Raeder versuchte, sich zu bewegen und rutschte hilflos in das offene Grab.
Er lag auf dem Rücken und starrte zum blauen Himmel empor. Dann ragte eine dunkle Silhouette über ihm auf, löschte den Himmel aus. Metall schimmerte. Langsam begann die Silhouette zu zielen.
Und Raeder ließ für immer alle Hoffnung fahren.
»Halt, Thompson!« schrie die durch Lautsprecher verstärkte Stimme Mike Terrys.
Der Revolver schwankte.
»Es ist eine Sekunde nach fünf! Die Woche ist um! Jim Raeder hat gewonnen!«
Das Studiopublikum machte sich in einem gellenden Aufschrei Luft.
Die um das Grab versammelten Gangster verzogen mürrisch die Gesichter.
»Er hat gewonnen, Freunde, er hat gewonnen!« schrie Mike Terry. »Schaut auf den Bildschirm, seht hin! Die Polizei ist angekommen, man entfernt die Thompsonbande von ihrem Opfer - dem Opfer, das sie nicht töten konnte. Und das verdankt es nur euch, Gute Samariter Amerikas. Sehen Sie, meine Damen und Herren, sanfte Hände heben Jim Raeder aus dem offenen Grab, das seine letzte Zuflucht war. Auch die Gute Samariterin Janice Morrow ist dabei. Ist das der Anfang einer Liebe? Jim scheint das Bewußtsein verloren zu haben, Freunde, man gibt ihm ein Aufputschungsmittel. Er hat zweihunderttausend Dollar gewonnen! Und nun hören wir ein paar Worte von Jim Raeder!«
Es blieb kurze Zeit still.
»Merkwürdig«, sagte Mike Terry. »Liebe Zuschauer, leider können wir im Augenblick nicht mit Jim sprechen. Die Ärzte untersuchen ihn. Haben Sie kurze Zeit Geduld.«
Es wurde still. Mike Terry wischte sich die Stirn und lächelte.
»Es ist die Belastung, verehrte Zuschauer, die furchtbare Belastung. Die Ärzte erklären mir. Nun, liebe Zuschauer, Jim Raeder hat vorübergehend seine geistige Gesundheit verloren. Aber nur vorübergehend! JBC wird die besten Psychiater und Psychoanalytiker des Landes beauftragen. Wir werden für diesen mutigen jungen Mann alles Menschenmögliche tun. Und selbstverständlich übernehmen wir sämtliche Kosten.«
Mike Terry warf einen Blick auf die Uhr im Studio. »Wir müssen jetzt Schluß machen, liebe Zuschauer. Verfolgen Sie die Ankündigung unserer nächsten großen Sensationsschau. Und keine Angst, ich bin davon überzeugt, daß Jim Raeder bald wieder unter uns sein wird.«
Mike Terry lächelte und blinzelte dem Publikum zu. »Er muß ja gesund werden, Freunde. Wir alle stehen ja auf seiner Seite.«
RECHT FÜR ROBOTER
Oaxe II war ein kleiner, staubiger, zurückgebliebener Planet im näheren Bereich des Orion. Seine Bewohner stammten von der Erde ab und hatten auch Gebräuche von dort beibehalten. Richter Abner Low war auf dem kleinen Planeten die einzige Quelle des Rechts. Die meisten seiner Fälle befaßten sich mit Grundstücksabgrenzungen und dem Besitzrecht an Schweinen und Gänsen, weil die Bürger von Oaxe II keinerlei Neigung zum Verbrechen zeigten.
Aber eines Tages landete ein Raumschiff mit dem berüchtigten Timothy Mont und seinem Anwalt, die auf Oaxe II Freistatt und Gerechtigkeit suchten. Und ein zweites Raumschiff rauschte heran, enthaltend drei Polizisten und einen Staatsanwalt.
Der Ankläger erklärte: »Euer Ehren, dieser Unhold hat ein fürchterliches Verbrechen begangen. Timothy Mont, euer Ehren, steckte ein Waisenhaus in Brand. Sein unterzeichnetes Geständnis befindet sich in meiner Hand.«
Monts Anwalt, ein blasser Mann mit leblosen Fischaugen, erhob sich. »Ich beantrage Freispruch.«
»Sie sind nicht bei Trost«, sagte Richter Low. »Ein Waisenhaus niederzubrennen, ist ein furchtbares Verbrechen.«
»Das ist es«, stimmte der Anwalt zu, »jedenfalls in der Regel. Mein Klient hat seine Tat aber auf dem Planeten Altira III begangen. Kennen Euer Ehren die Bräuche dieses Planeten?«
»Nein«, sagte der Richter.
