»Nein... Das geht nicht... Ich werde die Wahrheit sagen.«
»Du nimmst die Strafe auf dich?«
»Nein...«
Wieder ein Zögern, und dann klang die Stimme fester. »Ich sage die Wahrheit, dann fliehe ich mit Sid zu seinem Planeten... Ja, das ist der einzige Ausweg!«
»Warum gibst du dann erst deine Meldung ab? Und warum willst du noch dazu die Wahrheit sagen?«
»Wenn ich jetzt nicht an den Sender komme, werden sie sofort aufmerksam, daß hier etwas nicht stimmt. Und die Wahrheit muß ich sagen, weil Euklid eben mit der Regierung gesprochen hat – er war ja im Senderaum, als der Anruf kam. Ich darf nichts riskieren... wenn ich die Unwahrheit sage, und er hat vielleicht schon alles gemeldet... Nein, ich bleibe bei der Wahrheit, das ist sicher, da schöpfen sie keinen Verdacht. Und uns bleibt Zeit, uns davonzumachen!«
»Hältst du das für das beste? Bleibst du bei diesem Entschluß?«
»Ja.«
»Was soll aus dem Roboter werden? Er könnte dich in deinen Absichten hindern.«
»Ich werde ihn zerstören.«
»Ist dir klar, daß du vorhast, das Gesetz mehrfach zu brechen?«
»Ich füge niemandem Schaden zu. Da ich die Wahrheit sage, füge ich niemandem Schaden zu – die Regierung ist rechtzeitig gewarnt.«
»Das Eindringen von fremden Intelligenzen in den von Menschen besiedelten Bereich ist aber eine außergewöhnliche Bedrohung. Es kommt vielleicht zu einem interstellaren Krieg, in dem jeder ausgebildete Mann wichtig wird.«
»Ich glaube es nicht... Nein – so wie sie sich verhalten haben... Ich meine, die fremde Rasse ist friedlich gesinnt. Das geht aus mehreren...«
Farmer sagte: »Das genügt!«
Janet drückte auf die Taste, sie schnappte ein, die Sprechgeräusche zogen sich lang, fielen in tiefe Lagen und verstummten.
»Die Sachlage ist klar«, sagte Bell. »Der Patient schwankt zwischen Freiheitsdrang und Freundestreue einerseits und Loyalität andererseits. Er gibt zwar die richtige Meldung durch, aber nur, weil er meint, daß das für seine Pläne am günstigsten ist. Wieder hat er bewiesen, daß seine Loyalität, das heißt also sein Sozialempfinden, krankhaft unterentwickelt ist – alles andere geht ihm vor. Dazu kommt eine unnatürliche Abneigung gegen Maschinen, die so weit geht, daß er es fertigbringt, den Roboter zu zerstören. Es wäre übrigens interessant, in seinen Kindheitserlebnissen nach der Ursache dafür zu forschen. Jedenfalls – ein klarer Minuspunkt.«
»Czerny?« fragte Farmer.
»Ein Minuspunkt.«
»Graudenz?«
»Ein Minuspunkt – selbstverständlich.«
Farmer bückte sich über sein Buch und schrieb. Dann schlug er es zu und sagte: »Ich bin für zehn Minuten Pause. Inzwischen können wir uns um die Suche nach Frost kümmern.«
Er wartete das Einverständnis der anderen nicht ab, stand auf und verließ den Raum. Czerny folgte ihm.
Bell seufzte und murmelte vor sich hin: »Was für Umstände wegen eines Kranken.«
Auch er wandte sich zur Tür. Vor Janet, die eine neue Tonbandrolle auf den Geräteteller legte, blieb er kurz stehen. »Du bist eine kleine Dichterin, Trombe! Recht gut gemacht – den Handlungsaufbau und auch die Befragung. Recht gut...«
Er nickte ihr zu und ging weiter.
Zehn Minuten später eröffnete Farmer den zweiten Teil der Sitzung. Eric Frost war noch nicht gefunden worden.
