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»... du spürst nichts mehr, du fühlst nichts mehr, du schläfst... du schläfst...«

Sie spürte den leisen Ruck in seinem Körper, der das plötzliche Erschlaffen einer Muskelpartie anzeigt.

»... du spürst nichts... du spürst nichts... du spürst nichts...«

Sein Arm lag kraftlos auf ihrer Hüfte, sie hob ihn auf und ließ ihn fallen... noch einmal... Die Atemzüge blieben tief und gleichmäßig...

»... tief schlafen... tief schlafen...«

Unten klirrte leise ein Stein. Sie lauschte, ohne von ihrem Singsang abzulassen.

»... schlafe... schlafe...«

Wieder regte sich unten etwas. Sie wußte, daß ein im Wachen gegebener Selbstbefehl noch im Traum als Reflex ausgelöst werden kann – und sie wußte auch, daß sie erst ein paar oberflächliche Bewußtseinsschichten ausgeschaltet hatte. Doch sie durfte nicht länger warten...

»... schlafe... schlafe...«

Sie tastete nach der Hand, die den Revolver hielt. Sie umfaßte sie sanft, aber bestimmt und zog sie ebenso bestimmt beiseite...

»... schlafe... schlafe...«

Etwas schlug an der Mauer auf und noch einmal, diesmal am Boden, etwas rollte... Die da unten witterten, daß sich hier ein Wechsel vollzog, und rotteten sich zusammen.

»... schlafe... schlafe...«

Janet hob die Hand mit dem Revolver und ließ los, der Arm sackte wie Gummi herab.

Bereit, jeden Augenblick aufzuspringen, berührte sie den Zeigefinger, der am Abzughebel lag. Unendlich behutsam löste sie ihn, löste auch den Daumen und die übrigen Finger und hielt die Waffe in der Hand. Unter der Brusttasche des schlafenden Mannes sah sie eine Erhebung, sie öffnete den Reißverschluß und holte zwei Magazine mit Patronen und ein Feuerzeug heraus. Auch zwei frische Fackeln, die herumlagen, steckte sie sich ein.

Jetzt prasselte ein Schauer von Steinen um sie, ein Stein traf das Blech, und es fiel mit Getöse von Stufe zu Stufe zur Erde nieder. Janet packte die brennende Fackel und warf sie hinunter. Dunkle Schatten flitzten auseinander.

»Ich habe den Revolver!« rief sie. »Ich schieße auf jeden, der sich blicken läßt!«

Als nichts darauf geschah, zielte sie und drückte ab. Sie hatte nie zuvor eine Schußwaffe in der Hand gehalten, und sie traf niemand – aber es wirkte.

Ein Huschen und Fegen, Gleiten und Schleifen, und der Platz war geräumt.

Janet warf einen letzten Blick auf die Plattform – der Mann schlief und atmete tief. Sie stieg vorsichtig hinunter und wanderte quer durch die Halle, dabei vermied sie es, nahe an die Pfeiler heranzukommen. Sie zog sich in eine Gangmündung zurück und wartete. Dem ersten Verfolger, der sich heranwagte, warf sie einen Schuß entgegen. Als sie sich herumdrehte, um lautlos davonzuschleichen, trennte sich ein Schatten von der Wand.

»Du hast den Revolver«, sagte Maus. »Gib ihn mir.«

»Zuerst dein Versprechen«, sagte Janet.

»Komm mit!« Behende lief Maus in den Gang hinein.

Bald kamen sie in eine Region, die Janet noch nicht kannte.

»Mach Licht«, befahl Maus.

Janet gehorchte.

Zwei Flußläufe vereinigten sich hier und setzten sich in einem breiten Bett fort.

In der Mitte lief eine gehörige Wassermenge in einem betonierten Gerinne.

Janet war stehengeblieben, doch das Kind drängte weiter.

Nach einem Weg von zwei Kilometern, an dem sich die Szenerie nicht veränderte, schwoll ein Rauschen auf, das mächtiger und mächtiger wurde, je weiter sie vordrangen.

»Maus«, fragte Janet, »ist es... das Meer?«

Das Kind lachte glucksend.

»Wirst schon sehen.«

Nach zehn Minuten war der Weg zu Ende.

»Da ist es«, schrie Maus.

Direkt vor ihnen klaffte ein Abgrund, in den sich tosend das Wasser ergoß. Aus dem schleierverwehten Hexenkessel dröhnte es schmerzhaft, es wehte in Stößen herauf, beängstigend und betäubend, es schien sich gegen überstarken Widerstand emporzuringen und sich dabei zu überschlagen, und dann entluden sich die konzentrierten Energien in einem Wirbel von knatternden Explosionen.

