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Er streifte die Ärmel seiner Bluse zurück, suchte... Da war das zweite Indiz: eine winzige, blutverschorfte Stelle über der Vene in der Armbeuge.

Nun hatte er den Beweis: Sie hatten ihn im Netz gehabt.

Er stieg mühsam vom federnden Sitz der Bank und setzte sich. Sein Körper war noch immer nicht einsatzbereit, aber das Denken arbeitete wieder. Nun erst schätzte er das, was er erlebt hatte, richtig ein – seine lächerliche Bedeutungslosigkeit und seinen erschreckenden Ernst.

»Was habe ich getan? Was kann ich nur getan haben?«

Janet Trombe schob den Block mit ihren Aufzeichnungen zurück und wartete. Farmer hielt die Augen scharf zusammengekniffen; er schien nachzudenken. Bell nickte und lächelte Janet zu. Graudenz kritzelte mit dem Schreibstift auf einem Stück Papier. Czerny saß mit leicht angewiderter Miene unbewegt in seinem Stuhl. Der Tisch stand zwischen ihnen wie ein Block. Darauf lag der Silberhauch von zehn Neonröhren.

Farmer schien zu einem Abschluß gekommen zu sein. Als offizieller Vertreter der Regierung führte er den Vorsitz der Kommission. Seine massige Gestalt richtete sich auf.

»Nun, meine Herren?«

Er blickte Bell an, doch Czerny ließ sich zuerst vernehmen.

»Das Ergebnis ist eindeutig. Der Mann ist ein Verbrecher.«

Farmer wandte den Kopf und schaute Czerny, der in seine alte Regungslosigkeit zurückgefallen war, mit leichter Mißbilligung an. »Bitte, Bell!« – Der kleine, dicke Neurologe mit den feisten Backen hob bedauernd die Hand.

»Ich verstehe nicht, wie es passieren konnte... jedenfalls: ein schwerer pathologischer Fall.«

»Wie der Mann – wenn es sich tatsächlich um einen Anomalen handelt – den Kontrollstellen entgehen konnte, wird das Thema einer weiteren grundsätzlichen Besprechung sein. Czerny hat sich schon geäußert. Also, Graudenz?«

Der junge Mediziner mit dem Studentengesicht fuhr nervös auf. Dann sagte er: »Ich schließe mich der Meinung Bells an – unzweifelhaft pathologisch... ich meine...« Er stockte verwirrt.

Farmer ging darüber hinweg. »Das hieße also: Lobotomie. Ich beurteile den Patienten nicht so eindeutig. Sicher – er weicht in seinen Handlungen vielfach von dem ab, was man unter normalen Umständen von normalen Staatsbürgern erwarten darf. Aber«, er wurde merklich lebhafter und pochte mit dem Knöchel auf die Tischplatte, »sind denn die Umstände unserer Prüfsituationen normal? Ich habe schon mehrfach darauf hingewiesen, daß auch ein gesunder Mensch unter ungewöhnlichen Bedingungen ungewöhnlich reagiert.«

Es schien, als ob eine sanfte Brise durch das Sitzungszimmer gefahren sei. Farmer selbst war erregt, da er auf sein Lieblingsthema zu sprechen gekommen war, Bell rang in übertrieben angedeuteter Verzweiflung die Hände. Graudenz steckte seinen Stift mehrmals in die Brusttasche seines weißen Overalls und holte ihn wieder hervor. Czernys graues Gesicht unter dem zweigeteilten, wie Hörner hervorstechenden blonden Schöpf wurde um eine weitere Nuance grauer, Janet Trombe blickte aufmerksam auf Farmer.

»Ein schlecht funktionierender Darm reagiert erst, wenn man gegessen hat«, erläuterte Bell. »Eine gelähmte Hand fällt erst unangenehm auf, wenn sie arbeiten soll. Kleine Fehler äußern sich nur unter starken Beanspruchungen. Genauso ist es beim Charakter. Unser geregeltes bürgerliches Leben stellt keine Forderungen, unser Staatssystem sorgt für Gleichmaß in unserem Leben. So kommt es, daß sich außer der zugelassenen Norm Stehende jahrelang unbeachtet unter uns aufhalten können. Das ist schließlich der Grund dafür, daß wir die Erlebnisprüfungen eingeführt haben!«

»Aus solchen Kranken rekrutierten sich früher die Saboteure, die Asozialen, die Gewaltverbrecher und Mörder. Damals hat man sie hingerichtet.«

Farmer gab sich noch nicht geschlagen. »Aber ich sehe trotzdem nicht ein, warum man derart abwegige Umstände wählen mußte.

