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»Das ist nicht einfach abzuschätzen. Unsere Regierung sieht jeden Eindringling als Angreifer an. Bis jetzt haben wir noch keine friedfertigen Lebewesen im Weltraum getroffen – oder zumindest weiß ich nichts davon. Also wird die Regierung losschlagen. Daß die Lage ernst ist, daß die Invasoren mächtig sind, weiß sie. Also wird sie das schwerste Geschütz auffahren, das sie besitzt: Antimaterie. Ich bin überzeugt, daß sie das ganze System der Sonne Heyse II mit Antiwasserstoff vernichten wird.«

»Aber vielleicht wäre eine friedliche Zusammenarbeit viel fruchtbarer!«

»Wer weiß das? Ich weiß es nicht, und du weißt es nicht, und niemand weiß es. Für die Regierung gibt es nur den Weg der Sicherheit. Und der heißt Vernichtung.«

Sid runzelte die Stirn. Er war kein großer Denker, kein überlegener Geist, nur ein Durchschnittscharakter mit Durchschnittsbegreifen. Und wenn er auch kein Philosoph war, so kam ihm doch in den Sinn, daß hier etwas tragisch war – falsch, traurig und tragisch.

Sid konnte es nicht ausdrücken, obwohl er es Eric gern gesagt hätte. – Statt dessen fragte er: »Und wohin fliegen wir?«

»Zu deinem Planeten, Kleiner«, sagte Eric und lehnte sich tief aufatmend in seinen Stuhl zurück.

3

Ein Begriff: Lovis – Eine Sehnsucht: Ruth

Nun war es also geschehen.

Es war nichts Überraschendes, nichts Unvorhergesehenes und nichts Ungewöhnliches – im Gegenteil, sie hatten damit gerechnet und es seit Jahren erwartet. Aber wie alles, was Schicksale aus ihren Bahnen wirft und auf neue Geleise stellt, wirkte es wie ein Schock.

Lovis lehnte an der Fensterbank, und das bläuliche Licht, das durch die kugelsicheren Scheiben drang, beleuchtete nur die Konturen seines markanten Gesichtes – den flachen Bogen seiner Stirn, den Vorsprung seiner kräftigen Nase, den Einschnitt seiner dünnen, stets zusammengekniffenen Lippen, das Dreieck seines Kinnbartes. Millionen kannten dieses Gesicht, Millionen fürchteten es, Millionen haßten es.

Lovis hatte sich nicht umgedreht, als Eric Frost eingetreten war. Er hatte nur gesagt: »Es ist soweit.«

Eric brauchte keine nähere Erklärung. Er wußte, was geschehen war, wußte, was nun zu tun war. Tausendmal hatte er es sich ausgemalt, und nun war es so gekommen, wie er es sich ausgemalt hatte. Alles war vorbereitet. Tausendmal hatte er in Gedanken den Fluchtweg durcheilt, er kannte jeden Schritt, jeden Schlich, jede Hintertür, die sich ihnen bot, er kannte alle Schwierigkeiten und die Tricks, um sich ihnen zu entziehen; er hatte für Proviant gesorgt, für Waffen, für falsche Lochmarken, er hatte einen Zeitplan aufgestellt und jede Möglichkeit einer Komplikation einbezogen. Er hatte nichts anderes zu tun gehabt, als diese zwei Tage vorzubereiten, und er würde nachher nie wieder etwas zu tun haben. Sein ganzes Dasein war auf diese zwei Tage ausgerichtet.

Es war so, wie er es sich vorgestellt hatte, und doch war es anders. Es war anders, weil die Wirklichkeit immer anders ist als die Vorstellung. So hätte er nie erwartet, daß es für ihn auch nur einen Augenblick des Zauderns geben könnte, bevor er die Kette von Ereignissen auslösen würde, die jenen kurzen Abschnitt in der Geschichte von Holder beendeten, der Lovis hieß. Sein Zaudern war ihm selbst unerklärlich.

Aber auch Lovis ging es nicht anders. Er war sicher, daß ihn Eric hinausbringen würde, und in groben Umrissen war ihm auch bekannt, wie. Und nun fiel ihm gar nicht auf, daß Eric stumm und unbeweglich blieb, anstatt zu beginnen. Lovis blickte hinunter auf den riesigen, von drei Flügeln des Palastes eingeschlossenen Hof und sah Dinge, die endgültig Vergangenheit waren – die wogenden, winkenden Volksmassen, die blitzenden, gemusterten Ströme der Truppenparaden, das Zeremoniell bei der Ankunft befreundeter Staatsoberhäupter, die öffentlichen Prozesse gegen Aufwiegler und Verräter, Spione und Saboteure. Er hörte den Aufschrei der Begeisterung Hunderttausender, Marschtritt und Musik, das Heulen der Wut gegen die Verurteilten. Ein wenig zu schwer lehnte er an der Fensterbank. Der Platz unter ihm war leer. Nur gelegentlich tauchten einige Bewaffnete an den Häuserwänden auf, eilten daran entlang, verschwanden in einer der unzähligen Türen zu den eingebauten Bunkern.

