»Du Miststück«, rief er. »Du Biest, du Kanaille, verstehst du denn nicht, sie sind hinter uns her! Die zerlegen dich in ein paar Drähte und Schrauben, verstehst du nicht, du Idiot? Dann bist du hin, genauso hin wie ich. Fürchte dich, du Biest, werd müde, fall hin, blute... Du Biest...«
Plötzlich blieb der Roboter stehen, Eric stieß an ihn an, packte ihn, schüttelte ihn. »Was ist los, bist du vielleicht beleidigt?«
Euklid gab seine Meßergebnisse durch. Seine Mikrofonstimme drang wie ein Fremdkörper in Erics Ohr, das vom Rauschen des Bluts erfüllt war.
»... Entfernung gleichbleibend, Richtung gleichbleibend...«
Der Roboter hatte zwei Arme eingezogen. Eric starrte auf den dritten. Dieser wies senkrecht nach unten.
»... Höhe gleichbleibend, Richtung gleichbleibend... drittes Zentrum; Pulsationsschwankung gleichbleibend, Entfernung gleichbleibend...«
»Euklid«, sagte Eric leise, »haben sie uns eingeholt? Nicht wahr, sie sind genau unter uns?«
»Ich zeige die Richtung an«, antwortete der Roboter. Sein Arm rührte sich nicht. Er sah aus, als erwartete er etwas. Eric starrte ihn an. Die Daten änderten sich nicht mehr. Eric stand plötzlich in einem Raum ohne Inhalt und ohne Zeit. Es gab keine Beständigkeit und kein Sichändern. Er hing haltlos in der Einsamkeit und in der Leere, in einem endlosen Augenblick gefangen. Es gab nur sein Denken und die Frage, die darin dröhnte...
Und dann entschied er sich, und die seltsame Starre war gelöst.
»Euklid«, sagte Eric, »führe mich zum Boot. Aber wenn du dabei auch nur einen Meter tiefer hinuntersteigst, mach’ ich dich zu Blechsalat!«
Der Roboter ging los, Eric hinterdrein.
»Bis jetzt haben wir Glück, alter Freund!« sagte Eric. »Sie verlassen das Wasser nicht.«
Die dämmrigen Gänge, durch die sie kamen, waren leer wie vor jener scheinbar unendlich langen Zeit, als Eric und Euklid in das Riff eingedrungen waren. Das matte Licht saß nebelhaft darin ohne erkennbaren Ursprung, steril und vage, wie eine diffuse Masse, ein Nebel, ein Hauch, ein toter Belag. Von geheimnisvollem Leben erfüllt aber war das Dunkel, das aus den zahllosen Löchern, den Zwischenräumen, Spalten, Klüften, Schächten und Schlünden fast körperhaft emporgriff, das seine fauligen Ausdünstungen verströmte, seine Geräusche, das Gemurmel, Geblubber, Gewinsel und manchmal einen Schlag, einen Knall. Eric bohrte seine Blicke in das Bodenlose, über das seine Füße hinwegtanzten, er erblickte Krallen und Schnäbel, Büschel gespreizter Haare, Hörner, aufgerissene Mäuler, phosphoreszierende Augen. Aber es waren Truggebilde seiner Phantasie.
Dann schimmerte es hell zwischen den Stämmen hindurch, ein strahlender Kreis kam ihnen entgegen, Gischt wehte flockig auf – sie hatten den Rand des Korallenblocks erreicht. Blendend und betäubend fiel die Helligkeit über Eric her, und als er die Augen wieder öffnen konnte, sah er vier graue Flecken auf den Korallenstrünken liegen, vier Bündel, unscheinbar und formlos, aber doch alarmierend wie das Aufheulen einer Sirene.
»Sind sie noch da?« fragte Eric.
»Höhe null, Entfernung zwölf Meter.«
»Und dort... kein Lebewesen?« Er wies auf die grauen Flecken.
»Nichts.«
Eric kletterte hinab und rollte den Stoff auf. Etwas fiel hinunter, sprang klirrend auf einen Ast auf und sprang weiter, klingend, rasselnd, tiefer und tiefer, immer leiser, bis es aufklatschte, mit einem schmatzenden Geräusch vom Wasser gefressen wurde und nun stumm blieb. Eric hielt die Kleidungsstücke seiner vier verschollenen Kameraden in der Hand, die uniformen Overalls, Unterwäsche und, darin eingewickelt, vier Blaster, vier Uhren, vier Taschenlampen, drei gelochte Erkennungsmarken.
Eric steckte die Lochplättchen zu sich. Diese Schufte! Er zog den Blaster und feuerte sinnlos ins Wasser hinunter, bis ihm der brühheiße Wasserdampf ins Gesicht fuhr.
