»Wer weiß?« sagte Tompkins. »Selbst Sie haben vielleicht gar keine Ahnung von Ihren wirklichen Begierden. Sie könnten Ihren eigenen Tod miteinschließen.«
»Kommt das oft vor?« erkundigte sich Mr. Wayne besorgt.
»Gelegentlich.«
»Ich möchte dabei nicht ums Leben kommen«, meinte Mr. Wayne.
»Es passiert äußerst selten«, sagte Tompkins und starrte das Paket in Mr. Waynes Händen an.
»Wenn Sie es sagen. Aber woher weiß ich überhaupt, daß das alles echt ist? Ihr Preis liegt so hoch, daß ich meine ganze Habe dafür opfern muß. Und vielleicht geben Sie mir dann nur ein Rauschmittel und ich träume einfach! Alles, was ich besitze, für eine Injektion Heroin und Gerede?«
Tompkins lächelte beruhigend. »Das Ganze hat nichts mit Rauschmitteln zu tun. Auch von einem Traum kann keine Rede sein.«
»Wenn es also wahr ist«, sagte Mr. Wayne ein wenig ungeduldig, »warum kann ich dann nicht für immer in der Welt meiner Wünsche bleiben?«
»Daran arbeite ich schon«, erwiderte Tompkins. »Deswegen muß ich ja so hohe Preise verlangen, damit ich Material beschaffen und Experimente durchführen kann. Ich bemühe mich, einen Weg zu finden, auf dem dieser Übergang dauerhaft gestaltet werden kann. Bisher ist es mir noch nicht gelungen, die Verbindung zu trennen, mit der ein Mensch an seine eigene Erde gekettet ist - die ihn immer wieder zurückholt. Nicht einmal die großen Mystiker vermochten diese Verbindung zu lösen, außer im Tod. Aber ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben.«
»Wenn es Ihnen gelänge, wäre das eine große Tat«, sagte Mr. Wayne höflich.
»Das wäre es!« rief Tompkins leidenschaftlich. »Denn dann könnte ich meinen schäbigen Laden zu einem Notausstieg machen! Die Flucht wäre kostenlos, kostenlos für alle! Jeder könnte die Welt seiner Wünsche aufsuchen, und diese verdammte Erde den Ratten und Würmern -«
Tompkins unterbrach sich mitten im Satz und wurde völlig ruhig. »Aber ich fürchte, daß meine Vorurteile durchschlagen. Ich kann noch keine endgültige Flucht von der Erde anbieten; keine, die den Tod nicht mit sich brächte. Vielleicht wird es mir nie gelingen. Jetzt jedenfalls kann ich Ihnen nur einen Urlaub, eine Veränderung, den Besuch auf einer anderen Welt und einen Blick auf Ihre eigenen Wünsche bieten. Sie kennen meinen Preis. Ich erstatte das Honorar zurück, wenn Sie nicht zufrieden sind.«
»Sehr freundlich von Ihnen«, sagte Mr. Wayne ernsthaft. »Aber da ist noch etwas, wovon mir meine Freunde erzählt haben. Die zehn Jahre meines Lebens, auf die ich verzichten muß.«
»Daran läßt sich nichts ändern«, erwiderte Tompkins, »und ich kann sie auch nicht zurückerstatten. Meine Methode stellt eine ungeheure Belastung für das Nervensystem dar, so daß die Lebenserwartung entsprechend verkürzt wird. Das ist einer der Gründe, warum Ihre sogenannte Regierung mein Verfahren für ungesetzlich erklärt hat.«
»Aber das Verbot wird nicht sehr streng durchgesetzt«, meinte Mr. Wayne.
»Nein. Offiziell ist das Verfahren als schädlicher Schwindel verboten. Aber auch Beamte sind Menschen. Sie möchten diese Erde verlassen, wie jeder andere auch.«
»Die Kosten«, murmelte Mr. Wayne und preßte das Paket enger an sich. »Und dann zehn Jahre meines Lebens! Für die Erfüllung meiner geheimsten Wünsche. Ich muß es mir wirklich noch einmal überlegen.«
»Bitte«, sagte Tompkins gleichgültig.
Mr. Wayne dachte auf dem Heimweg darüber nach. Als sein Zug Port Washington auf Long Island erreichte, grübelte er immer noch. Und als er seinen Wagen vom Bahnhof zu seinem Haus steuerte, dachte er immer noch an Tompkins schlaues, altes Gesicht, an die Wahrscheinlichkeitswelten und die Befriedigung seiner Wünsche.
Als er aber sein Haus betrat, mußten diese Gedanken beiseitegeschoben werden. Seine Frau Janet verlangte, daß er das Dienstmädchen rügte, weil es schon wieder getrunken hatte. Sein Sohn Tommy brauchte seine Hilfe für das Segelboot, das morgen zu Wasser gelassen werden sollte. Und die Kleinste wollte ihm von ihren Erlebnissen im Kindergarten erzählen.
