»Verdammt! Da schleichen welche herum!«
Eric drängte ihn weg.
»Du hast recht!«
»Wie lang brauchst du noch?«
»Zu lang.«
»Was tun wir?«
»Sprengen!«
Eric kniete am Kasten nieder, dem er vorhin den Brenner und die Masken entnommen hatte. Er reichte Lovis eine Drahtrolle; eine Zündbatterie stellt er neben sich zu Boden.
»Los, wickle den Draht ab!«
Lovis hastete die Leiter hinauf, den abgerollten Draht hinter sich nachziehend.
Eric schleppte die Megalithpatrone hinterdrein und steckte sie am Fuß der Wand in die Erde.
»Ruth, was tust du da? In die Kammer zurück, schnell!« schrie er.
Er befestigte die Klemmen an den Kontakten und lief mit dem Mädchen zu Lovis.
»Alles in Ordnung?«
»Ja!«
»Dann los.«
Er drückte den Hebel hinein... Nichts rührte sich. Er drückte noch einmal – nichts.
»Deine Planung!« schrie Lovis. »Du Stümper! Du Dilettant!«
»Bleibt hier!« Eric riß einen Kranz Zündschnur aus der Kiste und stürzte los.
»Eric, nicht sprengen!« hörte er Ruth hinter sich herrufen.
Und gleich darauf Lovis: »Bleib da, was fällt dir ein!«
Er warf sich an der Wand nieder, wühlte die Patrone aus der Erde, riß den Sicherheitsstreifen ab und steckte die Zündschnur hinein. Auf die Mühe, die Patrone wieder einzugraben, verzichtete er. Er streckte nur die Schnur gerade und legte dann das freie Ende in die Flamme seines Feuerzeugs. Er sprintete los und sprang in den Keller hinab.
Sie warteten... zehn Sekunden, fünfzehn Sekunden... Dann kam der gewaltige Schlag der Detonation, gefolgt von unheilverkündendem Knirschen. Sie kletterten hinaus und sahen im Sternenschein silberne Sprünge an der Kuppel emporklettern. Das ganze Gebäude zitterte, vibrierte, die Energie der Erschütterung lief in dumpfen Glockentönen um den Rundbau herum, verebbte, flutete wieder auf. Dort, wo sie die Ladung gelegt hatten, war ein kleiner Trichter entstanden mit einer dahinter klaffenden ovalen Öffnung mit rundgeschmolzenen Rändern.
»Masken auf!« rief Eric.
»Hindurch!« rief Lovis.
Sie liefen los, in die Kristallwüste hinaus, durch knirschende Nadeln, die ihre Knöchel wund stachen, in die gifthaltige Luft, die durch die Filter zwar gereinigt war, aber durchdringend nach den absorbierenden Chemikalien roch und mühsam zu atmen war. Sie verließen die künstlichen Heimstätten der Menschen, die Geborgenheit der angeheizten, durchfeuchteten, gereinigten Atmosphäre und setzten ihre Hoffnung in die Unwirtlichkeit, Öde und Einsamkeit dieser Landschaft, in der es keine Menschen gab, die sie aufhalten konnten. Dort hinten, jenseits eines sanften Hügels, wartete die Rettung auf sie – das verborgene Flugzeug.
Ruth hielt sich dicht neben Eric. Sie rief ihm etwas zu, aber er verstand nicht.
Hinter ihnen flammte es auf. Die Kuppeln wurden beleuchtet, ihre Flucht war entdeckt.
Ruth packte Eric am Ärmel.
»Was ist?« rief er.
Er verlangsamte seinen Lauf und bemühte sich, die verzerrten Laute, die aus der Maske drangen, zu verstehen.
»Das Radiofon... war nicht tot... ich habe... euch verraten.«
Eric faßte ihre Hand und versuchte, sie mit sich zu ziehen. »Ist doch jetzt gleichgültig...«
»Eric... ich habe auch... die Kontakte... von der Patrone... gezogen.«
»Schon gut! Lauf doch jetzt! Oder... vielleicht... ist es besser... du bleibst zurück?«
Er blieb stehen. Er begann langsam zu begreifen. »Bleib hier, dir geschieht doch nichts!«
»Du hättest nicht... sprengen dürfen.«
Eric hörte, wie sie nach Luft rang.
»Warum? Ich mußte doch...!«
»Eine Kuppel... zu zerstören... ist ein Verbrechen!«
Eric schaute nach hinten. Einzelne Lichter kamen näher, aber sie waren noch weit.
»Bleib hier, Ruth«, sagte er.
»Zum Teufel, seid ihr verrückt!« schrie Lovis. Er war ein Stück vorgelaufen, kehrte aber jetzt zurück. Seine Maske hatte er heruntergezogen, er atmete schwer. »Dort vorn ist schon der Hügel. Vorwärts! Gleich haben wir’s!«
Zwanzig Meter neben ihnen schlug etwas auf. Eine Gesteinsfontäne spritzte auf. Und noch ein Einschlag.
