Perceveral nickte widerstrebend. »Sagen Sie mir eines. Ihr Telegramm traf heute in einem ganz entscheidenden Augenblick ein. Es kam mir beinahe vor -«
»Ja, das war geplant«, sagte Haskell. »Wir haben festgestellt, daß die von uns benötigten Leute am empfänglichsten sind, wenn sie einen ganz bestimmten seelischen Zustand erreicht haben. Wir halten die wenigen, die für uns in Frage kommen, unter ständiger Beobachtung und warten den richtigen Augenblick ab.«
»Es hätte allerdings peinlich werden können, wenn Sie sich um eine Stunde verspätet hätten«, meinte Perceveral.
»Oder fruchtlos, wenn wir einen Tag zu früh damit herausgerückt wären.« Haskell erhob sich hinter seinem Schreibtisch. »Darf ich Sie zum Essen einladen? Wir können die Einzelheiten bei einer Flasche Wein abschließend besprechen?«
»Einverstanden«, sagte Perceveral. »Aber ich verspreche noch nichts.«
»Das verlangt auch niemand«, erwidert Haskell und öffnete die Tür.
Nach dem Essen dachte Perceveral angestrengt nach. Trotz der Risiken sagte ihm die Aufgabe ungemein zu. Sie war schließlich nicht gefährlicher als Selbstmord und brachte weit mehr ein. Wenn er durchkam, hatte er glänzende Aussichten; wenn er versagte, brauchte er keinen größeren Preis zu bezahlen, als er für einen Mißerfolg hier auf der Erde hatte entrichten wollen.
In seinen vierunddreißig Jahren auf der Erde hatte er nicht viel erreicht. Seine beste Leistung waren kurz aufzuckende Anzeichen von Tüchtigkeit, zunichte gemacht durch eine starke Neigung zu Krankheiten, Unfällen und Ungeschicklichkeiten. Vielleicht war sein >Unfallertum< nicht ein grundsätzlicher Defekt seines Wesens, sondern nur das Produkt unerträglicher Umstände.
Die neue Aufgabe würde ihm eine andere Umwelt vermitteln. Er konnte allein sein, nur auf sich selbst angewiesen, nur sich selbst verantwortlich. Es war zweifellos sehr gefährlich - aber was konnte gefährlicher sein als eine schimmernde Rasierklinge in seiner eigenen Hand?
Er stand vor der entscheidenden Bemühung seines Lebens, vor der wesentlichen Prüfung. Er würde kämpfen, wie er nie zuvor gekämpft hatte, seine fatale Veranlagung zu überwinden. Und diesmal würde er auch das letzte Restchen Kraft und Energie dieser Aufgabe zuwenden.
Er nahm die Stellung an. In den Wochen der Vorbereitung aß, trank und schlief er Entschlossenheit in sich hinein, hämmerte sie in sein Gehirn, flocht sie in sein Nervensystem, murmelte sie vor sich hin wie ein buddhistischer Priester, träumte von ihr, putzte sich die Zähne, wusch sich die Hände damit, grübelte darüber nach, bis der monotone Refrain beim Wachen und Schlafen in seinem Schädel summte und langsam als Kontrolle und Zügelung der Aktion zu wirken begann.
Der Tag kam, an dem er angewiesen wurde, einen einjährigen Aufenthalt auf einem vielversprechenden Planeten anzutreten. Haskell wünschte ihm viel Glück und versprach, per L-Phasenfunk in Kontakt zu bleiben. Perceveral und seine Ausrüstung wurden in das Raumschiff >Queen of Glasgow< verladen, und das Abenteuer begann.
Während der Monate im Weltraum beschäftigte sich Perceveral weiterhin ausschließlich mit seinem Entschluß. Er übte besondere Vorsicht im freien Fall, achtete auf jede seiner Bewegungen und prüfte jedes Motiv doppelt und dreifach. Diese ständige Beobachtung behinderte ihn beträchtlich; mit der Zeit wurde sie jedoch zur Gewohnheit. Neue Reflexe begannen sich einzustellen und versuchten sich gegen das alte Reflexsystem durchzusetzen.
Aber der Fortschritt unterlag Stockungen. Trotz seiner Bemühungen zog sich Perceveral vom Luftreinigungssystem des Raumschiffs einen leichten Hautausschlag zu, zerbrach eine seiner zehn Brillen an einem Schott und erduldete Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, abgeschürfte Fingerknöchel und verstauchte Zehen.
Trotzdem fühlte er, daß er vorangekommen war, und seine Entschlossenheit verstärkte sich. Endlich kam sein Planet in Sicht.
