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Er trat an den anderen Tisch. »Entschuldigen Sie die Aufdringlichkeit«, sagte er. »Ich habe bemerkt, wie sehr Sie sich quälen. Vielleicht sind Sie in der Stadt fremd. Kann ich Ihnen behilflich sein?«

»Für uns gibt es keine Hilfe mehr!« jammerte die Frau.

Der alte Mann zuckte ergeben die Achseln.

Brynne zögerte und setzte sich dann an den Tisch. »Erzählen Sie mir«, bat er. »Kein Problem ist unlösbar. Es steht geschrieben, daß es einen Pfad durch alle Urwälder und einen Weg über die steilsten Berge gibt.«

»Wahr gesprochen«, stimmte der alte Mann zu. »Aber manchmal tragen den Menschen die Beine nicht bis zum Ende des Weges.«

»In diesen Fällen hilft einer dem anderen und das Ziel wird erreicht«, erwiderte Brynne. »Berichten Sie mir Ihre Sorgen, ich werde Ihnen dienen, wie ich nur kann.«

Tatsächlich war das mehr, als von einem Zügler verlangt wurde. Unumschränkte Verpflichtung, einem anderen zu dienen, war das Vorrecht höhergestellter Priester. Aber Brynne wurde vom Leid und der Schönheit dieser Frau fortgerissen, und er hatte die Worte ausgesprochen, bevor er es sich anders überlegen konnte.

»>lm Herzen eines jungen Mannes wohnt die Kraft<«, zitierte der alte Mann. »Aber sagen Sie mir, Sir, glauben Sie an religiöse Toleranz?« »Selbstverständlich!« sagte Brynne.

»Sehr gut. Dann sollen Sie wissen, Sir, daß meine Tochter Janna und ich aus Lhagrama in Indien kommen, wo wir der daritrischen Inkarnation der kosmischen Funktion dienen. Wir kamen nach Amerika in der Hoffnung, hier einen kleinen Tempel erbauen zu können. Unglücklicherweise erschienen die Schismatiker der Marii Ankarnation vor uns. Meine Tochter muß nach Hause zurückkehren, aber unser Leben ist in Gefahr, weil diese Fanatiker sich geschworen haben, den Glauben an Daritria auszurotten.«

»Euer Leben kann doch gar nicht in Gefahr sein!« rief Brynne. »Nicht mitten in New York.«

»Hier mehr als anderswo«, erwiderte Janna. »Denn die Verbrecher vermögen in der Menge unterzutauchen.«

»Ich lebe auf keinen Fall mehr lange«, erklärte der alte Mann gelassen, »ich muß hierbleiben und meine Arbeit vollenden. Sie verstehen das sicher? Aber ich möchte, daß meine Tochter ungefährdet nach Hause zurückkehrt.«

»Ohne dich fahre ich nicht!« rief Janna.

»Du tust, was dir aufgetragen wird!« erwiderte der Alte.

Janna senkte betroffen die Augen. Der alte Mann wandte sich an Brynne.

»Sir, heute nachmittag segelt ein Schiff nach Indien ab. Meine Tochter braucht einen Mann, einen starken, ehrlichen Mann, der sie schützt und leitet, der sie nach Hause bringt. Mein ganzer Besitz gehört diesem Mann, der solch heilige Pflicht für mich erfüllt.«

»Ich kann das kaum glauben«, sagte Brynne plötzlich zweifelnd. »Sind Sie sicher -«

Wie zur Antwort zog der alte Mann einen Lederbeutel aus seiner Tasche und schüttete den Inhalt auf den Tisch. Brynne war kein Sachverständiger für Edelsteine, wenngleich er im Zweiten Welt-Jehad als Religionsoffizier gearbeitet hatte.

Trotzdem glaubte er, das echte Feuer von Rubinen, Saphiren, Diamanten und Smaragden zu erkennen.

»Sie sind Euer«, sagte der alte Mann. »Nehmt Sie mit in ein Juweliergeschäft. Vielleicht glaubt Ihr meine Geschichte, wenn die Echtheit der Steine bestätigt wird. Oder falls das noch nicht Beweis genug ist -«

Aus der anderen Tasche zog er eine prall gefüllte Brieftasche und reichte sie Brynne. Als Brynne sie aufklappte, stellte er fest, daß sie mit großen Scheinen vollgestopft war.

»Jede Bank wird Ihnen die Echtheit dieser Scheine bestätigen«, sagte der alte Mann. »Nein, bitte, ich bestehe darauf! Behalten Sie alles. Glauben Sie mir, es ist nur ein winziger Bruchteil dessen, womit ich Sie überhäufen möchte.«

Brynne versuchte, sich klarzumachen, daß die Edelsteine raffinierte Fälschungen, daß die Geldscheine nachgemacht sein konnten. Aber er wußte, daß das nicht zutraf. Sie waren echt. Und wenn diese Reichtümer echt waren, warum sollte dann die Geschichte nicht stimmen?