Es blieb keine Wahl – sie liefen weiter, Eric, der den Weg kannte, voran. Er hielt sich an die zahlreichen Einschnitte, die die Ebene durchzogen und in denen sie sich meist in Deckung befanden. Und dann überschritten sie den höchsten Punkt der Kuppe und waren zunächst in Sicherheit.
Vor ihnen lagen einige alte Baracken. Hier hatte man einst die antimonhaltigen Minerale abgebaut. Der Mensch hatte der Landschaft seinen Stempel aufgeprägt, an manchen Stellen war sie aufgerissen, wie Wunden lagen die unregelmäßigen dunklen Vielecke in der schneeigen Kristalldecke. Oft bildeten die eingeebneten Flächen flache Treppen. An den erzarmen Stellen häufte sich wertloses Abraummaterial zu Kegeln.
Eric stapfte zu einer der Baracken, überzeugte sich, daß die versteckten Plomben unversehrt waren, und drückte seine Lochmarke in einen verborgenen Schlitz. Eine metallene Falltür klappte ziehharmonikaartig zusammen, ein blanker Zweisitzer neuester Bauart kam zum Vorschein, und in einer Nebenkabine ein pflugscharversehener Traktor.
»Ich säubere die Fahrbahn«, sagte Eric, »schiebt die Maschine hinaus und laßt den Motor anlaufen.«
Er klomm auf den hohen Sitz, löste die Bremse und drückte den Starter. Käferhaft schob sich das Gefährt in die Ebene hinaus, die als Startbahn dienen sollte. So schnell wie möglich ließ Eric die Ketten laufen, dabei schob er einen Wulst von Sand und Staub vor sich her, neben den Spurenmustern der Kettenglieder wuchs eine Böschung empor. Nach drei Fahrten war die geglättete Straße genügend breit für den Anlauf. Eric lenkte den Pflug aus der Bahn hinaus und lief zum Flugzeug. Über der sanften Zackenlinie des Hügels, über den sie gekommen waren, tauchten dunkle Flecken auf, gegen den asphaltgrauen Morgenhimmel nur in ihren Umrissen erkennbar – die Verfolger.
Lovis saß bereits auf dem Steuersitz, hinter ihm Ruth.
»Tut mir leid, Eric«, rief Lovis in das Donnern des Motors hinein, »du mußt zurückbleiben!«
Die Maschine rollte an, doch Ruth beugte sich vor und zerrte an Lovis’ Armen.
»Laß mich zurück, ich möchte hierbleiben. Nimm Eric mit, nicht mich. Halt, halt! Laß mich zurück!«
Die Maschine drehte sich und stellte sich schief zur Laufbahn. Mit einem Fluch brachte sie Lovis zum Stehen. Er drehte sich um und versuchte, das Mädchen nach hinten auf seinen Sitz zu drücken, aber Ruth wehrte sich. Da holte er aus und schlug sie mit der flachen Hand ins Gesicht, einmal, zweimal, dreimal. Sie stieß mit den Fäusten nach ihm, doch er kümmerte sich nicht darum. Er ohrfeigte sie weiter und legte immer mehr Kraft in seine Schläge. Da übermannte sie der Schmerz, die Beschämung und die Hilflosigkeit. Sie warf sich zurück in die Mulde der Lehne, aus dem Bereich der dreschenden Arme, in die Geborgenheit des Augenblicks, in die Gleichgültigkeit der Verzweiflung, sie krümmte sich zusammen, zog die Knie an die Brust, verbarg das Gesicht unter den Armen und kauerte stumm und reglos nach der Seite geneigt in ihrem Polstersitz.
Ein kurzer sausender Pfiff, ein Hagel von weißen Splittern – ein Einschlag. Ein Flugzeug peilte über sie hinweg.
Eric stand tatenlos daneben. Sein Körper war einer seltsamen Lähmung unterworfen, er hätte nicht eingreifen können, selbst wenn er es gewollt hätte, aber in ihm war kein Bedürfnis, kein Wunsch, keine Regung – auch sein Wille war gelähmt... Lovis wollte ihn zurücklassen; das Mädchen wurde geschlagen; die Verfolger hatten sie eingeholt. Aber eigentlich ging es ihn gar nichts an, eigentlich beschäftigten ihn ganz andere Probleme. Probleme, die lange nicht so dramatische Aspekte aufwarfen, Probleme, mit denen man sich in Durchschnittstagen abgibt und deren Lösung wenig ändert. Sie waren das wirklich Wichtige, aber er hatte sie vergessen. Er wehrte sich gegen jenes andere, das ihn so aufdringlich und selbstverständlich in Besitz nahm, aber es war stark, und es war das einzige, was existiert, und so ergab er sich ihm, und er entschied sich.