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»Und was heißt das?«

»Auf den ersten Blick nichts. Es handelt sich um eine Art Überschrift oder Präambel zur Konstitution eines Bundes, aus rituellen Gründen in Geheimsprache geschrieben. Für den Rest haben sich unsere Templer, wohl in der Gewissheit, dass sie ihre Botschaft an einem unzugänglichen Ort deponieren würden, mit dem normalen Französisch des vierzehnten Jahrhunderts begnügt. Sehen wir uns nun den zweiten Text an.«

  a la ... Saint Jean

36 p charrete de fein

6 … entiers avec saiel

P ... les blancs mantiax

r ... s ... chevaliers de Pruins pour la ... j. nc.

6 foiz 6 en 6 places

chascune foiz 20 a .... 120 a ....

iceste est l'ordonation

al donjon li premiers

it li secunz joste iceus qu i... pans

it al refuge

it a Nostre Dame de l'altre part de l'iau

it a l'hostel des popelicans

it a la pierre

3 foiz 6 avant la feste ... la Grant Pute.

»Und das soll die unchiffrierte Botschaft sein?«, fragte Belbo enttäuscht und amüsiert.

»Es ist klar, dass in Ingolfs Abschrift die Pünktchen für unleserliche Wörter stehen, für Stellen, an denen das Pergament zersetzt war ... Doch hier nun meine definitive Transkription, in der ich mit Konjekturen, die Sie mir als luzide und unangreifbar zu definieren gestatten werden, den Text in seinem einstigen Glanz, wie man so sagt, wiederhergestellt habe.«

Mit der Geste eines Zauberkünstlers drehte er die Fotokopie um und zeigte uns, was er in Blockschrift auf die Rückseite geschrieben hatte:

  A LA (NUIT DE) SAINT JEAN

36 (ANS) P(OST LA) CHARRETTE DE FOIN

6 (MESSAGES) ENTIERS AVEC SCEAU P(OUR) LES BLANCS MANTEAUX

R(ELAP)S(I) CHEVALIERS DE PROVINS POUR LA (VEN)J(A)NC(E)

6 FOIX 6 EN 6 PLACES

CHACUNE FOI 20 A(NS FAIT) 120 A(NS)

CECI EST L'ORDONNATION:

AU DONJON LES PREMIERS

IT(ERUM) LES SECONDS JUSQU'A CEUX QUI (ONT?) PAINS

IT(ERUM) AU REFUGE

IT(ERUM) A NOTRE DAME DE L'AUTRE PART DE L'EAU

IT(ERUM) A L'HOTEL DES POPELICANS

IT(ERUM) A LA PIERRE

3 FOIX 6 AVANT LA FETE (DE) LA GRANDE PUTAIN.

  Übersetzt:

  in der Johannisnacht

36 Jahre nach dem Heuwagen

6 Botschaften intakt mit Siegel

für die Weißen Mäntel (= die Tempelritter)

relapsi aus Provins für die (= bereit zur) Rache

6 mal 6 an 6 Orten

jedes Mal 20 Jahre macht 120 Jahre

dies ist der Plan:

zum Donjon (gehen) die ersten

wiederum (= nach weiteren 120 Jahren) die zweiten bis zu denen mit Broten

wiederum (dito) zum Refugium

wiederum zu Notre Dame auf der anderen Seite des Flusses

wiederum zur Herberge der Popelicans

wiederum zum Stein

3 mal 6 (= 666) vor dem Fest der Großen Hure

»Dunkler als die schwärzeste Nacht«, sagte Belbo.

»Sicher, das muss alles erst noch interpretiert werden. Aber Ingolf hat es gewiss verstanden, so wie ich es verstanden habe. Es ist weniger dunkel, als es scheint, wenn man die Geschichte des Ordens kennt.«

Pause. Der Oberst bat um ein Glas Wasser, dann griff er wieder zu seinem Füllfederhalter und hob an, uns den Text zu erläutern, Zeile für Zeile.

»Also: in der Johannisnacht, sechsunddreißig Jahre nach dem Heuwagen. Die zur Fortführung des Ordens bestimmten Templer fliehen vor der Verhaftung im September 1307, auf einem Heuwagen. Damals rechnete man das Jahr von Ostern bis Ostern. Also endet das Jahr 1307 bei dem, was nach unserem Kalender Ostern 1308 wäre. Jetzt rechnen Sie sechsunddreißig Jahre nach dem Ende von 1307 (also nach unserem Ostern 1308), und Sie kommen auf Ostern 1344. Das angegebene Datum ist also unser Jahr 1344. Die Botschaft wird im Boden der Krypta in einem kostbaren Behälter deponiert, sozusagen als Grundsteindokument, als notarielle Beurkundung eines Ereignisses, das an jenem Ort stattgefunden hat, nach der Konstitution des geheimen Ordens in der Johannisnacht, also am 23. Juni 1344.«

