Vries starrte durch eine Luke. Der Dunkelnebel blähte sich merklich auf.
»Was will er nur dort?« murmelte er.
»Dort ist er vor Verfolgung sicher«, antwortete Ebb. »Kommen unsere anderen Schiffe nach?«
Vries trat an die andere Luke. »Nein, noch nichts zu sehen.«
»Was können wir tun?« fragte Rety.
»Wir müssen es mit List versuchen«, schlug Ebb vor. »Verstehst du – scheinbar auf seine Wünsche einzugehen.«
Er setzte sich an die Schreibmaschine und schrieb: ›Wir bedauern die unüberlegte Handlung Orchs. Wir nehmen deine Bedingungen an. Bring uns zu unserer Flotte zurück!‹
Der Lochstreifen lief an: ›KXLKXL KXLKXL XXLXXK KLXKLX.‹
Sie starrten auf die unerklärlichen Lochmuster.
›Nicht verstanden‹, schrieb Ebb.
Wieder spie der Apparat eine Papierschlange aus: ›XKLXKL XKXKLL XXXKKK KXLKXL.‹
»Der Automat funktioniert nicht mehr!« rief Ebb.
»Vielleicht sind die Sperren aufgehoben«, hoffte Rety. Er riß an der Türklinke – die Tür sprang auf.
Aufgeregt drehte er sich um. »Schnell, montiert die Zufallsschaltung ab, die das Unheil verursacht hat!«
Vries streckte die Hand aus, aber der Reparaturwagen rollte heran, ein gestieltes Rohr hob sich, und vor dem Schneidbrenner zischte ein blauer Entladungsbogen. Vries ging weiter zu jener Wandstelle, die Orchs Ionenschleuder aufgebrannt hatte, dabei schielte er nach dem Reparaturwagen; doch der bewegte sich nun nicht mehr. Ebb verstand die Absicht seines Chefs und holte einen Lötkolben, Draht und eine Schachtel mit Transistoren, Widerständen, Kondensatoren und anderem notwendigen Kleinkram.
Rety sah ihnen mißtrauisch zu. »Was macht ihr da?«
»Wir reparieren die beschädigte Steuerung«, erklärte Ebb. »Dann stellen wir auf Handbetrieb und kehren zu unserer Flotte zurück.«
Rety wartete ungeduldig. Irgend etwas Ungewohntes störte ihn – zusätzlich zu allem Ungewöhnlichen, was diese Situation mit sich brachte. Er schaute umher – dann merkte er es: Die Sterne waren verschwunden. Die beiden Fernsehschirme über dem Kommandositz, von denen jeder eine Hälfte der Himmelskugel zeigte, waren schwarz. Es sah aus, als hätte jemand einen Vorhang zugezogen.
»Dauert es noch lange?« fragte er besorgt.
Er bekam keine Antwort. Zu jeder anderen Stunde hätte er nun aufbegehrt, aber jetzt schluckte er es hinunter. Bin ich noch Kommandant? fragte er sich plötzlich. Er lachte bitter auf – Kommandant eines steuerlosen Schiffs, das von einem Elektronengehirn verschleppt wird. Plötzlich verstand er die unüberlegte Handlung Orchs. Er bückte sich zu ihm und versuchte ihn zu wecken.
Nach einer halben Stunde richtete sich Vries auf. »Versuchen wir es!«
Er näherte sich langsam dem Führersitz – der Roboter reagierte nicht. Mit einer hastigen Bewegung drückte er den Schalthebel hinab: von ›Automatische Steuerung‹ auf ›Handsteuerung‹. Dann ließ er den Ring hundertachtzig Grad um eine seiner Speichen schwenken. – »Vries!« brüllte Ebb.
Der Roboterwagen rollte heran, auf Vries zu... Vries stand wie versteinert. Sanft drückte ihn ein Metallarm beiseite... Eine Zange erfaßte den Hebel und legte ihn wieder hinauf. Dann zischte der Schneidbrenner – der Hebel fiel zu Boden.
Ein Relais klickte. Ebb sah sich um, auch Vries erwachte aus seiner Erstarrung. Der Papierstreifen lief an und blieb gleich wieder stehen. Ebb riß ihn hastig ab. Sie lasen. Nur ein Wort stand darauf. ›DANKE!‹
»Er hat uns betrogen«, flüsterte Vries tonlos.
Rety war jetzt ganz ruhig. »Die Situation ist außergewöhnlich«, sagte er. »Sie hat uns überrascht. Wir haben planlos gehandelt. Jetzt Schluß mit dem Improvisieren...«
Der Papierstreifen floß wieder aus der Lochstanze: ›ICH STELLE MEINE BEDINGUNGEN: IHR HABT ZWANZIG MINUTEN ZEIT, UM DAS SCHIFF ZU VERLASSEN.‹
»Wir können doch nicht... hier... in der Wolke...!« stöhnte Orch mit matter Stimme.
