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»Heilige Muttergottes! Weißt du, wo wir sind?«, stieß Marga aufgeregt hervor, als sie durch den Türritz spähte. »Dreimal darfst du raten!«

»Ich wage mal die tollkühne Vermutung, dass wir uns direkt hinter den Nonnen auf ihrer Empore befinden«, flüsterte er.

Und so war es. Durch den winzigen Spalt zwischen Tür und Rahmen vermochten sie einen Blick auf einige Nonnen zu erhaschen, doch das Madonnenbild, hinter dem die Dokumente versteckt waren, lag nicht in ihrem Blickfeld.

Die Messe ging inzwischen ihrem Ende zu und Jakob nutzte die verbleibende Zeit, um die Tür einer näheren Prüfung zu unterziehen. Glücklicherweise besaß sie kein Schloss, sondern war nur durch einen hölzernen Kippriegel gesichert. Er hatte nicht den geringsten Zweifel, durch den Spalt zwischen Tür und Rahmen den Riegel mit der Messerklinge erreichen und hochdrücken zu können.

Voller Ungeduld warteten Marga und Jakob auf den Schlusssegen. Diese Minuten streckten sich in ihrer Aufregung quälend lange hin. Aber dann war es endlich so weit.

Das Amen! nach dem Schlusssegen schallte kraftvoll durch das Kirchenschiff. Unter dröhnenden Orgelklängen begann der Auszug aus der Klosterkirche und die Nonnen verließen ihre Empore, um sich mit der Gemeinde auf den Vorplatz zu begeben. Die Orgel erstarb. Sie hörten Schritte - und dann das metallische Schlagen einer Gittertür.

Jetzt galt jede Sekunde!

Jakob schob die Messerklinge zwischen Tür und Rahmen, führte sie unter den hölzernen Riegel und drückte ihn hoch. Knarrend öffnete sich die Tür einen Spalt. Er spähte hinaus. »Ich glaube, die Luft ist rein!«, flüsterte er.

»Dann nichts wie los!«, drängte Marga.

Jakob drückte die Tür auf und erfasste mit einem schnellen Rundblick die Nonnenempore mit ihren harten Kniebänken. Das Tafelbild mit der Madonna und den beiden Distelfinken, das Bruder Basilius ihm beschrieben hatte, fiel ihm sofort ins Auge. Es war das einzige Gemälde auf der Empore und hing an der gegenüberliegenden Wand.

»Da ist es!«, rief er aufgeregt und stürzte auf die Wand zu. Das Marienbild war breiter als die Spanne seiner ausgestreckten Arme. Der kastenförmige Rahmen besaß eine Tiefe von fast einem Fuß. »Hilfst du mir es abzuhängen?«

»Na klar, oder hast du etwa geglaubt, ich wäre bloß zum Zuschauen mitgekommen?« Sie stellte sich auf die linke Seite, während Jakob das Gemälde auf der rechten Seite packte. »Ich bin bereit!«

»Erst anheben und dann vorsichtig runterlassen!. Eins. zwei. drei!«

Sie hoben es von den Haken, kämpften einen gefährlichen Augenblick mit dem schweren Gemälde, das vornüberzukippen drohte, und setzten es dann mit einem erschreckend lauten Bums ab.

»Hier sind sie, die Dokumente!«, rief Jakob triumphierend und nahm das flache Paket an sich, das auf seiner Seite zwischen Rahmen und Gemälde klemmte und ebenso in Wachstuch eingeschlagen war wie der Hexenhammer, den Bruder Anselm der Priorin anvertraut hatte.

Margas Augen leuchteten. »Dann nichts wie weg von hier!«

Jakob stopfte sich das Paket unter sein Hemd und rannte hinter ihr die Stiege hoch. Oben im Dachreiter, warfen sie nur einen flüchtigen Blick auf die Menschen, die sich im Schein zahlloser Fackeln und Osterkerzen auf dem Platz vor der Klosterkirche eingefunden hatten, um den Anbruch des Ostermorgens zu erwarten. Fröhliches Stimmengewirr drang zu ihnen hinauf.

Marga kletterte zuerst aus der Öffnung des Turmes, hielt sich mit der rechten Hand am Seil fest und stützte sich mit der linken auf dem Dach ab, während sie zu dem Baugerüst am anderen Ende der Kirche kroch.

Jakob schwang sich hinter ihr über die Brüstung - und riss dabei zwei Dachziegel los, die wohl schon locker und brüchig gewesen sein mussten. Er schrie unwillkürlich auf, als der Boden unter ihm wegzurutschen begann, und bekam gerade noch das Seil zu fassen, was ihn vor einem todbringenden Sturz bewahrte. Die beiden Dachpfannen jedoch konnte er nicht mehr zurückhalten. Sie klapperten immer schneller über das Dach, flogen über die Kante hinaus und zersprangen auf dem darunter liegenden Dach des Konventsgebäudes unter lautem Bersten in tausend Stücke.