»Warum erst 1344?«

»Ich nehme an, in den Jahren von 1307 bis 1344 hat der geheime Orden sich reorganisiert und auf das Projekt gewartet, dessen Start das Pergament beglaubigt. Er musste warten, bis sich die Wogen gelegt hatten und die Fäden zwischen den in fünf bis sechs Ländern verstreuten Templern wieder geknüpft waren. Andererseits haben die Templer genau sechsunddreißig Jahre gewartet, nicht fünfunddreißig oder siebenunddreißig, weil offensichtlich die Zahl sechsunddreißig für sie einen mystischen Wert hatte, wie uns ja auch die chiffrierte Botschaft bestätigt. Die Quersumme von sechsunddreißig ist neun, und ich brauche Ihnen die tieferen Bedeutungen dieser Zahl nicht zu erklären.«

»Darf ich?« Es war die Stimme von Diotallevi, der hinter uns eingetreten war, auf Katzenpfoten wie die Templer von Provins.

»Ein gefundenes Fressen für dich«, sagte Belbo und stellte ihn vor. Der Oberst schien nicht besonders gestört, im Gegenteil, er machte eher den Eindruck, als wünschte er sich ein möglichst großes und aufmerksames Publikum. Er setzte seine Interpretation fort, und Diotallevi lief das Wasser im Munde zusammen vor diesem Schlemmermahl an Zahlenmystik. Reinste Gematrie.

»Wir kommen zu den Siegeln: sechs intakte Dinge mit einem Siegel. Ingolf findet ein Etui, offensichtlich verschlossen mit einem Siegel. Für wen ist es versiegelt worden? Für die Weißen Mäntel, also die Templer. Nun finden wir in der Botschaft ein r, dann fehlen ein paar Buchstaben, dann ein alleinstehendes s. Ich lese das als relapsi. Warum? Wir alle wissen, dass die relapsi die geständigen Täter waren, die ihr Geständnis widerrufen hatten, und diese ›Rückfälligen‹ haben eine nicht unbedeutende Rolle im Prozess der Templer gespielt. Die Templer von Provins bekennen sich stolz zu ihrer Natur als relapsi. Sie sind diejenigen, die sich von der infamen Komödie des Prozesses lossagen. Also, hier ist die Rede von Rittern aus Provins, die sich ›rückfällig‹ zu etwas bereit erklären. Wozu? Die wenigen Buchstaben am Ende der Zeile legen das Wort ›vainjance‹ nahe: vengeance, Rache.«

»Rache wofür?«

»Meine Herren! Die gesamte Templermystik, vorn Prozess bis heute, dreht sich um den Plan einer Rache für Jacques de Molay. Ich halte nicht viel von den Riten der Freimaurer, aber selbst sie, eine bürgerliche Karikatur der Tempelritterschaft, sind noch ein, wenn auch degenerierter, Reflex davon. Und einer der Rittergrade in der Freimaurerei nach schottischem Ritus ist der des Ritters Kadosch, nach dem hebräischen Wort für Rache.«

»Okay, die Templer sinnen also auf Rache. Und weiter?«

»Wie viel Zeit wird dieser Racheplan in Anspruch nehmen? Die chiffrierte Botschaft hilft uns, die unchiffrierte zu verstehen. Verlangt werden sechs Ritter sechsmal an sechs verschiedenen Orten, sechsunddreißig geteilt in sechs Gruppen. Dann heißt es: jedes Mal zwanzig, und hier ist etwas nicht klar, aber in Ingolfs Abschrift sieht es aus wie ein a. Jedes Mal zwanzig Jahre, habe ich daraus deduziert, und sechsmal zwanzig macht hundertzwanzig. Wenn wir den Rest der Botschaft betrachten, finden wir eine Liste von sechs Orten oder sechs Aufgaben, die erfüllt werden müssen. Von einer ›Ordonation‹ ist die Rede, einem Plan, einem Projekt, einem Vorgehen, das befolgt werden muss. Und es heißt, dass die ersten zu einem ›Donjon‹ gehen sollen, also zu einer Burg, die zweiten zu einem anderen Ort, und so weiter bis zum sechsten. Infolgedessen sagt uns das Dokument, dass es noch sechs andere versiegelte Dokumente geben muss, verstreut über diverse Punkte, und es scheint mir evident, dass die Siegel eines nach dem anderen erbrochen werden sollen, im Abstand von jeweils hundertzwanzig Jahren ...«