Выбрать главу

»Doch, ich komme mit.«

»Weißt du denn, ob man unten überhaupt leben kann?«

»Willst du mir Angst machen?«

»Und wenn ich es nicht zulasse?«

»Dann gehe ich eben allein.«

Sie schwiegen eine Weile. Dann sagte Janet leise: »Eric, bitte, laß mich jetzt nicht allein zurück.«

Der Elektrowagen verlangsamte seine Fahrt und durchlief die Reihe der Fahrbahnen nach rechts. Fahrzeuge, die er eben noch überholt hatte, überholten jetzt ihn. Die Lichtflut einer Garage löste die Dämmerung des Tunnels ab – die Parkhalle Süd des Wasserwerks. Der Wagen hielt.

»Komm«, sagte Eric.

Janet holte tief und lautlos Luft. Sie kamen unangefochten durch die Sperre, stiegen die Treppen hinunter und betraten die Südhalle. Sie war leer wie zu Mittag, die beiden Beutel lagen unangetastet hinter der Maschine, wo sie Janet versteckt hatte. Jeder nahm zwei an sich. Eric führte die Marke in den Schlitz ein. Die Bodenluke öffnete sich wie ein hungriges Maul. Eric ließ den Handscheinwerfer aufflammen. Eine freihängende Leiter führte in die Tiefe. Eric stieg voran, Janet folgte. Unter ihnen gähnte es schwarz. Immer kleiner wurde das helle Quadrat über ihren Köpfen.

»Hier ist der Grund«, sagte Eric.

Janet stieg neben ihm von der Leiter. Eric leuchtete die Umgebung ab. Sie befanden sich in einem gigantischen unterirdischen Kanal, der von einer Betonwölbung überdacht war. Vor ihnen glänzte es matt – ein seichtes Gerinne schlängelte sich über den mit Rollschotter bedeckten Boden. Sie selbst standen auf einer Rampe aus rohbehauenen, aneinander zementierten Steinbrocken. Ein Geräusch ließ sie aufblicken: Es gab kein helles Quadrat mehr, und auch die Leiter war verschwunden.

Eric kletterte über die Böschung hinunter und leuchtete ins Wasser. Er hob die Hand.

»Das ist die Richtung flußabwärts.«

Janet blickte ins Dunkel. »Dort liegt das Meer.«

»Ja, zweihundert Kilometer flußabwärts.« Eric bückte sich und hielt die Finger ins Wasser. »Es scheint sauber zu sein.« Und er fügte hinzu: »Hier gibt es keine Wasserleitung.«

Janet hatte sich auf einen hervorstehenden Felsquader gesetzt.

Hier gibt es keine Wasserleitung, dachte sie. Sie spürte kühle, feuchtigkeitsgesättigte Luft in ihre Kleidung eindringen. Ein leichter Fäulnisgeruch stieg in ihre Nase. Hier gibt es kein Licht, keine Klimaanlage, keine Waschräume, keine Lebensmittelstores, keine Kinos und keine Stereos. Hier gibt es keine Menschen.

Sie irrte sich.

»Schau dir das an!« rief Eric.

Er hockte am Ufer auf einem flachen Hügel von angeschwemmtem Sand. Janet stieg, mühsam ums Gleichgewicht kämpfend, den Abhang hinunter. Da sah sie es auch. »Fußspuren!«

Sie schaltete ihre eigene Lampe ein. Die zwei Lichtkreise tanzten über den Sand. – »Vielleicht sind es deine eigenen?«

»Nein. Schau doch!« Eric wies auf eine abschweifende Fährte. Sie folgten ihr, bis sie sich auf den Steinen des Hanges verlor.

Noch einmal kniete Eric vor einem besonders deutlichen Abdruck nieder. »Er stammt von einem bloßen Fuß.«

Er richtete sich auf. Sein Gesichtsausdruck war nicht zu erkennen. Unwillkürlich trat Janet näher an ihn heran. Sie spähten und lauschten.

»Es muß hier Menschen geben.«

Ihre Lampen warfen milchige Kegel in den Dunst. Unscharf begrenzte Lichtflecken hasteten über rauhe Mauern, flossen von den Decken herab, hüpften über Löcher, sprangen mit einem Satz in die Leere der Gangfortsetzungen. Nichts bewegte sich, aber plötzlich war etwas Lauerndes da. Oft streifte das Licht grell an unheimlichen Gebilden, die da und dort herumlagen – einem rostigen, auf der Seite liegenden Ölfaß, einem die Räder in die Luft streckenden, halbzerstörten Traktor –, es verlieh den Dingen gespenstisches Leben, sie schienen sich in der Finsternis heimlich zu bewegen und erst im Licht eingefangen zu erstarren. Aber nicht diese Dinge waren es, die eine beklemmende Atmosphäre erzeugten – es war die Anwesenheit von anderen, Verborgenen, Unbekannten, in deren Bereich sie nun eingebrochen waren.

