die Rede, aber es könnte sich auch um einen Fehler des ersten Schreibers handeln, der sich dann in allen Dokumenten wiederholt hat, zumal wenn die Protokolle manipuliert worden sind. In anderen Fällen spricht manchmal jemand von Mohammed (istud caput vester deus est, et vester Mahumet — dieser Kopf ist euer Gott und euer Mohammed), und das würde bedeuten, dass die Templer sich eine synkretistische Liturgie zurechtgemacht hatten. In einigen Aussagen heißt es auch, sie seien aufgefordert worden, ›Yalla‹ anzurufen, was Allah gewesen sein muss. Aber die Muslime verehren keine Bildnisse von Mohammed, also wer könnte dann sonst die Templer beeinflusst haben? In den Aussagen heißt es, viele hätten diese Köpfe gesehen, und manchmal ist es anstatt eines Kopfes sogar ein ganzes Götzenbild, aus Holz, mit Kraushaar, vergoldet, und immer mit Bart. Es scheint, dass die Inquisitoren einige dieser Köpfe gefunden und den Verhörten gezeigt haben, aber am Ende ist keine Spur von ihnen geblieben, alle haben sie gesehen, keiner hat sie gesehen. Wie die Geschichte mit der Katze: die einen haben eine graue gesehen, die anderen eine rote, die dritten eine schwarze. Aber stellen Sie sich ein Verhör mit glühenden Eisen vor: Hast du während deiner Initiation eine Katze gesehen? Sicher, wieso auch nicht, auf einem Templergut mit all den Vorräten, die es vor Mäusen zu schützen galt, muss es von Katzen gewimmelt haben. Damals war die Katze in Europa noch nicht sehr verbreitet als Haustier, aber in Ägypten schon. Wer weiß, vielleicht haben sich die Templer zu Hause Katzen gehalten, entgegen den Gebräuchen der braven Leute, die Katzen als verdächtige Tiere ansahen. Und so kann es auch mit den Baphomet-Köpfen gewesen sein, vielleicht waren es Reliquiare in Form eines Kopfes, das gab es damals. Natürlich gibt es auch Leute, die behaupten, der Baphomet sei eine alchimistische Figur gewesen.«

»Die Alchimie ist immer im Spiel«, sagte Diotallevi mit Überzeugung. »Wahrscheinlich kannten die Templer das Geheimnis, wie man Gold macht.«

»Sicher kannten sie es«, sagte Belbo. »Man stürmt eine sarazenische Stadt, schlachtet Frauen und Kinder ab und rafft alles zusammen, was man kriegen kann... In Wahrheit ist das Ganze eine ziemlich krause Geschichte.«

»Vielleicht hatten sie auch ein krauses Durcheinander in ihren Köpfen, verstehen Sie? Was kümmerten sie die doktrinären Debatten? Die Geschichte ist voll von Geschichten solcher Eliten, die sich ihren eigenen Stil zurechtbosselten, ein bisschen großmäulig, ein bisschen mystisch, sie wussten selber nicht recht, was sie taten... Natürlich gibt es dann auch die esoterische Deutung: Sie wussten sehr genau, was sie taten, sie wussten alles, sie waren Jünger der orientalischen Mysterien, und sogar der Arschkuss hatte einen initiatischen Hintersinn.«

»Erklären Sie mir mal ein bisschen, was der Arschkuss für einen initiatischen Hintersinn hatte«, sagte Diotallevi.

»Gewisse moderne Esoteriker behaupten, die Templer hätten sich auf indische Lehren berufen. Der Kuss auf den Hintern habe dazu gedient, die Schlange Kundalini zu wecken, eine kosmische Kraft, die an der Wurzel des Rückgrats sitze, in den Geschlechtsdrüsen, und die, wenn sie einmal geweckt worden sei, die Zirbeldrüse erreiche... «

»Die von Descartes?«

»Ja, ich glaube, und da sollte sie dann in der Stirn ein drittes Auge öffnen, das Auge der direkten Sicht in Zeit und Raum. Deswegen sucht man noch heute nach dem Geheimnis der Templer.«

»Philipp der Schöne hätte lieber die modernen Esoteriker verbrennen sollen, anstatt diese armen Teufel.«

»Ja, aber die modernen Esoteriker haben keinen Pfennig.«

»Da sehen Sie mal, was für Geschichten man noch zu hören bekommt«, schloss Belbo. »Jetzt verstehe ich endlich, warum diese Templer so vielen von meinen Irren im Kopf herumspuken.«

»Ich glaube, das Ganze ist ein bisschen wie Ihre Geschichte von gestern Abend. Ein krauser, verdrehter Syllogismus. Benimm dich wie ein Dummer, und du wirst undurchschaubar für alle Ewigkeit. Abrakadabra, Mene Tekel Upharsin, Pape Satan Pape Satan Aleppe, le vierge le vivace et le bel aujourd'hui — jedes Mal wenn ein Dichter, ein Prediger, ein Potentat oder Magier irgendein bedeutungsloses Gekrächze von sich gegeben hat, verbringt die Menschheit Jahrhunderte damit, seine Botschaft zu ergründen. Die Templer bleiben unergründlich wegen der Konfusion, die in ihren Köpfen herrschte. Deswegen werden sie von so vielen verehrt.«