Der Planet hieß Theta. Perceveral und seine Ausrüstung wurden auf einer grasbewachsenen Hochebene mit Waldbestand in der Nähe eines Gebirgszuges abgesetzt. Diese Gegend war auf Grund von Luftaufnahmen vorher ausgewählt worden. Wasser, Holz, Früchte und mineralhaltiges Gestein, alles stand in der Nähe zur Verfügung. Die Landschaft bot sich als ideale Lage für eine Kolonie an.
Die Offiziere des Raumschiffes wünschten ihm alles Gute und flogen ab. Perceveral sah hinauf, bis das Schiff hinter einer Wolkenbank verschwunden war. Dann machte er sich an die Arbeit.
Zuerst setzte er seinen Roboter in Betrieb, eine große, schimmernde schwarze Vielzweckmaschine und Standardausrüstung für Planetenerschließer und Ansiedler. Der Roboter konnte weder reden noch singen, rezitieren oder kartenspielen wie die teureren Modelle. Seine einzige Reaktion war ein Kopf schütteln oder ein Nicken; langweilige Gesellschaft für das kommende Jahr. Aber der Roboter war daraufhin programmiert, mündliche Arbeitsanweisungen beträchtlicher Kompliziertheit zu befolgen, schwerste Arbeit zu verrichten und in schwierigen Situationen ein gewisses Maß an Voraussicht zu entwickeln.
Mit Hilfe des Roboters errichtete Perceveral auf der Hochebene ein Lager, wobei er den Horizont ständig absuchte, um im Fall der Gefahr rechtzeitig gerüstet zu sein. Die Luftvermessung hatte keine Anzeichen einer fremdartigen Kultur entdeckt, aber man konnte nie wissen. Und der Charakter von Thetas Tierwelt war noch unerforscht.
Er arbeitete langsam und sorgfältig, neben ihm der stumme Roboter. Bis zum Abend hatte er ein provisorisches Lager aufgebaut. Er schaltete den Radaralarm ein und legte sich schlafen.
Im Morgengrauen weckte ihn das schrille Rasseln der Radarglocke. Er zog sich an und eilte hinaus. Die Luft war von einem bösartigen Summen erfüllt, als näherten sich unübersehbare Wanderheuschreckenschwärme.
»Hol zwei Strahler«, befahl er dem Roboter, »und beeile dich. Vergiß das Fernglas nicht.«
Der Roboter nickte und wankte davon. Perceveral drehte sich langsam um, schaudernd in der Kälte des grauen Morgens, und versuchte auszumachen, aus welcher Richtung das Geräusch kam. Er überblickte die betaute Ebene, den Waldrand, die aufragenden Berghänge dahinter. Nichts bewegte sich. Dann sah er, scharf abgezeichnet gegen die aufsteigende Sonne, etwas, das wie eine schmale, dunkle Wolke wirkte. Die Wolke flog auf sein Lager zu, trotz des Gegenwindes mit erstaunlicher Geschwindigkeit vorankommend.
Der Roboter brachte die Strahler. Perceveral nahm den einen und wies den Roboter an, den anderen zu halten und den Feuerbefehl abzuwarten. Der Roboter nickte. Seine Sehzellen leuchteten, als er sich der Sonne zuwandte.
Die Wolke entpuppte sich beim Herannahen als Vogelschwarm von gigantischen Ausmaßen. Perceveral beobachtete die Vögel durch sein Fernglas. Sie hatten etwa die Größe von Falken, aber ihre hin- und herzuckende, unberechenbare Flugweise erinnerte an das Verhalten von Fledermäusen. Sie verfügten über lange, scharfe Krallen, und ihre gebogenen Schnäbel waren mit spitzen Zähnen besetzt. Also Fleischfresser, bei dieser Bewaffnung.
Der Schwarm umkreiste sie mit lautem Summen. Dann setzten die Vögel mit angelegten Schwingen und vorgestreckten Krallen zum Sturzflug an, aus allen Richtungen zugleich. Perceveral wies den Roboter an, das Feuer zu eröffnen.
Er und der Roboter standen Rücken an Rücken und schossen in die heranrasende Phalanx hinein. Ein wirres Durcheinander von Blut und Gefieder erhob sich, als die Raubvögel scharenweise vom Himmel gemäht wurden. Perceveral und der Roboter behaupteten ihre Position, wehrten die Angreifer ab, schlugen sie sogar zurück. Dann versagte Perceverals Strahler.
Diese Waffen konnten doch nach Angabe der Techniker unter Garantie fünfundsiebzig Stunden lang ununterbrochen feuern. Ein Strahler versagte einfach nicht! Perceveral stand einen Augenblick da und betätigte immer wieder erfolglos den Abzug. Dann warf er die Waffe auf den Boden und eilte zum Vorratszelt. Der Roboter mußte inzwischen allein weiterkämpfen.