Der Streifen lief: ›ICH VERHANDLE NICHT.‹
»Er versteht«, sagte Vries.
»Wir haben nicht mehr viel Zeit«, sagte Rety. »Es ist nötig, logisch zu denken. Was wir als nächstes unternehmen, muß gelingen. Es muß gut überlegt sein. Nein«, er hob abwehrend die Hand, als Ebb etwas sagen wollte, »nicht sprechen – er hört mit. Gut überlegen, und dann sofort handeln.«
Er hat recht, dachte Ebb, überlegen, handeln. Aber das legt schwere Verantwortung auf...
Rety blickte von einem zum andern. – Alle schwiegen.
So müßte es gehen, dachte Ebb. Er ließ seine Idee im Kopf herumgehen, wie man ein Bonbon im Mund hin und her schiebt. Aber was weiß ich von ihm? Er starrte auf die Schaltwand mit den Instrumenten, den Skalen, Zeigern, Lämpchen, Hebeln, Schaltern. Er sah das, was dahinter steckte, oder richtiger: Er empfand es. Er empfand die Anwesenheit von etwas Fremdem, Unheimlichem, Gefährlichem – etwas Unberechenbarem. Einige theoretische Zusammenhänge zwischen Tatkraft und Zufall erschlossen sich ihm, aber er verscheuchte diese Ideen – später, wenn es ein Später gab. Jetzt müßte ich wissen, wie er denkt, wie er handelt, aber ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht, meine Kollegen wissen es nicht – wahrscheinlich wußte er das nicht einmal selbst. Das war die irrationale Komponente. Und so hatte er nicht nur gegen eine hohe Intelligenz und gegen einen überlegenen Willen zu kämpfen, sondern auch gegen etwas, worüber es prinzipiell keine Sicherheit gab, höchstens eine Wahrscheinlichkeit: gegen den Zufall.
Er wußte, wie schnell die Mechanik des Wagens reagieren konnte. Nichts Mechanisches vermochte sich der Reaktionsträgheit zu entziehen. Er schätzte die Entfernungen ab: Hier stand er, dort stand der Wagen, dort war die Antenne. Hier wenigstens hatte er Sicherheit... Aber was würde geschehen? Das Ding würde zwar seiner Dienstboten beraubt sein, in seinem Sehen und Hören behindert, in seinem Handeln beschränkt – aber weder blind noch taub und auch nicht wehrlos sein. Immerhin – die Partie würde wieder gleichstehen – eine andere Chance gab es nicht...
Ebb sprang auf, warf sich an die Wand der Anlage, zu den Antennenfäden, an denen die Reparaturroboter mit den immateriellen Fühlern elektromagnetischer Schwingungsfelder hingen, griff hinein, wie in die Saiten einer Harfe und ließ sich mit seinem ganzen Gewicht hinunterfallen.
Der Roboterwagen rollte an und blieb dann wie angefroren stehen.
»Was hast du...?« fing Rety an.
Gelungen! jubelte es in Ebb. Zwar war der Hauptschalter abgeschnitten und die Testschaltung zerstört, aber was war jetzt einfacher, als die Wand abzuheben und... Eine barbarische Vorfreude am Vernichten kam in ihm auf – die Isolationen abreißen, die Kristallblöcke zerschlagen, in den Drähten wühlen... Er nahm einen Hammer vom Regal... Dann lag er platt am Boden, wie angeschmiedet von stählernen Reifen, sein Kopf dröhnte, der Atem wurde ihm aus der Brust gepreßt, das Blut kroch durch die Adern wie eine zähe Plastikmasse, sein Herz zuckte im Krampf – das Ringschiff war zu einem riesigen Karussell geworden, einer wirbelnden Todesschaukel, einem außer Kontrolle geratenen Teufelsrad. Das Schiff ächzte in allen Fugen.
»Du Narr«, stöhnte Rety, »was hast du getan? Was hast du...?«
»Die Wagen... sind ausgeschaltet«, keuchte Ebb. »Sie hindern uns... nicht mehr. Wir können... den Automaten... ausschalten!«
»So tu’s doch!« brüllte Orch.
Ebb kroch wie ein Lurch auf dem Boden umher. Bei jeder Bewegung wähnte er die Besinnung zu verlieren. Seine Hand berührte den Hammer, aber er konnte ihn nicht heben. Unter Zittern und Herzflattern vermochte er gerade noch die eigene Hand vom Boden zu lösen, aber der Hammer war zentnerschwer, er ließ sich keinen Zentimeter bewegen, ja nicht einmal von der Stelle rücken.
»Du Idiot«, brüllte Orch, dazwischen schluchzte und spuckte er: »Ihr Idioten. Ihr Idioten!«
»Wir ergeben uns!« stöhnte Rety. »Aufhören, wir ergeben uns ja!«