Es wäre nicht das erstemal, daß ein wunderbares Märchen sich mitten im Leben zutrug. Standen nicht im >Buch der goldenen Antworten< viele ähnliche Geschehnisse?

Er sah die schöne, traurige, zarte Frau an. Unwiderstehliches Verlangen erfüllte ihn, diesen leidgeprüften Mund lächeln zu sehen. Und in der Art, wie sie ihn anblickte, entdeckte Brynne mehr als das Interesse, das man einem Beschützer entgegenbringt.

»Sir!« rief der alte Mann. »Wäre es möglich, daß Sie - daß Sie bereit wären -«

»Ich übernehme diese Aufgabe!« sagte Brynne.

Der alte Mann drückte Brynne wortlos die Hand. Janna sah ihn nur an, aber es kam ihm vor wie eine Umarmung.

»Ihr müßt sofort fahren«, sagte der alte Mann entschlossen. »Kommt, ihr habt keine Zeit zu verlieren. Der Feind lauert in den Schatten.«

»Aber meine Kleidung -«

»Unwichtig. Die Garderobe bekommen Sie von mir.«

»Und Freunde, geschäftliche Besprechungen - halt! Einen Augenblick!«

Brynne atmete tief ein. Abenteuer im Stile Harun al Raschids waren ja recht nett, aber sie mußten vernünftig durchgeführt werden.

»Ich habe heute nachmittag eine geschäftliche Besprechung«, erklärte Brynne. »Ich muß sie einhalten. Danach stehe ich uneingeschränkt zu Ihrer Verfügung.«

»Die Gefahr für Janna ist zu groß!« erregte sich der alte Mann.

»Ihr seid beide völlig sicher, ich versichere es Ihnen. Ihr könnt mich sogar dorthin begleiten. Oder besser noch, ich habe einen Vetter in der Polizei. Es wird nicht schwierig sein, eine Leibwache

Janna wandte ihr schönes Gesicht ab. Der alte Mann sagte: »Sir, das Schiff fährt um ein Uhr nachmittags. Punkt eins.«

»Schiffe fahren doch jeden Tag«, meinte Brynne. »Nehmen wir das nächste. Diese Verabredung ist sehr wichtig, ja, man könnte sagen, entscheidend. Ich habe Jahre gearbeitet, um sie zu erreichen, und es geht nicht nur um mich. Ich habe ein Geschäft, Angestellte, Partner. Um ihretwillen muß ich diese Verabredung einhalten.«

»Zuerst kommt das Geschäft«, meinte der alte Mann bitter.

»Euch geschieht nichts«, versicherte ihm Brynne. »Es steht geschrieben, daß das Tier des Dschungels zurückweicht -«

»Ich weiß, was geschrieben steht. Das Wort des Todes ist groß auf meine Stirn gemalt und auch meine Tochter ist verloren, wenn Ihr uns jetzt nicht helft. Sie befindet sich auf der >Theseus< in der Luxuskabine 2 A. Die Kabine nebenan steht Euch zur Verfügung. Das Schiff fährt um ein Uhr. Wenn Ihr ihr Leben wertschätzt, werdet Ihr erscheinen, Sir.«

Der alte Mann und seine Tochter standen auf, bezahlten und gingen, ohne auf Brynnes Einwände zu achten. Als Janna zur Tür hinausging, drehte sie sich noch einmal um und sah ihn an.

»Ihr getrockneter Fisch, Sir«, sagte der Kellner.

»Zum Teufel damit!« schrie Brynne. »Oh, ich bitte um Entschuldigung! Verzeihen Sie vielmals«, sagte er entsetzt zu dem schockierten Kellner. »Sie können nichts dafür.« Er bezahlte, hinterließ ein beträchtliches Trinkgeld für den Kellner und eilte hinaus. Er mußte nachdenken.

»Die für diese Szene aufgewendete Energie kostet mich wahrscheinlich zehn Jahre meines Lebens«, beschwerte sich Lan Il.

»Dabei haben Sie jede Sekunde genossen«, meinte Janna Chandragore.

»Stimmt«, gab Lan Il zu. Er nippte an einem Glas Wein, das der Stewart in die Kabine gebracht hatte. »Die Frage ist nur -wird er seine Verabredung mit Baxter aufgeben und hierherkommen?«

»Ich scheine ihm zu gefallen«, sagte Janna.

»Das beweist nur, über welch ausgezeichneten Geschmack er verfügt.«

Sie neigte spöttisch den Kopf. »Aber wissen Sie, diese Geschichte! War es wirklich notwendig, sie so phantastisch zu gestalten?«

»Absolut. Brynne ist ein kluger, entschlossener Mann, aber er hat eine romantische Ader. Vom Pfad der Pflicht konnte ihn nur ein Märchen ablenken.« »Vielleicht nützt auch das Märchen nichts«, erwiderte Janna nachdenklich.