... die Phantasie.
Eric wußte nicht, wo er war und was er war. Aber er war nicht allein; da war das Mädchen, das Janet hieß; da war eine Wand von Zahlen und Zeichen – mit ihnen beiden war er in einen gitterlosen Käfig eingeschlossen. Und außerhalb von ihnen beiden war noch etwas, das Einfluß zu nehmen suchte...
Der Weg zu dieser Außenwelt konnte nur durch jene Wand führen. Er drang ein, wühlte sich hindurch... Schnell gewann er eine gewisse Übersicht über das hier gespeicherte Material. Er kramte die für ihn wichtigen Informationen aus seinem neu geschenkten Gedächtnis, einem Gedächtnis voll Erinnerungen – ganz anderer Erinnerungen, als sie ihm kurz zuvor zuteil wurden, Erinnerungen ohne Gefühlswerte – reine Zahlen, Kurven, Bilder... Ja – er fand auch Bilder, und er forschte danach, was dahintersteckte, und er fand ein Auge.
Das Auge zeigte ihm ein Muster gleichmäßig verteilter schwebender Ringe, hinter denen ein schwarzes Tuch gespannt war... ein schwarzes Tuch mit weißen Punkten... die Wega... der Große Bär... ein wenig verzerrt, aber... die Sterne! Er war im Weltraum. Es schien unmöglich, aber es war so.
Und dann entdeckte er die Struktur seines neuen Gehirns und seines neuen Nervensystems – einen Schaltplan. Er verfolgte diesen Plan und stieß auf seine neuen Organe: Mikrofone, Elektronenkameras, Thermometer, Barometer, Ionisierungsklammern... auf neue Gliedmaßen: Reparaturwägelchen, kleine, durch Funk zentralgesteuerte fahrbare Roboterdrehbänke, mit Greifarmen, Preßlufthämmern, Schneidbrennern ausgerüstet... auf sein neues Herz: die chemische Batterie... auf seine Kommunikationsorgane: den Funk und den Lochstreifen...
Er tat mehreres ganz kurz hintereinander: Er verschloß elektronisch sämtliche Türen – eine Maßnahme, wie sie beim Durchschlag eines Meteors automatisch ausgelöst wurde –, er unterbrach die Funkverbindung zu den anderen Schiffen, und er schaltete sämtliche Mikrofone und Elektronenkameras ein.
Es war nicht ganz so leicht, wie er gedacht hatte – ein Klingelzeichen schrillte, überschlug sich, irgend etwas regulierte die Lautstärke tiefer, jetzt war sie erträglich, aber in Abständen von halben Sekunden klangen Echos an, jeder Ton zog eine ganze Reihe weiterer hinter sich her, jeder folgende schwächer als der vorhergehende... Er veränderte irgend etwas – die Töne wurden normal. Auch das Bild erschien verzerrt und mehrfach übereinander, aber auch hier fand er die Methode bald. Durch die Elektronenobjektive der Reparaturwagen blickte er in vierundzwanzig Räume, er sah auch in die Automatenzentrale... er sah die vier Gestalten vor den Apparaten stehen – waren es Menschen? Sie sahen so wie Menschen aus – und doch wieder nicht... Die Hautfarbe war anders, die Haltung, die Proportion... Sie hielten sich aufrecht, sie waren mit einer Art Schürzen bekleidet, sie hatten zwei Augen, zwei Arme, zwei Beine, sie waren so groß wie Menschen – doch dafür fielen gerade die kleinen Unterschiede stärker ins Gewicht, die Beweglichkeit der Gesichter, die platten Nasen, das Fehlen eines abgesetzten Halses – die Köpfe gingen direkt in den Rumpf über.
Eric überlegte nicht lang. Er ließ den Lochstreifen laufen: ›Was wollt ihr von mir?‹
Er sah, wie sie einander anschauten, und war wieder erstaunt über ihre Fremdartigkeit. Wenn man sie als Menschen betrachtete – wie verkleidete, verwachsene Albinos sahen sie aus. Jetzt sagte einer etwas. Er hörte es über das im Reparaturwagen eingebaute Mikrofon, aber er verstand den Sinn nicht – eine fremde Sprache, aber doch eine Lautsprache, sogar eine mit dem Mund hervorgebrachte... Während sie diskutierten, forschte er unter der Fülle an Informationen nach dem Umsetzschema: Lautsprache – Sinn.
Jetzt setzte sich einer an die Schreibmaschine und tippte. Er wartete gespannt...