Augenblicklich richteten sich unten dutzende von Augenpaaren auf das Dach. Hände wiesen zu ihnen hoch. Und ein Chor aufgeregter Stimmen rief wild durcheinander. Eine Stimme übertönte alle anderen: Es war die des Domherrn. Er stieß eine lästerliche Verwünschung aus und mit sich überschlagender Stimme schrie er seinen Männern zu, sie sollten ihnen den Weg abschneiden.

»Los! Alles auf eine Karte!«, rief Marga. Sie schob sich das Seil unter die rechte Achsel und stieß sich ab. Halb rennend und halb am Seil durch die Luft gleitend, schoss sie abwärts auf das Baugerüst zu.

Jakob überwand den lähmenden Moment des Schocks, machte es ihr nach, indem auch er sich an das Seil hängte, und schlidderte wie sie schräg über das Dach. Seine Landung auf dem Gerüst fiel jedoch weniger sanft aus als die von Marga. Er hatte so viel Schwung, dass der Versuch vor dem Gerüst abzubremsen kläglich misslang. Hart schlug er auf der Plattform auf, rollte um seine eigene Achse und wäre wohl in die Tiefe gestürzt, wenn Marga ihn nicht geistesgegenwärtig festgehalten hätte.

»Bist du in Ordnung? Hast du dir etwas gebrochen?«, fragte Marga voller Angst.

Jakob verzog schmerzhaft das Gesicht, betastete seine Glieder und kam dann auf die Beine. »Nein, nur mein Selbstbewusstsein«, keuchte er.

»Ach, das wird sich bestimmt schneller erholen, als deine blauen Flecke verschwinden«, spottete Marga und zerrte ihn zur Leiter.

Sie hasteten hinunter auf das Dach des Konventsgebäudes Jakob mit zusammengebissenen Zähnen. Wieder einmal machte er die Erfahrung, dass Prellungen mehr schmerzten als Brüche. Die Angst den Handlangern des Domherrn in die Hände zu fallen, was sein und Margas Schicksal zweifellos besiegeln würde, trieb ihn jedoch voran.

Marga stieß die Dachpfanne zur Seite, die über dem aufgerollten, kurzen Seil lag, und schleuderte es über die Dachkante. »Du kletterst zuerst hinunter! Nein, keine Widerrede! Nun mach schon!«, drängte sie.

Jakob beugte sich ihrem festen Willen, ergriff das Seil, glitt über die Dachkante und seilte sich zum Fenster des Kapitelsaals hinab.

»Sie kommen!«, hörte er Henriks Stimme. Im nächsten Augenblick packte ihn der Schwede an den Beinen und zog ihn zur Fensterbank.

»Dem Himmel sei Dank!«, rief Bruder Basilius erleichtert. »Was habe ich mir für Sorgen und vor allem Vorwürfe gemacht, dass ich Eurem tollkühnen Plan zugestimmt habe!«

Mit schmerzenden Gliedern sank Jakob auf die nächste Bank. Als er Marga gewandt durch das Fenster springen sah, das Henrik sofort hinter ihr schloss und verriegelte, grinste er. »Bis auf einen kleinen Fehltritt war es ein Kinderspiel«, behauptete er, sah jedoch den Gesichtern von Henrik und Bruder Basilius an, dass sie ihm keinen Glauben schenkten.

»Ja, es ging wie geschmiert«, spottete Marga in Anspielung auf seinen beinahe tödlichen Ausrutscher.

»Genau! Und hier sind die Dokumente!« Jakob holte das Paket unter seinem eingerissenen Hemd hervor.

Der Mönch lächelte. »Das habt Ihr großartig gemacht. Ich werde Euch das niemals vergelten können. Aber noch wichtiger als diese Aufzeichnungen ist, dass Ihr heil zurückgekommen seid!«

»Ich schlage vor, wir setzen das Gespräch im Boot fort«, sagte Henrik trocken und griff zu der Sturmlaterne, die Schwester Catharina ihnen dagelassen hatte.

Sie stiegen nun die Stufen zum unterirdischen Klostergang hinab. Marga trug die Dokumente und den Hexenhammer und hielt die Laterne, während sich Henrik Jakob und Bruder Basilius in dem schmalen Gang abmühten die schwere Grabplatte von unten wieder an ihren Platz zu rücken, sodass nichts mehr auf ihren Fluchtweg hinwies, wenn der Domherr und seine Männer das Konventsgebäude nach ihnen absuchten.