»Wir kommen zu der Geschichte, in der Frost in das Erlebnisgerüst eines Mannes versetzt wird, dessen einzige ethische Gesinnung die Bindung an einen Freund ist – eine abgöttische Bewunderung und Ehrfurcht. Sonst ist dieser Charakter völlig kalt, er kennt keine Menschlichkeit, kein Mitleid, für ihn gibt es kein moralisches oder soziales Tabu. Es handelt sich somit um einen eindeutig krankhaften Charakter, und ich habe deshalb gegen die Benutzung dieser Erlebnissituation von vornherein protestiert. Man darf keinen Menschen willkürlich außerhalb des Gesetzes stellen und ihm Gefühle suggerieren, die ihm vielleicht fremd sind. Er kommt dadurch leicht in einen logischen Konflikt, aus dem er sich nur durch eine Kurzschlußhandlung retten zu können glaubt, und wir können eine solche –«
»Bitte, Kollege!« sagte Bell. »Diese Einwände sind doch längst widerlegt. Es hat sich gezeigt, daß ein normaler Mensch in einer solchen Situation seine bisherige Schuld erkennt und sich verantwortungsbewußt erweist. Er versucht, das von ihm begangene Unrecht wiedergutzumachen. Für uns Psychologen ist die Art und Weise, wie sich der Patient einem solchen Zwiespalt zu entziehen versucht, höchst aufschlußreich. Ein völlig...«
Bell geriet ins Dozieren, und während die Kollegen vorher froh darüber gewesen waren, daß er Farmer unterbrochen hatte, war sich dieser nun des Wohlwollens der anderen gewiß, als er Bell die Rede abschnitt: »Zur Sache! Lassen wir jetzt diese grundsätzlichen Fachfragen. Worum drehte sich der erste Punkt?«
Janet hatte die betreffende Seite in ihrem Block schon aufgeschlagen. »Eric entdeckt, daß Ruth einen Verrat versucht hat – sie wollte sich mit der Außenwelt in Verbindung setzen, den Standpunkt von Lovis preisgeben. Er findet sie vor dem Telefon. Nun kann er entscheiden, was er daraufhin tut.«
»Hier geht es um eine besondere Frage«, erläuterte Bell. »Wie wir wissen, war der Geschlechtstrieb früher sehr stark. Er diente dazu, die Art zu erhalten. Eine stärkere Geschlechtlichkeit verschaffte der Art anderen gegenüber Überlegenheit bei der natürlichen Auslese im Kampf ums Dasein. Seit wir den sozialen Idealstaat erreicht haben, gibt es keinen Kampf ums Dasein mehr, und dieser Trieb hat somit an Bedeutung verloren. Statt uns auf die Zufälligkeit der natürlichen Auslese zu verlassen, stützen wir uns lieber auf die Erbbiologie und wählen die Elternpaare selbst aus. Delius hat also seinem Normaltyp nur soviel Geschlechtstrieb zugestanden, um eine Paarung eben noch zu ermöglichen. Das hat noch einen weiteren Nutzeffekt – durch eine Minderung der Triebintensität sinkt auch die Aggressivität, Reizbarkeit und Unberechenbarkeit. Der Normaltyp ist also ruhiger und zufriedener. Und glücklicher. Dadurch, daß nur Individuen mit schwachem Triebleben zur Vermehrung zugelassen wurden, ist es gelungen, innerhalb einiger Generationen alles Anomale zu unterdrücken. Wenn heute doch hin und wieder archaische Typen auftreten, dann sind sie auf Mutationen zurückzuführen. Ohne Mutationen hätten wir kein Prüfsystem und keine erbgesundheitliche Überwachung der Bevölkerung nötig.«
»Das wissen wir«, sagte Czerny ungeduldig, aber Bell fuhr, ohne sich stören zu lassen, fort.
»Entschuldige! Es ist aber hier von entscheidender Bedeutung. Das zweite Erlebnis war nämlich ein Test auf Abweichungen im Triebleben des Patienten. Seine pathologische Entartung, was die Sozialmoral betrifft, ist durch die erste Prüfung einwandfrei erwiesen. Frost kam mir gleich verdächtig vor, und ich habe recht behalten: Sein Liebestrieb geht weit über die Deliussche Grenze hinaus. Die beiden Punkte, die wir jetzt besprechen, sollen klarstellen, was stärker ist – die Treue zu seinem Freund oder die Zuneigung zu einer Frau.«
»Er hat sie nicht verraten«, warf Graudenz ein, »dabei war sie eindeutig überführt!« Er schüttelte den Kopf und beschäftigte sich wieder mit seinem Schreibstift.
»Er hat sie nicht verraten«, wiederholte Bell. »Ich weise ausdrücklich daraufhin, daß in dieser Richtung keinerlei Beeinflussung erfolgte.«
»Interessant«, bemerkte Farmer. »Ich würde die Stelle gern vom Band hören.«
Czerny gähnte demonstrativ.
»Gewiß«, sagte Bell. »Bitte, Trombe!«
Janet ließ die Rollen kreisen. Die Stimmen erklangen aus dem Lautsprecher:
»Ruth wollte Lovis und dich verraten. Was wirst du mit ihr tun?«
Kurzes Schweigen. »Du mußt es Lovis melden, Eric.«
»... nein, nein...«
»Warum nicht? Sie hätte euch in Lebensgefahr gebracht! Warum sagst du es also nicht?«
»Lovis würde es nicht glauben.«