Warum ein Abenteuer auf einem fremden Planeten – wo wir doch genau wissen, daß wir das Sonnensystem nicht verlassen können? Selbst die kostspieligen und keinerlei Gewinn bringenden Besuche der solaren Planeten haben wir längst aufgegeben. Und wozu die Situation eines Staatsstreiches – wo doch seit Jahrhunderten nichts dergleichen vorgekommen ist? Wie soll sich ein normaler Mensch unter solch absurden Bedingungen zurechtfinden? Sie müssen ihn doch völlig verwirren!«

»Das ist keineswegs der Fall.« Bell war empört. »Wir haben die psychologische Reaktion der Prüfperson auf derartige Außenwelteinflüsse genau studiert. Jeder Staatsbürger ist durch die Unterhaltungsliteratur, durch Radio und durch Film genügend mit solchen Umständen vertraut. Er kann sich ohne weiteres in die Lage der Personen versetzen, die wir ihm beschreiben.«

»Trotzdem sollte man Situationen wählen, die einfacher zu verstehen sind, am besten Konflikte in einer Beamtenlaufbahn, Gefahren, wie sie im täglichen Leben auftreten können...«

»In was für Konflikte sollte ein Beamter schon kommen? Welcher Gefahr ist denn ein Bürger ausgesetzt? Unser Staat ist ein Ordnungsstaat, in dem es weder Konflikte noch Gefahren gibt. Solche Themen sind im Unterhaltungssektor verboten, und sie sind viel absurder als eine abenteuerliche Handlung in historischem Gewand oder in einem Winkel des Weltraums – so wie sich unsere Schriftsteller den Weltraum vorstellen. Gerade dadurch, daß wir eine völlig andersartige Umgebung wählen, schaffen wir freie Bahn für eine unbeeinflußte Entscheidung des Patienten und damit für eine klare Indikation.«

»Ich möchte darauf aufmerksam machen«, warf Farmer ein, »daß die Erlebnisprüfung vor allem einen juristischen Zweck erfüllt. Zur Charakterbeurteilung sollten die Mediziner mit ihren Methoden auskommen; wozu haben wir die Psychotests? Die Erlebnisprüfung ist vor allem die rechtliche Handhabe für die medizinischen Eingriffe, den Schock oder die Lobotomie, die in gewissem Sinn Freiheitsberaubungen darstellen. So kommen wir zur gerechten Strafe für die juristische Verfehlung, und es –«

»Erlaube, Kollege!« warf Bell ein, er winkte Janet, seiner Assistentin, beschwichtigend zu, da sie die Hand gehoben hatte. »Doch nicht zur Strafe! Eine Operation als Strafe wäre unmenschlich und eines Arztes unwürdig. Selbstverständlich handelt es sich um ein Heilungsverfahren. Die Erlebnisprüfung ist der Beweis dafür, daß eine charakterliche Mißbildung vorliegt, die sich auch im sozialen Leben auswirken kann. Der Eingriff erfolgt vor allem, um es dem Patienten wieder zu ermöglichen, sich dem Sozialstaat ohne psychische Spannungen einzufügen. – Du wolltest etwas sagen, Trombe?«

Janet wurde leicht verlegen. »Ich wollte... Ich meinte, es handelt sich doch bei der Tat um nichts Wirkliches, es ist doch nur...«

»Ein alter Streitpunkt«, sprach Farmer in ihr Zögern hinein. »Ob wirklich oder nur gedanklich vorgeführt, ist gleichgültig. Durch das Einatmen von Amnesin forte ist jede Erinnerung ausgelöscht, und durch die Injektion von Haluzinid C siebzehn kommt der Prüfling in einen Zustand, der ihn für Suggestionen überaus empfänglich macht. Jede beschriebene Situation setzt sich in seinem Gehirn in absolute erlebte Wirklichkeit um. Fehlende Angaben in der Beschreibung ergänzt er automatisch wie im Traum. Wenn man dann seinen apathischen Zustand durch einen Weckaminstoß kurzfristig aufhebt, ist er in durchaus derselben Situation wie jemand, der die beschriebenen Erlebnisse wirklich gehabt hat. Keine störende Erinnerung beeinflußt ihn. Wenn er eine Entscheidung trifft, ist diese völlig ungezwungen, und er ist für sie voll verantwortlich. Er würde sie genauso treffen, wenn er sich wirklich in jener Situation befände.

Aber nun weiter im Verfahren! Gehen wir die einzelnen Punkte durch! Die erste Entscheidung spricht durchaus für Eric Frost. Die Erlebnissituation stellt ihn vor die Alternative, entweder seinen menschlichen Impulsen zu folgen und das Kind zu schonen, oder dem Befehl zu gehorchen und es zu erschießen. Für einen gesunden Staatsbürger gilt das Gesetz mehr als seine persönlichen Wünsche, denn es verkörpert die Allgemeinheit. Eric Frost hat verantwortungsvoll gehandelt und bekommt hier also einen Pluspunkt. Hat jemand etwas dagegen?«