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Wenn doch wenigstens die Suppe richtig heiß gewesen wäre!

Aber die letzten Monate hatten ihn nicht eben verwöhnt und er war viel zu ausgehungert, um das lauwarme Essen zu verschmähen. So griff er denn zum klobigen Holzlöffel und schlang den Brei in sich hinein, während er zwischendurch immer wieder ein Stück vom harten Kanten abbiss. Er kümmerte sich dabei nicht um die neugierigen Blicke der Mönche, die neben der Feuerstelle standen und so leise miteinander flüsterten, dass er nicht ein einziges Wort verstehen konnte. Sollten sie doch denken und reden, was ihnen beliebte! Jakob wischte gerade mit dem Rest Brot die Schüssel aus, als ein Mönch mit einer grauen Stoffklappe über dem linken Auge im Küchengewölbe erschien.

Der Mönch war von mittelgroßer Gestalt, hielt sich aufrecht und besaß die klaren Gesichtszüge eines Ordensmannes, der die Askese mit Sicherheit nicht über die Lebensfreude stellte. Allein die lange Narbe auf seiner rechten Wange störte diesen Eindruck. Sie gab seinem Gesicht zusammen mit der Augenklappe etwas Geheimnisvolles, ja Beunruhigendes. Das Haar seiner silbrig schimmernden Tonsur stand noch dicht, obwohl er bestimmt schon nahe an die sechzig Jahre heranging. An einer einfachen Lederschnur trug er ein merkwürdiges Kreuz auf der Brust, das von einem Ring umschlossen war.

Zielstrebig ging er auf Jakob zu, die Hand am Rosenkranz, der an seinem breiten Leibgurt herabhing und aus alabasterweißen Perlen bestand. »Ihr habt Bruder Anselm gebracht?«, fragte er ohne Umschweife. Seine Stimme war kräftig und wohlklingend, wie geschaffen zur Predigt, jedoch auch nicht ohne Härte.

Jakob hatte den Mund noch voll Haferschleim und hartem Brot und nickte deshalb nur.

»Und Euer Name ist Jakob Tillmann?«

Wieder begnügte sich Jakob mit einem wortlosen Nicken.

»Wo und wann seid Ihr Bruder Anselm begegnet?«

»Etwa zwei, drei Meilen westlich vom Laacher See. Er war schon krank und schwach auf den Beinen, als ich am Wegkreuz auf ihn traf. Ich hatte andere Pläne, wollte mich in Mendig oder Andernach verdingen, habe mich dann aber überreden lassen ihn nach Himmerod zu bringen. Er hat versprochen mich für meine Dienste großzügig zu entlohnen. Das war am Morgen vor drei Tagen«, gab Jakob Auskunft. »Da hatte ich noch meinen guten Esel Theode-rich.« Das Tier hatte in Wirklichkeit nie einen Namen gehabt, jedenfalls nicht dass er wüsste. Aber bestimmt machte das einen besseren Eindruck und half dabei, seinen Anspruch auf eine ansehnliche Entschädigung zu untermauern. »Theoderich war mir ein lieber, tapferer Freund, der sich dann bei Manderscheid an einem verschneiten Hang den Hals gebrochen hat. Es war ein kräftiges Tier, gut im Futter und makellos im Fell, wie ich es wohl nie wieder finden werde. Bruder Anselm versprach.«

»Wo habt Ihr sein Gepäck gelassen?«, fiel der Mönch ihm ins Wort, völlig unbeeindruckt vom Verlust des Esels und ohne auf die versprochene Belohnung einzugehen. Statt Mitgefühl zu zeigen nahm er ihn vielmehr scharf ins Visier, als wollte der Blick seines gesunden, rechten Auges bis auf den Grund von Jakobs Seele vordringen.

»Er hatte kein Gepäck, nur seinen Wanderstab, der Herr ist mein Zeuge!«, beteuerte Jakob, plötzlich von der Angst befallen des Diebstahls verdächtigt zu werden. »Ich wusste auch nicht, dass er einmal Abt gewesen ist.«

»Die wenigsten Menschen gleichen ihrer äußeren Erscheinung«, erwiderte der Ordensbruder trocken. »Sonst sähen viele Fürsten wie aussätzige Strolche aus und so manch einfacher Mann käme als König daher.«

»Ich hielt ihn für einen gewöhnlichen Bettelmönch! Nicht einmal einen Brotbeutel hatte er bei sich!«, versicherte Jakob noch einmal mit allem Nachdruck. Eisige Schauer der Angst durchfuhren ihn. Es herrschten grausame Sitten in dieser Zeit, die noch immer in den Nachwehen des fürchterlichen Dreißigjährigen Krieges lag. Weltliche Richter waren da schnell mit einem Urteil zur Hand, das einen Dieb unter das Brandeisen oder das Messer brachte, das ihn verstümmelte und auf ewig als Dieb zeichnete. Und dann konnte man sogar noch von Glück reden nicht vor den Toren der Stadt auf dem Richtplatz sein Leben gelassen zu haben! »Er trug weder Tornister noch Seitentasche bei sich. Ich habe sogar das wenige, was ich an Brot und Speck noch hatte, mit ihm geteilt. Das ist die reine Wahrheit!«

Einen Augenblick herrschte angespannte Stille. Das müde Feuer hinter den Mönchen bei der Herdstelle warf dunkle Schatten an das rußgeschwärzte Deckengewölbe.

