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»Das ist verdammt hart und herzlos!«, sagte Jakob mit verkniffener Miene. »Und ich kann nicht behaupten, dass mir diese Geschichte gefallt!«

»Ja, die Auslegung scheint unmenschlich, hat jedoch einen viel tieferen Sinn, als oberflächlich zu erkennen ist«, fuhr der Mönch fort. »Denn der Mensch, der einen Freund überlebt, ist auf ewig in die Pflicht genommen. Um jeden weiteren Tag seines Lebens zu rechtfertigen, spricht er von nun an auch in seinem Namen. Und genau darin besteht das Privileg wie auch die Last des Überlebens, dass es eine ewige Schuld gegenüber den Toten mit einschließt!«

Nun verstanden Marga und Jakob.

»Wer eine Erfahrung nicht weitergibt, verrät sie. Und wer seiner Schuld gegenüber den Toten nicht treu bleibt, verrät nicht nur die Toten, denen er sein Leben verdankt, sondern auch sich selbst«, betonte Bruder Basilius noch einmal. »Und diese schwere Last wird auf Euren Schultern liegen, wenn Ihr in dieses Boot steigt und wir uns vielleicht nie wieder begegnen sollten.«

Jakob wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. »Wohin sollen wir den Hexenhammer bringen?«, fragte er schließlich bedrückt.

»Es besteht die begründete Hoffnung, dass der Domherr uns laufen lässt, nachdem er uns ein paar Wochen in irgendeinem Kerker hat schmoren lassen. Es wird ihm gar nichts anderes übrig bleiben, wie ich Euch ja schon einmal erklärt habe. Ungewiss ist nur, wie lange es dauern wird«, sagte der Zisterziensermönch. »Deshalb muss ich es Euch zumuten Euch auf den Pilgerweg zum spanischen Wallfahrtsort Santiago de Compostela zu machen, damit Ihr die Abschrift dort meinem Freund, dem Abt Engelbert von Wallersheim, übergeben könnt. Er wird sich dann um die Drucklegung kümmern. Wenn wir freikommen, folgen wir Euch nach und holen Euch irgendwo auf dem Weg ein. Das ist ein Versprechen.« Er legte ihm eine Hand auf die Schulter und blickte ihn voller Sorge, aber auch voller Zuneigung an. »Seid Ihr bereit dies auf Euch zu nehmen, Jakob Tillmann?«

Jakob spürte, wie ihm die Tränen in die Augen stiegen. Doch er kämpfte mit aller Kraft dagegen an und nickte. »Sicher, gegen das, was hinter uns liegt, kann so eine Pilgerreise doch nur ein Kinderspiel sein«, antwortete er mit belegter Stimme und betont leichthin, um seine wahren Gefühle zu überspielen.

»Gut, dann lasst uns Abschied nehmen.«

»Es ist dennoch nicht gerecht, dass wir das Boot bekommen und Euch hier zurücklassen müssen«, murmelte Jakob verzweifelt. »Wie kann ich Euch nach allem, was Ihr und Henrik für mich und Marga getan habt, hier Eurem ungewissen Schicksal überlassen?«

»Erinnert Ihr Euch noch an den weißen Stein, dessen Inschrift nur Gott allein kennt?«, fragte Bruder Basilius.

Jakob runzelte die Stirn. »Ja, das war doch die Geschichte aus der Johannes-Offenbarung, nicht wahr?«