»Wir sind da!« schrie Maus. »Gib mir den Revolver!«

Janet kniete am Rand des Abgrundes nieder und leuchtete hinab – der Grund des Schachtes lag in unabsehbarer Tiefe. Ihr Blick suchte. Sie richtete sich enttäuscht auf. Der Raum war leer bis auf ein hoch hinaufgebautes Leiterngerüst an der rechten Wand.

»Wie sind die anderen von hier weitergekommen?« fragte Janet.

»Gib mir den Revolver«, rief das Kind.

»Weißt du es überhaupt?«

»Hier oben habe ich gesessen«, Maus deutete auf das Gerüst, »und ich hab’s gesehen. Ich sag’ es dir – aber zuerst gib mir den Revolver.«

Janet reichte dem Mädchen die Waffe. Die schmale Kinderhand umspannte sie kaum, aber sie hielt sie ruhig und fest. Der Lauf wies auf Janet.

»Laß die Dummheiten«, schrie Janet. »Wie geht es von hier weiter?«

»Hier hinunter!« Das Kind deutete zum Abgrund. »Hier geht es hinunter.«

»Aber wie?« Janet wollte näher kommen, aber ein Wink mit der Waffe verbot es ihr.

»Springen«, rief Maus. »Sie sind hinuntergesprungen.« Sie schüttelte sich vor Lachen. »Du mußt hinunterspringen! Spring doch! Spring!«

»Gib mir den Revolver zurück!« schrie Janet durch das Dröhnen.

»Spring doch!« schrie das Kind. »Ich brauche dich nicht mehr! Ich habe den Revolver, ich brauche dich nicht mehr.«

Es tänzelte einige kleine Schritte rückwärts, dann drehte es sich um und rannte davon. Seine Schreie übertönen noch eine Weile den Donner aus der Tiefe, der zwischen den Wänden hin und her rollte.

Janet stand stumm an der Stufe. Das ist der Weg zum Meer, dachte sie und ertappte sich dabei, wie sie bitter auflachte. Ein unbändiger Wunsch, sich hier hinunterzustürzen, irrlichterte in ihrem Gehirn. Der Kessel schien sie anzuziehen. Mühsam gewann sie die Herrschaft über sich selbst zurück.

Sie drehte die Feuerkrone ihrer Fackel erdwärts und ließ die Flammen am fettgetränkten Stoff lecken, bis er hell loderte. Dann riß sie einen brennenden Fetzen herunter und warf ihn in den Schacht. Es flatterte, zog einen Funkenschweif nach sich, sprang irgendwo auf und regnete in mehreren Stücken weiter – Lichtpunkte, die alsbald in das Nichts tauchten. Die Augen Janets blickten seltsam dunkel. Sie zog ihre Bluse über den Kopf, rollte sie zusammen, knüpfte einen Ärmel um die brennende Fackel und stieß das ganze Bündel hinab. Wieder starrte sie fasziniert in das Unergründliche, bis der letzte Funken erstarb. Es war völlig finster. Da trat sie ganz nah an die Stufe heran, holte tief Atem und sprang. Der Luftschlauch schoß mit Zischen hoch, sie hatte das Gefühl, im leeren Raum zu schweben... dann berührte sie etwas.

Fäden führten kreuz und quer, ein Draht lief über eine Rolle, ein Relais schnellte hart herab. Energie ergoß sich aus einer Batterie, Ströme wanderten durch Spulen, ein Magnetfeld richtete sich auf, zwei Widerhaken rafften ein Geflecht zusammen, zwei Stangen schoben sich zueinander. Ein grauer Klumpen baumelte stumm. Eine Klingel schrillte, Türen flogen, Schritte trabten. Ein Körper rollte in einen Behälter, ein Seil trug ihn dreihundertsiebzig Meter empor, ein Bodenstück hob sich, eine Gestalt kollerte in eine schaumgummigepolsterte flache Wanne, Hände massierten. Vier Männer in weißen Anzügen beobachteten amüsiert.

»Du hast rasch zurückgefunden«, sagte Czerny. »Eigentlich hättest du es länger verdient. Die meisten brauchen länger, bevor sie sich hinabstürzen. Einige brauchen ein Leben lang.«

»Farmer«, flüsterte Janet. – »Gewiß, Farmer ist auch hier«, bestätigte Czerny. »Die Geschichte über Farmer war natürlich Schwindel. Dein Fehler, daß du sie geglaubt hast.«

»Aber warum –«

»Wir strafen nicht mehr«, sagte Farmer, »obwohl viele Strafe verdienen. Wenn sich aber jemand selbst strafen will...« Er zuckte die Schultern. »Alle, die untertauchen, tun es freiwillig.«