Die einlaufenden Zeilen waren verständlich: ›WIR HABEN EINIGE WISSENSCHAFTLICHE FRAGEN UND BITTEN UM AUSKUNFT. IST DEIN ERINNERUNGSVERMÖGEN INTAKT?‹
Er überlegte kurz, dann antwortete er: ›Erinnerung – glaube ich – intakt. Was wollt ihr wissen?‹
Prompt langten wieder Zeichen an: ›STAMMT DEINE RASSE VON JENEM...‹
Der Satz war unvollständig. Er sah, daß im Raum ein Streit im Gang war. Er unterbrach: ›Frage unvollständig eingetroffen. Bitte wiederholen.‹
Er wußte sehr genau, daß seine Situation brenzlig wurde. Schnell probierte er die Macht aus, die er über die Werkzeugwägelchen besaß – er ließ die Zangen sich leicht bewegen und die Räder ein kleines Stück rollen... Es funktionierte tadellos – er war gewappnet und bereit, unverzögert zu reagieren. Er wußte auch, was ihm drohte: Inmitten der Schalttafel, die ihm das elektronische Auge der Kamera vorwies, saß ein Schalter, der sich durch nichts von den vielen anderen unterschied – durch nichts, als daß sich mit ihm die Stromleitung unterbrechen ließ, die von der chemischen Batterie in Erics Inneres führte.
Jetzt hob der, der geschrieben hatte, die Hand, doch bevor sie in gefährliche Nähe des Schalters kam, ließ er sie wieder sinken. Eines der Wesen hatte etwas Befehlendes gerufen. Den lauten Stimmen war zu entnehmen, daß wieder eine Meinungsverschiedenheit aufgetreten war.
Allmählich lernte er, die Kompetenzen seiner Widersacher zu unterscheiden. Der eine, der die Schreibmaschine bediente, schien eine untergeordnete Stellung zu bekleiden. Es fiel auf, wie er verstummte, wenn die anderen das Wort an ihn richteten. Er war von großem, kräftigem Körperbau und trug eine gelbe Schürze oder etwas, das ähnlich wie eine Schürze aussah. Ein anderer, der viel kleiner war, sich aber betont geschmeidig bewegte, schien ein Wissenschaftler zu sein, denn er deutete oft auf die Apparate und griff auch von Zeit zu Zeit selbst zu. Jetzt kam auch er in die Nähe des Schalters und streckte die Hand aus. Seine Bewegung war so ruhig und beherrscht, daß es nicht notwendig war, den Roboter in Funktion zu setzen. Aber Eric warnte ihn mit Hilfe des Lochstreifens: ›Bitte nicht abschalten!‹
Doch der Wissenschaftler reagierte nicht. Da ließ Eric einen Zangenarm in die Höhe steigen – bereit, zuzupacken. Die Hand stand still... fiel herab. Gut, dachte Eric. Aber was sollte er tun? Mit halber Aufmerksamkeit lauschte er den unverständlichen Lauten, die ihm die Mikrofone übermittelten, den anderen Teil widmete er den gespeicherten Informationen. Insbesondere mußte er mit der Anlage vertraut werden, die jetzt sein eigenes Adernnetz, sein Antrieb, sein Körper waren; das waren jene Stellen, an denen er verwundbar zu sein schien...
Einer der vier stürzte jählings vor, auf den Schalter zu... Eric war auf der Hut... Er fing den zulangenden Arm mit der Zange des Robotmechanismus auf und hebelte ihn herum. Der Mann – er nannte ihn Mann, als wenn es ein Mensch wäre – stürzte hart zu Boden. Jetzt lief einer von jenen beiden, die zu befehlen hatten, los – er rüttelte an der Tür, lief zu einem instrumentenumgebenen Sitz, riß einen Hörer von der Gabel, lauschte, schmiß ihn auf die Gabel zurück, schlug auf den Alarmknopf – natürlich erfolglos. Eric lachte – lautlos –, aber er lachte und wunderte sich darüber. Gleich darauf aber riß er sich zusammen – es gab noch viele ungeahnte Gefahren. Zumindest gegen die bekannten konnte er vorbeugen. Er ließ dem Roboter den Hauptschalter abschneiden – oder er schnitt ihn mit den Werkzeugen des Roboters ab; das war dasselbe. Da gab es noch eine Möglichkeit, auf ihn Einfluß zu nehmen, an die die vier Leute in der Zentrale noch nicht gedacht hatten: die Testapparatur. Sie hätte nichts Entscheidendes ändern, aber ihm doch recht peinvolle Augenblicke bereiten können: durch Impulse in sein Seh- und Hörzentrum; ein richtig dosierter elektrischer Strom in sein Schlafzentrum hätte sogar recht fatale Folgen gehabt – und Schmerz war auch gefährlich. Er richtete den Schneidbrenner darauf und zerstörte es.
Jetzt war er einigermaßen gesichert. Hoffentlich hatte er nichts übersehen! Er konzentrierte sich kurz auf ein anderes Problem und schrieb dann: ›Ich stelle meine Bedingungen – ihr habt das Schiff innerhalb von zwanzig Minuten zu verlassen‹.