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Nach drei Minuten rollte sie in die Wand, ein Pfleger sah sich um, stutzte, schob – genauso wie vorher Eric – eine Bank unter die Neonlampenreihe, stieg hinauf und zog die präparierte Röhre aus der Fassung. Eric hatte keinen endgültigen Plan zurechtgelegt. Er hatte gehofft, in einem unbeobachteten Augenblick entspringen zu können – das Plastikstück hatte er für den Notfall vorbereitet. Schon als der Mann im Türrahmen erschien, hatte Eric – ohne sonst seine Haltung zu verändern – mit der Hand nach dem Kontaktnippel der automatischen Sperrvorrichtung gefaßt und das angefeuchtete Plastikstückchen daraufgeklebt. Als er das Mißtrauen im Gesicht des Pflegers und die Aufwölbung einer Schockpistole an dessen Seitentasche sah, verzichtete er auf ein Wagnis und verharrte, ohne sich zu rühren. Als der Mann die Ursache des Kurzschlusses erkannt hatte, ließ er Eric keine Sekunde mehr aus den Augen. Mit in die Tasche gesteckter Hand sagte er: »Das wirst du bereuen, Freundchen!«, turnte von der Bank herunter und verließ, mit dem Rücken voran, das Zimmer. Von den Kräften der Magnetschiene angezogen, schloß sich die Tür, aber die Sperre funktionierte nicht, weil der Sperrkreis durch das Isolationsmaterial des Plastikscheibchens unterbrochen blieb.

Eric wartete zehn Sekunden, dann versuchte er, die Tür zu öffnen – er mußte sich gegen die magnetische Kraft stemmen, denn das Feld zum Zuziehen der Tür wirkte noch, war aber leicht zu überwinden. Er spähte vorsichtig in den Gang... Niemand war zu sehen, eilig und leise ging er in die Richtung, aus der er früher gekommen war, er wandte sich zu den Aufzugschächten und bestieg jenen Lift, der in einer ununterbrochenen Kette von Kabinen hinunterführte. In jedem Stockwerk hielt er fünf Sekunden.

Als Eric das dreiundvierzigste Stockwerk erreicht hatte, schrillten mehrere Klingeln – jemand hatte Alarm gegeben. Als sich der Lift im vierunddreißigsten in Bewegung setzte, sah er einige Weißkittel auf sich zurennen. Im neunundzwanzigsten Stock sprang er aus der Kabine und stürzte in den Korridor hinein, rannte bis zur nächsten Biegung; dann ging er wieder langsamer. Er war sicher, daß man ihn nicht gesehen hatte. Wie überall befanden sich auch hier in einem toten Winkel des Ganglabyrinths die Wasch- und Toilettenräume. Er trat ein – und hatte Glück. Er hörte das Prasseln einer Brause, vor einer Nische lag ein Bündel weißer Kleider. Rasch entledigte er sich seines grauen Overalls und zog dafür die weiße Kombination des Klinikpersonals an. Seinen Anzug rollte er zusammen und stopfte ihn im Vorübergehen in eine Klosettschüssel. Dann wagte er sich wieder hinaus.

Der Gang war leer wie zuvor. Eric ging einige hundert Meter geradeaus, dann bog er nach links, bis zum nächsten Aufzugschacht. Er fuhr etwa zwanzig Stockwerke tiefer – dann sprangen zwei Männer zu ihm herein. Er steckte die Hände wie gelangweilt in die Taschen, und sie beachteten ihn nicht. Freude durchzuckte ihn: In der rechten Hosentasche fühlte er eine Lochmarke. Nach drei Stockwerken stieg er aus – es schien ihm doch sicherer. Er ließ eine Kabine vorbeigleiten und betrat die nächste. Wieder fuhr er abwärts. Die Zifferntafel mit den Nummern der Stockwerke wechselten vor seinen Augen wie die Dias in einem automatischen Wechsler: 5, 4, 3, 2, 1, Erdgeschoß, -1, -2. Hier verließ er den Lift und suchte die Stiegen. Mit angespannter Aufmerksamkeit stieg er hinauf. Schon im ersten Kellergeschoß, Stockwerk -1, brandete ihm Lärm entgegen. Die Eingangshalle war voll von Menschen, und er kehrte wieder um. Er blieb auf den Stiegen. Im vierten oder fünften Kellergeschoß würden sich wie überall die Zugänge zu den unterirdischen Straßen befinden.

Als er einen Blick um die letzte Ecke warf, die ihn noch von den Rampen und Garagen trennte, sah er, daß dort auch alle Passagen verriegelt waren.

