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»Und was sind Konversen?«, fragte Jakob, der das Wort nun schon zum wiederholten Male gehört hatte. Und ihm dämmerte, dass er in den Jahren bei Quirin Schlehenbusch zwar bedeutend mehr gelernt hatte, als ihm seiner niederen Herkunft nach zugestanden hätte, aber doch auch einiges weniger, als er bisher angenommen hatte. Was machte allerdings ein Rätsel mehr oder weniger, ja gar eine volle Hundertschaft von ihnen aus, wo doch die ganze Welt ein einziges, dunkles Labyrinth aus ungezählten Geheimnissen und Abgründen war?

Sichtlich verwundert, dass Jakob etwas so scheinbar Selbstverständliches nicht wusste, sah Bruder Isenbard ihn an. Dann erklärte er nachsichtig: »Fratres conversi, Konversen oder wegen ihrer Bärte auch viri barbati, was bärtige Männer heißt, nennt man die Laienbrüder, die auf den Höfen und in den Werkstätten einer Abtei arbeiten, ohne die Priesterweihe empfangen oder die strengen Gelübde eines Mönches abgelegt zu haben.«

»Jetzt verstehe ich«, sagte Jakob spöttisch. »Konversen sind also die Knechte eines Klosters, die die groben Arbeiten verrichten.«

Bruder Isenbard zog es vor diese spitze Bemerkung zu ignorieren. »Am besten zieht Ihr jetzt Eure nassen Kleider aus, damit ich sie gleich aufhängen kann. Dann können sie morgen gut trocknen, wenn hier das Küchenfeuer lodert!«

Jakob nickte.

»Tut mir nur den Gefallen Euch ein wenig zu beeilen, junger Mann!«, drängte der Mönch, während er ihm nun den Rücken zukehrte. »Mitternacht kann nicht mehr weit sein. Und dann wird Bruder Nicolaus, unser Sakristan, zur Matutin läuten. Lasst uns also sputen, wenn Ihr nicht wollt, dass ich zu spät im Chorgestühl erscheine!«

Jakob zog sich hastig aus. Die nassen Kleider warf er Bruder I-senbard zu, der die Sachen rasch und mit abgewendetem Blick aufhob und über einem Gitter im steinernen Boden auswrang, bevor er sie über eine Leine seitlich von der Feuerstelle warf.

Jakob fuhr in Strümpfe, Leibwäsche und Hose, die ihm reichlich groß war und eines Gürtels dringend bedurfte, um sie auf seinen schmalen Hüften zu halten, und zog dann das kuttenähnliche Gewand aus derber, brauner Wolle über den Kopf. Es war eine Wohltat nun wieder in trockener, wenn auch recht kratziger Kleidung zu stecken. Seine rissigen Halbstiefel, die dringend der kundigen Hand eines Schusters bedurften, tauschte er gegen das klobige, aber dichte und wetterfeste Schuhwerk der Himmeroder Konversen ein. Zu seiner freudigen Überraschung waren ihm die Schuhe sogar weder zu weit, noch drückten sie. Zum ersten Mal seit gut anderthalb Tagen kehrte ein Gefühl von Wärme in seinen erschöpften und geschundenen Körper zurück.

»Prächtig, prächtig!«, freute sich Bruder Isenbard und brachte ein geradezu schelmisches Lächeln zu Stande, als er sich umdrehte und Jakob im Konversenaufzug sah. »Bruder Pinius, unser gichtgeplagter Prior, wird bestimmt versucht sein Euch eine sinnvolle Aufgabe zuzuteilen, wenn er Euch so sieht. Am besten trägt er Euch auf ein scharfes Auge auf den einfältigen Liffard zu halten.«

»Ihr meint diesen Burschen, dessen Geist so helle ist wie ein tiefer Brunnenschacht?«, fragte Jakob spöttisch.

Der Mönch nickte mit einem vergnügten Schmunzeln. »Ja, bei Liffard kann der Geist mit seinem löblichen Eifer und seiner Muskelkraft leider nicht Schritt halten. Erst gestern scheuerte der arme Tropf das Chorkleid von Bruder Tarzisius so lange mit Bürste und Essigwasser, bis das gute Gewand voller Löcher war! Und Bruder Tarzisius hatte keine Zeit mehr sich vor der Komplet noch ein anderes Gewand aus der Kleiderkammer zu holen. Gottes Lobpreis fiel ihm reichlich schwer, als er da in seinem löchrigen Kleid im Chorgestühl stand.« Er lachte auf, presste dann aber schnell die Hand auf den Mund, während er sich gleichzeitig erschrocken umsah, als hätte er sich bei etwas höchst Ungehörigem ertappt und fürchtete dabei belauscht worden zu sein.

Jakob begann sich für Bruder Knollennase, wie er ihn bei sich nannte, ein wenig zu erwärmen. Unter der Kutte dieses kleinen Mannes verbarg sich offenbar eine gehörige Portion Schalk - und wohl auch eine geduldige, mitteilsame Seele.