»Czerny hat zugegeben, daß es viele Anomale gibt«, flüsterte Janet.

»Vielleicht konnten sich auch andere retten. Es sind Menschen wie wir. Wir müssen uns mit ihnen verständigen! Wir müssen sie finden!«

Eric schwang die Plastikbeutel über die Schulter.

»Komm, wir brechen auf! Trag die Taschen so wie ich – da wirst du nicht so schnell müde. Wenn wir zum Meer wollen, haben wir einen weiten Weg vor uns. Und lösch deine Lampe. Wir müssen sparen – mit allem.«

Er hob seinen Blick noch einmal an die Decke – der Einstieg blieb hinter Dunstschleiern verborgen.

Sie brachen auf.

Eric wanderte mit der Lampe voran. Er hatte auf halbe Intensität gestellt und beleuchtete den Boden vor seinen Füßen. Nur gelegentlich ließ er den Strahl in die Ferne schweifen.

Es war ein mühevolles Weiterkommen – es gab keinen Weg. Zuerst gingen sie über den Steinboden der Uferanlage, dann aber traten die Wände zusammen, und sie mußten hinunter ins Flußbett. Ihre Füße stapften durch feuchten Sand, in dem sich jede Spur sofort mit Wasser füllte, stolperten über rollende Kiesel, glitten in Lehm und Schlick aus, versanken im Schlamm. Es folgte eine riesige, flache Stelle, in der die Decke so tief herunterreichte, daß sie nur gebückt gehen konnten, es gab kluftartige Passagen, an denen sie durchs Wasser waten mußten, oft teilte sich die Strecke, von den Seiten kamen dünne Wasseradern aus schwarzen Löchern, oft von Schwaden ekelhaften Gestanks begleitet.

Manchmal blieben sie stehen und lauschten: An das Geplätscher des Flußlaufes hatten sie sich gewöhnt – sonst war es still, aber manchmal wehte von irgendwoher plötzlich ein Gurgeln und Röcheln an sie heran, als habe jemand eine versteckte Schleuse aufgetan und ließ nun schleimigen Unrat in das Wasser fließen, und einmal fuhren sie zusammen, denn es ertönte wie Gelächter, doch es hörte ebenso plötzlich auf, wie es begonnen hatte. Und dann erklang ein Ächzen...

Sie waren gerade an einer vielfach gewundenen trockenen Strecke – das Wasser hatte sich einen tiefen Canon gegraben und gluckste in der Tiefe. Sie hielten an, Eric blendete den Strahl des Scheinwerfers auf und leuchtete die vor ihnen liegenden Stellen ab. Wieder ächzte es. Weiter vorn lag etwas zusammengekauert an der Wand – eine menschliche Gestalt.

Es war ein alter Mann, fast schon ein Greis, er hielt die Augen geschlossen, von Zeit zu Zeit lief ein Zucken über seinen Körper, und dann drang das grauenvolle Stöhnen zwischen seinen Lippen hervor.

Sie bückten sich zu ihm nieder – er stank nach verfaultem Fisch und Dreck. Seine Kleidung bestand aus Lumpen, seine Füße waren unbedeckt. Die Hände preßte er auf den Magen.

»Bist du verwundet?« fragte Eric.

Er faßte ihn an der Schulter an und versuchte ihn aufzurichten, doch hielt er plötzlich einen Fetzen brüchigen Stoffes in der Hand.

Die Lippen öffneten sich noch ein wenig, gelbe Zahnstummel kamen zum Vorschein. Die Augen blinzelten unruhig im Licht. Er lallte etwas und deutete auf seinen Magen.

»Leuchte mir«, bat Eric Janet.

Er reichte ihr die Lampe, stellte seine Beutel ab und kniete vor dem Alten nieder. Er griff nach dessen vor den Magen gepreßten Händen.

Und dann geschah einiges zugleich: Eric erhielt einen Stoß, der ihn hintenüber kollern ließ, er sah gerade noch hastige Hände nach einer der Plastiktaschen langen, dann war es finster. Der Alte hatte Janet die Lampe aus der Hand geschlagen. Man hörte seine Fußsohlen auf den Geröllen klatschen.

Janet drehte ihr Licht auf. Eric rappelte sich zusammen. Er hob seine Lampe vom Boden und drückte den Knopf nieder – ohne Ergebnis, irgend etwas war beschädigt. Er riß die Lampe aus Janets Hand und setzte dem Flüchtenden nach.

»Laß mich im Dunkeln nicht allein«, rief Janet.

Sie belud sich mit den drei übrigen Vorratsbeuteln und lief stolpernd hinterdrein. Eric erwartete sie an der nächsten Biegung.