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Sie erreichte ihren Wohnblock und fuhr mit dem Lift hoch. Als sie an den Aufenthaltsräumen vorbeikam, sprudelte gerade eine Schar Mädchen heraus, die sie vom Tischtennisspielen kannte; sie warf ihnen einen übermütigen Gruß zu. Als sie den Gang betrat, an dem ihr Kämmerchen lag, summte sie eine Melodie vor sich hin. Sie hielt vor ihrer Tür und steckte die Marke in den Schlitz daneben. Die Tür rollte auf, und das Lied erstarb in ihrer Kehle.

»Komm ‘rein«, sagte der Mann, der in ihrem Lehnsessel lümmelte. »Und mach die Tür zu. Aber schnell! Setz dich.«

Janet sank auf das Bett nieder.

»Du hältst mich für blöd«, sagte Czerny. »Allein dafür hättest du eine Untersuchung verdient.«

Janet faßte sich. »Was willst du? Ich verstehe nicht.«

Ich hätte es mir denken können, daß es noch nicht vorbei ist, dachte sie. Es fängt erst an.

»Wo ist Eric Frost?«

Das Verhör begann wieder. In Janet regte sich der Trotz.

»Wie soll ich das wissen?«

Czerny musterte sie wie ein schlecht funktionierendes Werkzeug.

»Wo ist Eric Frost?«

Er nahm eine Vase vom Tisch und drehte sie in der Hand.

»Ich weiß es nicht.«

Czerny öffnete die Hand. Die Vase fiel zu Boden und zersprang. Bauchige Scherben wiegten sich. Janet sprang auf, aber Czerny hob den Fuß zu ihrem Magen und drückte sie in ihre sitzende Haltung zurück.

»Jetzt will ich dir mal was sagen, Miststück«, sagte er. »Eric sitzt im Wagen sechsneunzehn sieben fünf sieben eins vierzehn. Vor fünf Minuten ist er in die Nord-Süd-Straße emil zeppelin drei elf acht neun zwei eingebogen – neunzehn Minuten, nachdem ihr euch am Parkplatz Ost der Schuhverteilungszentrale getrennt habt. Du hast das Theater in der Klinik aufgezogen. Du bist eine Verbrecherin.« – »Aber ich –«

»Halt den Mund! Du scheust nicht davor zurück, dem Staat aus persönlichen Motiven Schaden zuzufügen. Du bist eine Verbrecherin.«

Er wischte mit der Hand über die Tischplatte. Seine Stimme wurde leiser.

»Aber du hast unverschämtes Glück. Dir geschieht nichts – wenn du meinem Befehl gehorchst. Ich lasse sogar Frost entkommen. – Du brauchst mich nicht so verwundert anzuglotzen. Du hast dich sicher sehr gefreut, als du gehört hast, daß ich Farmer im Verdacht habe. Nun, Farmer ist in dieser Sache unschuldig. Aber auch er ist ein Anomaler, und er ist viel gescheiter als du. Er hat sich eine Position gesichert, in der ich nicht an ihn heran kann – wenn nichts Eindeutiges gegen ihn vorliegt. Diesmal aber habe ich ihn übertölpelt. Ich habe Indizien anbringen lassen, die ihm das Genick brechen. Aber, hörst du: Eric Frost muß verschwinden. Und du wirst dafür sorgen, daß das schnellstens geschieht.«

»Was soll ich tun?«

»Du hast doch sicher einen Plan. Wo sollte sich Frost verbergen?«

Czerny wartete zwei Sekunden, doch Janet antwortete nicht. »Wahrscheinlich wollte er aufs Meer oder in die Antarktis. Das haben die meisten vor.«

»Gibt es denn viele?« fragte Janet schnell.

»Ja. Zu viele. Also – wo wollte sich Frost verstecken?«

»Auf dem Meer – er wollte von Fischen leben.«

»Siehst du, ich hab’s gewußt. Aber daraus wird nichts. Er kommt hier nicht heraus. Er muß hier verschwinden, hier in der Stadt.«

Er wehrte eine fragende Bewegung Janets ab. »Paß auf! Du kennst doch das Wasserwerk im Industrieviertel?«

Janet nickte. Czerny zog eine Maske aus der Brusttasche seiner schwarzen Bluse.