»Gut«, sagte der Mönch mit der Augenklappe nach einem letzten durchdringenden Blick. »Ich glaube dir.«

Jakob gab innerlich einen Stoßseufzer der Erlösung von sich. Zugleich aber drängte sich ihm der Eindruck auf bei diesem seltsamen Mönch eine regelrechte Erleichterung darüber feststellen zu können, dass der alte Abt nichts an Gepäck bei sich gehabt hatte. Doch wieso war das überhaupt von so großem Interesse? Auch der Subprior hatte ihn ja schon mit derlei läppischen Fragen gepiesackt als gäbe es in dieser Stunde nichts Wichtigeres zu bedenken. Was konnte ein Ordensmann, der doch das Gelübde der Armut abgelegt hatte, schon Wertvolles bei sich tragen? Nein, diese Fragen ergaben wahrlich keinen Sinn.

Abrupt wandte sich der Mann nun von ihm ab, als wäre sein Wissensdurst schlagartig erloschen, und sagte in Richtung der anderen Mönche, ohne jedoch einen von ihnen im Besonderen anzusprechen: »Unser junger Samariter wird sich noch den Tod holen, wenn er nicht rasch aus den nassen Sachen rauskommt! Er braucht trockene Kleidung auf dem Leib. Und weist ihm eine Lagerstatt zu, es springt ihm die Müdigkeit doch schon aus den Augen.« Weder erhielt er darauf eine Antwort noch schien er eine zu erwarten, denn schon beim Sprechen wandte er sich zur Tür.

»War das Euer Abt?«, fragte Jakob verstört, als der Mönch mit der Augenklappe das Küchengewölbe verlassen hatte.

»Unser hochwürdiger Abt Ambrosius?« Einer der Mönche schüttelte mit fast gekränkter Miene den Kopf. »Nein, das war Bruder Basilius. Er und sein wunderlicher Begleiter, dieser Schwede Henrik Wassmo, gehören nicht zu unserem Konvent. Sie kommen aus dem Frankenland, so heißt es, und sind nur zu Gast bei uns.«

Das klang nicht gerade so, als würden sich die beiden Männer besonderer Wertschätzung unter den Ordensleuten dieser Abtei erfreuen!

»Aber Bruder Basilius hat Recht«, sagte nun Bruder Isenbard, »der junge Mann hier muss schnellstens trockene Sachen auf den Leib bekommen und er braucht eine Schlafstatt, wo er sein müdes Haupt betten kann.«

»Er ist jung und kräftig und kaum mit einem Silberlöffel im Mund zur Welt gekommen«, brummte daraufhin eine dritte, verdrossene Stimme. »Eine der Büßerzellen dürfte seinen Ansprüchen vollauf genügen. Ich werde Bruder Simon und Bruder Tarzisius Bescheid sagen.« Sprachs und ging hinaus.

Die anderen Ordensmänner folgten ihm. Nur Bruder Isenbard blieb zurück. Er legte noch drei Stück Reisig, jeder Stock kaum mehr als fingerdick, in das heruntergebrannte Feuer. Dabei machte er ein Gesicht, als hätte er soeben aus Mitleid mit Jakob eine ungeheure Verschwendung begangen.

»Eine Büßerzelle? Das hat mir zu meinem Glück gerade noch gefehlt!«, brummte Jakob mürrisch. Er war jedoch zu erschöpft, um energischer zu protestieren. Zudem war es nicht ratsam sein Glück an einem Tag zu oft auf die Probe zu stellen.

»Bruder Simon ist unser Camerarius, ein frommer Mann mit rauer Schale und weichem Kern«, erklärte Bruder Isenbard eilfertig und mit einem aufmunternden Lächeln, so als wollte er den ungehobelten Ton seines Klosterbruders schnell wieder vergessen machen. »Ich hole Euch jetzt trockene Sachen. Dann werdet Ihr Euch gleich zehnmal besser fühlen!«

Wenige Augenblicke später kehrte er mit langen, kratzigen Wollstrümpfen, ebenso rauer Leibwäsche, einer derben Hose und einer dunkelbraunen Kutte, wie sie der Bursche Liffard getragen hatte, zurück. »Das ist die Kleidung unserer Konversen. Sie wird Euch sicherlich passen.«