Langsam und entmutigt kehrte er um und schritt dann wieder in einen Gang hinein. Sicher hatte es keinen Sinn, die Hubschrauberlandeplätze auf den Dächern aufzusuchen. Schritte klangen hinter ihm auf, er drehte sich nicht um, sondern ging unentwegt weiter. Mit Schrecken bemerkte er, daß er in eine Sackgasse geraten war – der Gang endete mit einer Tür. Kurz entschlossen schritt er weiter, auf die Tür zu... Als er noch einen halben Meter von ihr entfernt war, glitt sie von selbst nach links – er trat hindurch und stand zwischen zwei Reihen von Arbeitstischen. Rechenmaschinen summten, Telefone schnarrten, Tasten klapperten, Stimmen wogten durcheinander. Einige Gesichter hoben sich, die Gesichter von jungen Mädchen, die alle aussahen, als seien sie Schwestern, und er richtete sich etwas auf und versuchte ein Lächeln, aber es gelang ihm nicht ganz. Mit gezwungen festen Schritten trat er durch die Gasse, und die Geräusche, die er dabei verursachte, kamen ihm erschreckend laut vor. In der Tasche umklammerten seine Finger krampfhaft die Erkennungsmarke, er horchte noch immer nach hinten und erwartete jeden Augenblick ein dröhnendes »Halt!« Aber es blieb still, und mit einemmal stoppten die Tritte hinter Ihm, und irgendein Scherzwort klang auf. Niemand beachtete ihn, Köpfe senkten sich, Blicke glitten uninteressiert an ihm ab, doch er hatte das Gefühl, nicht anhalten zu dürfen.

Vor ihm gähnte ein Gang, und dankbar beendete er den Spießrutenlauf durch den Bürosaal. Er sah einen Karton, eine große Pappschachtel, am Boden stehen, er hob sie auf und trug sie vor sich her, als habe er eine wichtige Aufgabe zu erfüllen, als sei ihm eine schwere Verantwortung auferlegt; als ein Trupp von Pflegern mit gezogenen Pistolen an ihm vorbeilief und ihn an die Wand abdrängte, brachte er sogar ein Gefühl von Ärger über soviel Rücksichtslosigkeit auf.

Die Luft wurde dumpf, ein Vibrieren lief über den Boden. Der Gang teilte sich. Der Schweiß seiner Hände sickerte in das Papier. Vorsichtig stieß er eine gläserne Flügeltür auf, sein Gesicht hinter der Schachtel versteckt. Dunst, Hitze und Plätschern schlugen ihm entgegen, gekachelte Wände glänzten, Gesichter troffen vor Feuchtigkeit, ein Mann in einem gelben Bademantel überholte ihn – er ließ die Tür wieder zufallen. Er folgte dem anderen Teil des Ganges, kam über einige Stiegen, zwei Weißgekleidete schoben einen Wagen auf Gummirädern lautlos vor sich her, darauf lag der vermummte Körper eines Patienten – lebte er noch? Eine Schiebetür klaffte, ein Operationstisch stand da inmitten eines kreisförmigen Raumes, Chrom und Glas blitzten von scharfkantigen und spitzen Instrumenten. Eric hielt nicht an, er ging und ging, einige aufgeregt gestikulierende Männer liefen durch den Korridor, er starrte krampfhaft auf ein Türschild – schon waren sie vorbei.

Weiter ging es, eine Treppe hinauf, eine Treppe hinunter – auf einmal verloren sich die Geräusche, er war in einem riesigen dunklen Saal angelangt, Säulen standen fest wie Urwaldriesen, von den Wänden grinsten blindäugige bronzene Gesichter von Gedenktafeln. Ihm war, als müsse er sich seinen Weg mühsam über dicke Teppiche bahnen, und dann kam aus dem Hintergrund ein dumpfes Husten – Eric hielt sich an seiner Schachtel fest und strebte beklommen weiter.

Wieder öffneten sich Korridore vor ihm, winkelten ab, teilten sich – und dann entdeckte er ein Fenster. Er setzte die Schachtel auf das Brett und blickte hinaus. Er befand sich im zweiten Stockwerk, gegenüber verlief die Häuserfront eines anderen Blocks, vom quadratischen Netz der Fenster überzogen wie jede in diesem Staat, der eine einzige Stadt war, eine Stadt, die von Pol zu Pol reichte, soweit es Festland gab. Und unten streckten sich die bunten Laufbänder wie ein freundliches Schürzenmuster. Aber die Beförderungsstreifen standen still, und sie waren leer. An der Wand an der anderen Straßenseite aber lehnten schwarzgekleidete Männer in Abständen von je fünf Metern. Sie trugen Elektronengewehre, und diese Gewehre waren auf die Klinik gerichtet.