»Hier hast du eine Erkennungsmarke für Frost. Sie ist auf seinen Fingerabdruck abgestimmt. Du bringst Frost ins Wasserwerk. Im unteren Stockwerk sind in vier Hallen die Verteilungsautomaten untergebracht. In die Südhalle, hinter dem Automaten Siegfried acht, mündet eine Falltür. Sie ist mit dieser Marke zu öffnen.« Er warf sie ihr zu. »Wir haben noch eine andere Sperre, aber morgen abend wird sie geöffnet sein. Das ist ein Zugang zu den unterirdischen Flüssen. Früher rann das Wasser oberirdisch ab. Die Flüsse, Bäche und Seen waren Sammelbecken des Unrats, Brutstätten von Krankheitskeimen und Ungeziefer. Beim Ausbau der Städte wurden sie reguliert und gereinigt, heute liegen sie tief unter den Häusern. Zum Teil sind sie ausgetrocknet, zum Teil enthalten sie noch etwas Wasser.«

»Was soll Eric im Flußbett?« fragte Janet.

»Die alten Wasserwege«, fuhr Czerny unbeirrt fort, »bilden ein unterirdisches Labyrinth, das niemand genau kennt. Es hatte keinen Sinn, sich damit zu beschäftigen, und so haben wir es abgemauert. Es gibt nur ganz wenige offizielle Zugänge.«

»Aber was soll Eric dort?« rief Janet.

»Das ist mir gleich«, antwortete Czerny. »Er muß verschwinden. Das ist die einzige Möglichkeit dazu. Und auf dich darf kein Verdacht fallen. Du mußt deine Arbeit tun, als wäre nichts geschehen.«

Janet dachte nach.

»Du handelst selbst gegen das Gesetz«, sagte sie lauernd.

»Farmer ist gefährlich«, sagte Czerny. »Wenn ich ihn unschädlich mache, diene ich dem Staat. Wie ich das zuwege bringe, ist meine eigene Sache.«

»Ich könnte dich anzeigen.«

»Das würde für dich die Lobotomie bedeuten, denn dein Verbrechen läßt sich nachweisen. Wo aber willst du Beweise gegen mich hernehmen?«

»Ich werde mit Eric sprechen.«

»Wann triffst du dich wieder mit ihm?«

Janet zögerte einen Augenblick. Es nützt nichts, etwas Falsches zu sagen, dachte sie.

»Morgen abend«, antwortete sie.

»Dann bringst du ihn morgen abend zum Fluß, und die Sache ist erledigt. Und versäume nicht eine einzige Dienststunde. Das ist ein Befehl. Ich hoffe, du verstehst.«

Jäh erhob er sich und ging zur Tür. Er hielt den Kopf steif emporgereckt, als schmerzte ihm der Hals vom langen Reden. Ohne sich umzudrehen, ging er hinaus.

In dieser Nacht fand Janet keinen Schlaf. Am Morgen hatte sie heftige Kopfschmerzen, doch sie kam pünktlich in der Klinik an. Sie nahm sich die Krankenkartei vor und konzentrierte sich auf die Ergänzungen, die sie eintrug. Die Arbeit lenkte sie ein wenig ab, aber in der Mittagspause standen die Fragen wieder vor ihr. Sie ging in einen Lagerraum und suchte zwei Handscheinwerfer und einige Ersatzbatterien. Sie schrieb sich selbst ein Rezept auf orthopädische Schuhe aus und erhielt darauf statt der Sandalen ein Paar stabile, über die Knöchel reichende Stiefel. In einem Kleidermagazin suchte sie zwei feste Overalls, wie sie die Maschinenprüfer bei der Arbeit trugen. In einem Laden füllte sie zwei Taschen mit verschiedenen, möglichst konzentrierten Eßwaren. In der Kantine steckte sie heimlich zwei Eßbestecke zu sich. Diese Dinge füllten vier Einholbeutel. Statt zu essen, fuhr sie mit einem Elektrowagen zum Wasserwerk und versteckte zwei der Beutel in der menschenleeren Halle hinter einer der Maschinen. Sie suchte auch den Automaten Siegfried acht und entdeckte an der von Czerny beschriebenen Stelle die Tür.

Den Nachmittag verbrachte sie wieder bei ihrer Kartei. Am Abend bemerkte sie, daß sie soviel wie nichts getan hatte. Sie zuckte die Schultern, wie um sich selbst ihre Gleichgültigkeit zu demonstrieren. Nach Dienstschluß hängte sie die zwei restlichen Beutel über die Schulter, fuhr hinunter zur Straße, wählte ein Fahrzeug und traf sich wie vereinbart mit Eric. Er stieg zu ihr um, und sie fuhren wieder los. Sie erzählte ihm alles.

»Ich bin nicht stolz darauf, daß ich recht behalten habe«, sagte Eric. »Es ist am besten, ich stelle mich jetzt.«

Janet hatte auch diese Möglichkeit bedacht und verworfen. »Wenn du das tust, sind wir alle beide verloren. Es bleibt uns keine Wahl. Wir flüchten ins Flußbett.«

»Du hast doch nicht vor, mitzukommen?« fragte Eric.