»Auf Altira III«, erläuterte der Anwalt, »werden alle Waisen in der Kunst des Meuchelmords ausgebildet, und zwar ausschließlich zu dem Zweck, die Bevölkerung benachbarter Planeten zu dezimieren. Indem mein Klient das Waisenhaus niederbrannte, rettete er Tausenden, ja vielleicht Millionen von unschuldigen Wesen das Leben. Man muß ihn daher als Held des Volkes betrachten.« »Stimmt das mit Altira III?« erkundigte sich der Richter beim Schriftführer.
Der Schriftführer schlug in der Enzyklopädie planetarischer Bräuche und Sitten nach und stellte fest, daß es tatsächlich zutraf.
Richter Low erklärte: »Dann weise ich den Antrag des Staatsanwalts ab und verkünde den Freispruch.«
Mont und sein Anwalt flogen ab, und das Leben auf Oaxe II ging seinen friedlichen Gang, hier und da höchstens von Gerichtsstreitigkeiten über Grundstücksbegrenzungen oder das Besitzrecht an Schweinen und Gänsen unterbrochen. Aber kaum ein Jahr später standen Timothy Mont und sein Anwalt wieder im Gerichtssaal, knapp gefolgt vom Staatsanwalt.
Die Beschuldigung befaßte sich wieder mit dem Brand eines Waisenhauses.
»Wenn sich mein Klient auch schuldig bekennt«, plädierte der blasse Anwalt, »so darf das Hohe Gericht nicht außer acht lassen, daß sich das betreffende Waisenhaus auf dem Planeten Deegra IV befand. Wie jedermann weiß, werden alle Waisen auf Deegra IV in die Folterergilde aufgenommen, wo sie die gewissen schrecklichen Rituale vollführen, über die sich die ganze zivilisierte Galaxis empört.«
Als Richter Low feststellen mußte, daß das stimmte, sprach er den Angeklagten wieder frei.
Fünfzehn Monate später erschienen Timothy Mont und sein Anwalt zum drittenmal vor Gericht.
»Du meine Güte!« sagte Richter Low. »Ein eifernder Reformator. Wo hat das Verbrechen diesmal stattgefunden?«
»Auf der Erde«, erwiderte der Staatsanwalt.
»Auf der Erde?« wiederholte der Richter fassungslos.
»Leider ja«, erklärte der Anwalt traurig. »Mein Klient ist schuldig.« »Aber welchen Grund hatte er denn diesmal?«
»Vorübergehendes Irresein«, antwortete der Anwalt prompt. »Ich kann das durch zwölf Psychiater beweisen und beantrage daher Freispruch.«
Der Richter wurde zornrot im Gesicht. »Timothy Mont, warum haben Sie das getan?«
Bevor sein Anwalt etwas unternehmen konnte, stand Mont auf und erwiderte: »Weil es mir Spaß macht, Waisenhäuser niederzubrennen!«
An diesem Tag erließ Richter Low eine neue Vorschrift, die in der ganzen zivilisierten Galaxis Aufsehen erregte und von Droma I bis Aos X studiert wurde. Lows Vorschrift legte fest, daß der Anwalt des Angeklagten automatisch die gleiche Strafe absitzen muß, die über seinen Klienten verhängt wird.
Viele halten das für unfair. Der Auftritt von Anwälten auf Oaxe II ist seither jedoch kaum mehr zu vermerken.
Edmond Dritch, ein großer, hagerer, menschenfeindlicher Wissenschaftler, war wegen Defätismus, Illoyalität gegen seine Kollegen und Negativismus von der General Products AG vor Gericht gebracht worden. Die Beschuldigungen waren ernster Natur, und Dritchs Kollegen vermochten sie zu untermauern. Dem Richter blieb nichts anderes übrig, als Dritchs unehrenhafte Entlassung auszusprechen. Die übliche Gefängnisstrafe wurde in Anerkennung neunzehnjähriger hervorragender Arbeit für General Products ausgesetzt, aber keine andere Firma nahm Dritch jemals auf.
Dritch, hagerer und menschenfeindlicher als je zuvor, drehte General Products mit ihrem endlosen Strom von Autos, Brotröstern, Kühlschränken, Fernsehgeräten und ähnlichem Gerumpel den Rücken. Er zog sich auf seine Farm in Pennsylvania zurück und experimentierte in seinem Kellerlabor.
Er hatte genug von General Products und allem, was das Unternehmen repräsentierte, - also praktisch alles. Er wollte eine Niederlassung von Menschen gründen, die dachten wie er, fühlten wie er, ausschauten wie er. Seine Niederlassung würde die Erfüllung eines utopischen Wunschtraumes sein, und zum Teufel mit dem Rest der übertechnisierten Welt.