»Vergesst, was ich Euch erzählt habe. Und sprecht unseren Subprior besser nicht darauf an«, riet Bruder Isenbard. »Und jetzt kommt, ich zeige Euch Eure Unterkunft!«

Jakob seufzte schwer. »Und Ihr habt wirklich keine andere Unterkunft für mich als eine Büßerzelle, Bruder Isenbard? Verzeiht mir, aber nach Buße steht mir derzeitig wahrlich nicht der Sinn.«

Der Mönch schüttelte den Kopf. »Zu traurig, dass unser Gästehaus vor einigen Wochen völlig ausgebrannt ist. Und die beiden freien Kammern bei uns im Konventshaus, von denen Euch eine jede wohl gut gefallen hätte, sind seit heute Nachmittag von drei gelehrten Stiftsherren auf Durchreise belegt. Die Herrn Scholaren sind auf dem Weg nach Koblenz. Doch wenn das schlechte Wetter anhält, wird ihre Rast, so ist zu fürchten, bei uns länger als geplant ausfallen. Aber grämt Euch nicht. Eine Büßerzelle ist der rechte Ort für eine genügsame Seele und ein von Gottesfurcht erfülltes Herz«, sagte Bruder Isenbard tröstend.

»Dann bin ich da ja goldrichtig«, murmelte Jakob selbstironisch vor sich hin.

Bruder Isenbard bedeckte die Glut in der Feuerstelle mit zwei Schaufeln Asche und hatte es nun offenbar eilig aus dem Küchengewölbe zu kommen. Er führte ihn über einen breiten, steinernen Treppenaufgang ins Obergeschoss. Als sie an zwei hohen Bogenfenstern vorbeikamen, sah Jakob, dass dieser Trakt des Konventsgebäudes zum Hof hinausging.

»Da kommen Abt und Prior!«, raunte Bruder Isenbard.

Jakob wandte den Kopf schnell wieder nach vorn und musterte die beiden Männer, die ihnen entgegenkamen. Wer von den beiden der Himmeroder Abt Ambrosius war, verriet ihm sein Instinkt auf Anhieb: Es konnte nur dieser hoch gewachsene, asketische Mann sein, dessen Gesicht wie auch jede seiner gemessenen Bewegungen eine ganz besondere innere Ruhe und feierliche Würde ausstrahlte. Auf diesem Gesicht lag zudem ein feines Lächeln, das von Milde und einer gewissen weltlichen Entrücktheit kündete, aber auch von einer großen Müdigkeit. Bei dem stämmigen, untersetzten Mann an seiner Seite, dessen Miene von tiefer Besorgnis geprägt war und der unablässig seine Hände knetete und rieb, konnte es sich nur um den von Gicht befallenen Prior Pinius handeln. Und so verhielt es sich auch.

Der Abt blieb nur kurz bei ihnen stehen. »Ihr seid der tapfere junge Mann, der Bruder Anselm auf seinem Karren bei diesem fürchterlichen Wetter zu uns über die verschneiten Höhen geschleppt hat?«, vergewisserte er sich mit einer milden Stimme, die seiner ganzen Erscheinung gerecht wurde.

»Ja, hochwürdiger Abt«, bestätigte Jakob.

»Wir stehen tief in Eurer Schuld, mein Sohn«, sagte Abt Ambrosius schlicht. »Der Allmächtige segne Euch für Eure edle Tat und erhelle Eure Wege auch weiterhin mit dem Licht seiner unendlichen Gnade.« Dabei zeichnete er ihm mit dem Daumen das Kreuz auf die Stirn und ging weiter.

Bruder Pinius, der Prior, nickte Jakob nur mit abwesendem Blick zu, um dann wieder neben seinem Abt den Schritt aufzunehmen.

Verwundert und sich nicht ganz sicher, was er von den Worten des Abtes halten sollte, schaute Jakob den beiden nach. Nichts gegen nette Worte des Dankes und segensreiche Zeichen, aber einen Beutel mit harten Münzen, für die er sich einen neuen Esel kaufen und mit denen er dem Rest des Winters sorgenlos entgegensehen konnte, vermochten sie auf keinen Fall zu ersetzen! Und das würde er ihnen auch zu gegebener Zeit deutlich zu verstehen geben, notfalls dem Abt persönlich. Gottesdank allein brachte ihn nämlich nicht über den Winter!

Bruder Isenbard zupfte am Ärmel seiner Kutte. »Lasst uns gehen, Jakob! Die Matutin!«, erinnerte er ihn.

Augenblicke später stand Jakob in der Büßerzelle, die man ihm als Unterkunft zugewiesen hatte. Hell erklang eine Glocke in einem anderen Trakt des Konventes. Bruder Isenbard wünschte ihm hastig einen gesegneten Schlaf und eilte davon, bevor Jakob auch nur ein einziges Wort der Klage über die Armseligkeit der schmalen Zelle und die erschreckende Kargheit der Lagerstatt äußern konnte.