Als Eric das Zittern der schmalen Lippen sah, erkannte er, was er bei seinem Plan vergessen hatte – daß man nicht nur handelt, sondern auch empfindet. Kurze Zeit hindurch war ihm, als fiele neben ihm eine schwere Masse hinab; sie blieb neben ihm, obwohl sie sich bewegte, immer schneller, immer tiefer, bis sie hart auf dem Boden aufschlug. Und dann bemerkte er, daß er selbst diese Masse war, aber der Raum, in den er gefallen war, war nicht der Raum, in dem er sich befand, und der Schlag, der ihn traf, war nicht der Aufschlag auf dem mit Teppichen belegten Boden von Lovis’ Empfangs- und Arbeitszimmer. Er hatte sich jenseits einer Wand befunden, die dünner als Papier war, aber für sein Denken und Begreifen undurchdringlicher als Mauern aus Stahl und Stein. Der Ruck, der ihn durchlief, beschloß seine seltsame Untätigkeit und Lahmheit, erst jetzt war das um ihn herum das, was es war – ein Zimmer, ein Palast, eine Stadt, ein Land in Aufruhr; ein gestürzter Diktator; Gänge, Stufen, Türen, hohle Mauern, Keller, Aufzüge, Schienen, Fahrzeuge; Revolution, Haß, Wünsche, Begierden. Ihm kam es vor, als begänne in diesem Moment sein Leben.

»Man kann die Sperren in dreißig Minuten durchbrechen«, sagte er.

Lovis richtete sich auf. Der Ausdruck seines Gesichtes war gefaßt. Es war ein einprägsames, kühnes Gesicht. Schade darum, dachte Eric.

»Einen Augenblick«, sagte Lovis.

»Was gibt es noch?«

Jetzt brannte Eric darauf, seinen Plan durchzuexerzieren. Äußerlich schien er kühl, aber sein Herz schlug hart. Es war keine Furcht – nur die fiebernde Freude über jenen Schritt, der vom Wollen zum Tun führt.

Lovis trat an den massigen Schreibtisch und drückte auf einen Knopf. Nach fünf Sekunden öffnete sich die Tür, und ein Mädchen trat herein.

»Sie kommt mit«, sagte Lovis.

Fünf Sekunden lang war Eric auf den Grund dafür gespannt gewesen, der dafür ausreichend war, daß sie ihre Flucht verschoben. Sein Interesse sank in sich zusammen.

»Unsinn«, sagte er enttäuscht.

Er zog die Strahlenpistole und ging auf eine der nicht erkennbaren, in die Täfelung eingelassenen Türen zu. Er öffnete sie.

»Bist du bereit, Professor?« fragte er, und dann, zu Lovis gewandt: »Geh ‘rein.«

»Ruth kommt mit«, sagte Lovis.

Das Zimmer hinter der Tür besaß keine Fenster, aber der Lichtkegel der Operationsleuchte, die einen Behandlungsstuhl in grelles Weiß tauchte, war stärker als das Licht der blauen Sonne Amarylls. Lovis setzte sich.

»Du darfst dich freuen, Professor«, sagte er. »Fang an! In einer Viertelstunde bist du entlassen.«

»Geht es zu Ende mit euch, ihr Schinder?« fragte der Mann, der neben dem Operationsstuhl stand.

Eric trat an die Wand, holte eine Lochmarke aus der Tasche und steckte sie in ein Tresorschloß. Ein breites Rechteck öffnete sich, ein Pult mit Instrumenten schob sich hervor.

»Zieh dich um«, sagte Lovis zu Ruth »und dann warte draußen!«

Eric half dem Arzt in einen weißen Kittel und knüpfte die Bänder hinten zusammen. Seit vierzehn Monaten hatte er ihn hier gefangengehalten – den besten Gesichtschirurgen des Landes. Er hatte alles für ihn getan, um ihn unter diesen Umständen fit zu erhalten. Außer der Freiheit hatte dem Professor nichts gefehlt. Selbstverständlich hatte er gutes Essen und ein gutes Bett gehabt, er hatte Mikrofilme und Tonbänder erhalten, welche und wie viele er sich wünschte, unter Bewachung hatte er sich täglich beliebig lang in einem abgetrennten Teil des Dachgartens aufhalten dürfen, um die Kunstfertigkeit des Arztes nicht einschlummern zu lassen.

»Es wird doch alles gut gehen?« fragte Eric. »Deine Hände werden doch ruhig bleiben, Professor?«