Mr. Wayne sprach freundlich, aber entschieden mit dem Dienstmädchen. Er half Tommy beim Streichen des Boots, und später hörte er Peggys Abenteuern auf dem Spielplatz zu.
Als die Kinder im Bett waren und er mit Janet allein im Wohnzimmer saß, fragte sie, ob ihn etwas bedrücke.
»Wieso?«
»Du scheinst dir über irgend etwas Sorgen zu machen«, sagte Janet. »Hast du einen schlechten Tag im Büro gehabt?«
»Na, immer dasselbe.«
Er hatte keineswegs vor, Janet oder irgendeinem anderen Menschen zu erzählen, daß er sich den Tag freigenommen und Tompkins in seiner verrückten alten Schatzkammer der Welten aufgesucht hatte. Er wollte auch nicht davon sprechen, daß jedermann das Recht haben sollte, wenigstens einmal in seinem Leben seine geheimsten Wünsche in Erfüllung gehen zu sehen. Janet, die Vernünftige, würde das niemals verstehen.
Die nächsten Tage im Büro waren besonders hektisch. Die Ereignisse im Nahen Osten und Asien wirkten sich auf die Börse in der Wallstreet aus. Mr. Wayne arbeitete angestrengt. Er bemühte sich, nicht an die Erfüllung geheimer Wünsche auf Kosten seiner ganzen Habe zu denken. Zehn Jahre seines Lebens müßte er zusätzlich opfern! Es war Wahnsinn! Der alte Tompkins gehörte ins Irrenhaus!
Am Wochenende ging er stets mit Tommy segeln. Das alte Boot hielt sich großartig und nahm kaum Wasser. Tommy wünschte sich eine neue Rennbesegelung, aber Mr. Wayne lehnte diese Ausgaben ab. Vielleicht nächstes Jahr, wenn die Aktien wieder steigen sollten. Zunächst mußten die alten Segel genügen.
In mancher Nacht, wenn die Kinder schon schliefen, segelte er mit Janet. Die Bucht von Long Island lag ruhig und friedlich da, die Luft war angenehm kühl. Ihr Boot glitt an den blinkenden Bojen vorbei, trieb auf den großen, gelblichen Mond zu.
»Ich weiß, daß dich etwas bedrückt«, sagte Janet.
»Liebling, bitte!«
»Verschweigst du mir etwas?«
»Nicht im geringsten!«
»Bist du sicher? Bist du ganz sicher?«
»Völlig.«
»Dann nimm mich in die Arme. Ja.«
Und das Boot steuerte sich eine Weile selbst.
Wünsche und ihre Erfüllung. Aber der Herbst kam, und das Boot mußte an Land gebracht werden. Die Börse erholte sich ein wenig, aber Peggy bekam die Masern. Tommy wollte den Unterschied zwischen gewöhnlichen Bomben, Atombomben, Wasserstoffbomben, Kobaltbomben und allen anderen Bombenarten wissen, über die man in den Zeitungen berichtete. Mr. Wayne erklärte es ihm, so gut er konnte. Und das Dienstmädchen kündigte plötzlich.
Geheime Wünsche, gut und schön. Vielleicht wollte er wirklich jemand umbringen oder auf einer Südseeinsel leben. Aber er mußte an seine Verantwortung denken. Er hatte zwei Kinder, die langsam groß wurden, und eine bessere Frau, als er sie eigentlich verdiente.
Vielleicht um Weihnachten herum.
Aber mitten im Winter entstand durch einen Kurzschluß ein Brand im Gästezimmer. Die Feuerwehr löschte, der Schaden war nicht allzu groß, verletzt wurde niemand. Aber eine ganze Weile dachte er nicht mehr an Tompkins. Zuerst mußte das Gästezimmer instandgesetzt werden, denn Mr. Wayne war auf sein schönes, altes Haus sehr stolz.
Die Wirtschaft reagierte auf die internationale Lage immer noch unruhig. Diese Russen, diese Araber, diese Griechen, diese Chinesen. Die Interkontinentalraketen, die Atombomben, die Erdsatelliten. Mr. Wayne mußte im Büro häufig Überstunden machen. Tommy erkrankte an Mumps. Das Dach mußte zum Teil neu gedeckt werden. Und dann wurde es schon wieder Zeit, das Boot zu Wasser zu lassen.
Ein Jahr war vergangen, und er hatte sehr wenig Zeit gehabt, an geheime Wünsche zu denken. Vielleicht nächstes Jahr. In der Zwischenzeit -
»Nun?« sagte Tompkins. »Fühlen Sie sich wohl?«
»Ja, danke«, erwiderte Mr. Wayne. Er stand von seinem Stuhl auf und rieb sich die Stirn.