Der Mönch nickte. »Ich bin meinen Weg vor Gott gegangen und habe das Wort verkündet, ob man es hören wollte oder nicht. Und darüber bin ich nun sechzig Jahre alt geworden, was ich in den Tagen, als Henrik in mein Leben trat, nie für möglich gehalten hätte. Ich habe erst einen bösen Kampf und dann jahrzehntelang gemeinsam mit Henrik den guten Kampf gekämpft und Gottes Wahrheit die Treue gehalten, so gut ich es vermochte. Mein Lauf ist somit auf gewisse Weise vollendet und die Zeit meines Aufbruches ist nahe -mit oder ohne Zutun des Domherrn. Und sosehr ich an meinem Leben hänge, wie es auch göttliches Gebot ist, so muss ich doch gestehen, dass ich es nach all den Jahren des Gebetes und der inneren Sehnsucht nicht erwarten kann nun bald den geheimnisvollen weißen Stein zu empfangen. Und ich weiß, dass Henrik nicht anders denkt.« Er lächelte ihn an. »Also macht Euch um uns keine Sorgen. Ihr seid es nun, der in der Staffel der Generationen den Stab weiterzutragen habt, und das ist keine leichte Aufgabe. Hier, nehmt das als Erinnerung. Möge er Euch auf Eurer Pilgerreise Hilfe und Beistand sein.« Er zog seinen Rosenkranz mit den Alabasterperlen hervor und häng-te ihn Jakob um den Hals. Dann umarmte er ihn.

Jakob vermochte seine Tränen nicht länger zurückzuhalten und er sah, dass auch Marga die Tränen über die Wangen liefen. Worte des Abschieds waren überflüssig. Auch Henrik drückte sie an seine Brust.

Dann stiegen Jakob und Marga in den Kahn, der gefährlich schaukelte, bis sie richtig saßen. Jakob schob den in Wachstuch eingeschlagenen Hexenhammer unter seinen Sitz. Dann griffen sie zu den Rudern. Bruder Basilius beugte sich hinunter und versetzte dem schmalen Boot einen kräftigen Stoß, der es aus der Höhle und durch das Gestrüpp in tieferes Uferwasser drückte.

»Vergesst nie, dass es der Staub ist, den wir durch unsere eigenen Schritte auf unseren Erdenwegen hochwirbeln. der uns für vieles blind macht! Und möge Gottes Segen Euch allzeit begleiten!«, rief der Mönch und machte über ihnen das Kreuzzeichen.

»Und Euch ebenfalls!«, riefen Jakob und Marga mit tränenerstickten Stimmen zurück.

Sie trieben auf den breiten Strom hinaus, der unter einem hellgrauen Himmel lag und sie mit seinen rasch dahinfließenden Fluten flussabwärts trug.

Jakob vermisste den Mönch und Henrik schon jetzt schmerzlich. Die Wochen mit ihnen erschienen ihm wie ein ganzes Leben und er wusste in diesem Moment, dass er nicht mehr der war, der in einer eisigen, stürmischen Nacht den Eselskarren mit Bruder Anselm durch das Tor von Himmerod gezogen hatte. Er nahm den Blick nicht von der mächtigen Weide, unter dessen herabhängendem Geäst der Zugang zur Grotte lag und wo die beiden Männer jetzt wohl standen und ihnen nachblickten. Der Baum wurde jedoch schnell kleiner, wie auch der Himmel immer heller wurde.

Schließlich verschwanden die Inseln Niederwerth und Graswerth aus ihrem Sichtfeld, als der Fluss sie um die weite Biegung nach Westen trug.

Marga legte das Ruder über ihren Schoß, drehte sich zu ihm um und wischte sich eine Träne aus dem Auge. Dann lächelte sie tapfer und streckte ihm die Hand hin. »Santiago de Compostela?«, fragte sie nur und tausend andere Worte schwangen in dieser Frage mit.

Jakob drückte ihre Hand und nickte. »Santiago«, flüsterte er, blind vor Tränen, während die ersten Strahlen des neuen Tages den Himmel im Osten in warmes Licht tauchten.

Nachwort

Auch wenn die Personen und Handlungen dieses Romans meiner Phantasie entsprungen sind, so sind sie doch an tatsächliche Gestalten und Ereignisse angelehnt und in die verbürgten historischen Geschehnisse jener Zeit eingebettet.