»Entfernung ändert sich«, ließ sich Euklid vernehmen. »Erstes Zentrum; vierzehn Meter, sechzehn, achtzehn... zweites Zentrum, zwanzig, vierundzwanzig... drittes Zentrum; dreißig, vierunddreißig...«
»Sie ziehen sich zurück«, schrie Eric. »Das Schießen hat gewirkt! Wer hätte das gedacht! Los, hinab zum Boot!«
Wieder jagte er einige geballte Ladungen hinunter. Sie stiegen abwärts. Das Boot war noch da, es hing ein wenig schief, der Bug ragte aus dem Wasser, der Punkt, an dem sie das Seil befestigt hatten, hatte sich um mindestens drei Meter höher verlagert. Eric zerschnitt die Drahtlitze mit einem Blasterstrahl, das Boot fiel klatschend in sein Element. Eric sprang hinein, der Roboter wartete einen Augenblick ab, in dem der Bootsrand nahe an die Siliziummassen herankam, und war dann mit einem Spreizschritt darinnen.
Eric jagte los. Die schwarze Wand des Riffs rückte von ihnen ab. Vor ihnen erhob sich schlank und winzig, aber nichtsdestoweniger Brennpunkt aller momentanen Sehnsüchte Erics, der Wachtturm mit den unablässig kreisenden Antennen. Erst jetzt bemerkte Eric etwas auf dem Steuerpult liegen, was sich vorher nicht darauf befunden hatte: die vierte Erkennungsmarke, die beim Aufrollen der Kombinationsanzüge ins Wasser geklirrt war...
Der Überwachungsturm war insgesamt sechzig Meter hoch, davon ragten nur fünfzehn Meter aus dem milchigen Wasser. Seine Konstruktion war denkbar einfach – ein Rohr aus Hartaluminium, sechs Meter im Durchmesser, das durch eine fünfunddreißig Meter dicke Wasserschicht in den festen Steingrund des Meeres versenkt und thermoplastisch einzementiert war. Fünf Meter über dem Flüssigkeitsniveau stach ein Stern von Streben durch die Metallwand. Er trug den Boden der Kabine, der sich nach außen in einer Plattform fortsetzte. Sie war nur an einer Stelle von einer Falltür durchschnitten, von der Stufen bis fünf Meter unter den Normalpegel liefen und dort blind endeten. Der Ring einer Brüstung schloß sie ein.
Das halbe Volumen der Kabine nahmen der Sender, das Verstärkeraggregat und die Spinnbatterie ein, die andere Hälfte war leer. Eine magnetisch verschließbare Schiebetür stellte die Verbindung mit der Plattform her. Ein dickes Kabel führte in das nächste Stockwerk. Hier waren die Meßinstrumente montiert, die die physikalischen Bedingungen der Umgebung überwachten und jedes unerwartete Ereignis weitermeldeten – ein Aufflackern der Radioaktivität, eine Erhöhung der Strahlenintensität, tektonische Ereignisse, aber auch allgemeine Veränderungen im Landschaftsbild und vor allem die für kohlenstoff- und siliziumorganisches Leben charakteristischen Elektrizitäts- und Wärmepulsationen.
Der ganze von der Erde annektierte Weltraum war von solchen automatischen Stationen überzogen. Die meisten befanden sich auf unbewohnten Planeten und ergänzten die Beobachtungen der Überwachungssatelliten. Einige waren auch in menschenarmen Regionen besiedelter Planeten und einige mehr auf kalten Sonnen errichtet worden.
Dieses System ermöglichte es der Zentralregierung, die Übersicht über alle für sie interessanten Gebiete zu behalten. Es hatte sich ausgezeichnet bewährt. Zwar betrafen die meisten gemeldeten Veränderungen nur harmlose geologische oder biologische Ereignisse, aber einige Male hatten die Meldungen auch rechtzeitig auf bedenkliche Erscheinungen aufmerksam gemacht, wie auf die progressive Entwicklung von intelligenten Kieselsäurestrukturen auf Sixta I oder auf die Einwanderung der Pseudoskorpione in den Bereich von Schmidt VII.
Eric Frost hatte bisher nur mit den harmlosen Fällen zu tun gehabt. Aber hier handelte es sich um eine ernste Situation, und ernste Situationen fordern außergewöhnliche Maßnahmen. Eric schob Sid beiseite, der ihn mit Fragen bestürmte, und trat in den Senderaum. Er drückte auf die Taste, die den Notruf auslöste, und wartete.
Sid ging aufgeregt in die Kabine, der Roboter folgte ihm und trat zur Steckdose, um sich aufzuladen.
»Nun red schon, was hat das alles zu bedeuten?« drängte Sid.
»Hier Paula Xaver Paula«, erscholl eine überlaute Stimme aus dem Lautsprecher. Eric regelte die Lautstärke. »Hier Paula Xaver Paula. Wir rufen Heinrich zwei Strich vier Strich vierundzwanzig. Heinrich zwei Strich vier Strich vierundzwanzig, bitte kommen!«