Der abergläubische Hexenwahn gehört zu den dunkelsten Kapiteln unserer europäischen (Kirchen-)Geschichte und hat laut wissenschaftlichen Untersuchungen mindestens 100.000 Menschen den Tod auf dem Scheiterhaufen oder in den Folterkammern der Inquisitoren gebracht. Ausgelöst wurde er schon im 13. Jahrhundert von Papst Gregor IX. der den ersten Befehl zur Hexenverfolgung gab. Und Trier war die Stadt, in der während seiner Amtszeit (1227-1241) die ersten Hexenprozesse stattfanden. Am schlimmsten wüteten die fanatischen Hexenjäger im 16. und 17. Jahrhundert. Doch man soll nicht glauben, dass spätestens mit dem Zeitalter der Aufklärung dieses Wüten ein Ende gefunden hätte. Der letzte Hexenprozess fand erst im 19. Jahrhundert in Irland statt und die letzte angebliche Hexe wurde 1782 in Glarus in der Schweiz verbrannt.

Auch das Zisterzienserkloster Himmerod in der Eifel ist ebenso wenig ein Produkt meiner Phantasie, auch wenn es dort nie einen Subprior namens Tarzisius gegeben hat. Die Abtei liegt, wie im Roman beschrieben, an der Salm, umgeben von der landschaftlichen Schönheit des gleichnamigen Tals, ist heute noch von den »weißen Mönchen« des Zisterzienserordens bewohnt - und hat in meinem Leben seit Jahren nach mehreren kurzen wie langen Aufenthalten einen besonders kostbaren Platz eingenommen. Deshalb möchte ich die Gelegenheit, für einen Aufenthalt in der Abtei zu werben, an dieser Stelle nicht ungenutzt verstreichen lassen. Das Kloster, das im Dreieck von Wittlich, Bitburg und Manderscheid nahe der Ortschaft Großlittgen liegt, steht nämlich jedem interessierten Jugendlichen wie Erwachsenen für Tage (oder Wochen) der Einkehr und Besinnung offen. Dabei wird niemand nach seiner Konfession gefragt, wie es auch jedem Gast völlig freigestellt ist, an welchen Messen, Gebeten und Mahlzeiten er teilnimmt, wie er seine Tage in Himmerod gestaltet und mit welcher Spende er sich am Tag seiner Abreise für die unaufdringliche Gastfreundschaft der Mönche bedankt. (Interessierte Gäste für das Gästehaus wenden sich an Pater Stephan Reimund Senge, Abtei Himmerod, 54534 Großlittgen, Telefon 06575/8445. Wer in den Gastzimmern im Konventsgebäude - sozusagen unter einem Dach mit den Mönchen - wohnen möchte, wende sich am besten schriftlich - oder telefonisch unter der Rufnummer 06575/95130 zwischen 20.00 Uhr bis 21.00 Uhr - an den Gastpater Prior Martin oder Bruder Markus.) In den drei Jahren, die ich mich auf diesen Roman vorbereitet habe, habe ich sowohl aus beruflichem Interesse wie aus privater Neigung zahlreiche Bücher über Kirchengeschichte, Religionsphilosophie und Theologie studiert. Über zweihundertfünfzig Notizzettel mit Ideen und Anregungen aller Art haben sich in dieser Zeit angesammelt und vieles davon ist in diesen Roman eingeflossen. Aus Gründen der Aufrichtigkeit fuge ich diesem Nachwort eine Auswahl der Bücher hinzu, die mich am meisten beeinflusst und mir dabei geholfen haben, das auszudrücken und zu erklären, was mir zu sagen am Herzen lag. Diesen großartigen geistlichen Autoren, die mir für vieles Auge und Herz geöffnet und mich immer wieder auf den Weg der rechten Formulierung schwieriger Inhalte geleitet haben, bin ich - wiederum beruflich wie privat - zu großem Dank verpflichtet. Was die Verse aus den Psalmen betrifft, die der Schwede Henrik Wassmo in meinem Roman so gern verwendet, so habe ich diese nicht aus der Bibel zitiert, sondern aus der kraftvollen, poetischen Neudichtung von Franz Johannes Weinrich, die mit kirchlicher Druckerlaubnis des Münchner Generalvikars 1989 im Pattloch Verlag erschienen ist.