Er war beinahe fertig zum Ausgang. Er klemmte einen Schirm unter den Arm und schob eine Taschenbuchausgabe des Romans >Mord in der U-Bahn< in die Tasche. Ohne einen guten Kriminalroman verließ er nie das Haus.
Schließlich steckte er die kleine Onyx-Nadel eines Kommodore des Ozeanjachtclubs ans Revers. Manche Leute hielten ihn für viel zu jung für eine derartige Auszeichnung. Aber sie mußten zugeben, daß er die Rechte und Pflichten seines Amtes mit einer Würde wahrnahm, die man in seinem Alter normalerweise nicht zu besitzen pflegt.
Er schloß seine Wohnung ab und ging zum Lift. Eine kleine Gruppe von Menschen wartete bereits, vorwiegend Ladenbesitzer, aber auch zwei Geschäftsleute.
»Schöner Tag heute, Mr. Brynne«, grüßte der Liftführer, als er die Kabine hinabgleiten ließ.
»Hoffentlich«, sagte Brynne, tief in Gedanken an Ben Baxter. Aus dem Augenwinkel bemerkte er einen der Fahrgäste, einen massigen, blonden Riesen, der sich mit einem kleinen, kahlköpfigen Mann unterhielt. Er kannte die meisten Bewohner vom Sehen, wenn er auch noch nicht lange genug hier lebte, um Bekanntschaften geschlossen zu haben. Der Lift erreichte das Vestibül, und Brynne vergaß den Riesen. Er hatte heute andere Sorgen. Im Zusammenhang mit Ben Baxter stellten sich einige Probleme, die er lösen mußte, bevor er zur festgesetzten Stunde bei ihm erschien. Er trat in einen trüben, grauverhangenen Aprilvormittag hinaus und beschloß, bei >Childs< zu frühstücken.
Es war 10 Uhr 25.
»Was halten Sie von ihm?« fragte Dr. Sveg.
»Er sieht ganz normal aus«, meinte Edwin James. »Er scheint mir auch vernünftig zu sein. Das werden wir ja herausfinden.«
Sie gingen fünfzig Meter hinter Brynne her. Brynnes große, elegante Gestalt fiel selbst im Gewühl New Yorks auf.
»Ich bin noch nie für Gewalt gewesen«, sagte Dr. Sveg, »aber warum hauen wir ihm nicht einfach eins auf den Schädel, damit die Sache endlich erledigt ist?«
»Diese Methode hatten Aaui und Beatty gewählt. Miss Chandragore und Lan Il versuchten es mit Bestechung. Wir müssen nun wirklich der Vernunft Raum geben.«
»Aber angenommen, daß er Vernunftgründen nicht zugänglich ist, was dann?«
James hob die Schultern.
»Mir gefällt das nicht«, sagte Dr. Sveg. Sie sahen, wie Brynne mit einem dicken Geschäftsmann zusammenstieß.
»Entschuldigung«, sagte Brynne.
»Entschuldigung«, sagte der Dicke.
Sie nickten einander zu und gingen weiter.
Brynne betrat >Childs< und setzte sich an einen Tisch an der Rückseite des Raumes. Jetzt war es an der Zeit, an Ben Baxter zu denken und sich zu überlegen, wie man am besten -
»Sie wünschen, Sir?« fragte ein Kellner.
»Rühreier, Toast, Kaffee«, sagte Brynne.
»Pommes frites?«
»Nein, danke.«
Der Kellner eilte davon. Brynne konzentrierte sich auf Ben Baxter. Wenn sich Baxter mit seinem finanziellen und politischen Einfluß hinter die Sache stellte, war gar nicht anzusehen -
»Entschuldigen Sie, Sir«, sagte eine Stimme, »können wir Sie einen Augenblick sprechen?«
Brynne hob den Kopf und sah den blonden Mann mit seinem Begleiter, die ihm im Lift aufgefallen waren.
»In welcher Sache denn?«
»Es handelt sich um etwas sehr Wichtiges«, sagte der Mann.
Brynne warf einen Blick auf die Uhr. Es war kurz vor elf. Er hatte noch zweiundeinhalb Stunden Zeit bis zu seiner Besprechung mit Baxter.
»Setzen Sie sich doch«, sagte er. »Worum handelt es sich?«
Die Männer sahen einander an und lächelten verlegen. Schließlich räusperte sich der Kleine.
»Mr. Brynne«, sagte er, »ich bin Edwin James. Das ist mein Mitarbeiter, Dr. Sveg. Wir haben Ihnen eine albern klingende Geschichte zu erzählen, die Sie sich hoffentlich ohne Unterbrechung anhören werden. Danach können wir Ihnen gewisse Beweise vorlegen, die Sie von der Echtheit unserer Geschichte überzeugen werden - vielleicht aber auch nicht.«
Brynne runzelte die Stirn. Er fragte sich, welcher Sorte von Verrückten er hier begegnet war. Aber beide Männer waren gut angezogen, beide Männer verfügten über Manieren.
»Na gut, schießen Sie los«, sagte Brynne.
Eine Stunde und zwanzig Minuten später sagte Brynne: »Donnerwetter! Das schlägt ja alles!«
»Ich weiß«, entschuldigte sich Dr. Sveg. »Unsere Beweise -sind sehr eindrucksvoll. Zeigen Sie mir doch noch einmal das erste Gerät.«
Sveg überreichte es ihm. Brynne starrte den kleinen schimmernden Gegenstand ehrfürchtig an.
»Du lieber Himmel! Wenn ein Ding von dieser Größe wirklich Hitze oder Kälte in der von Ihnen erwähnten Quantität ausstrahlen kann - die Elektrizitätswerke würden ein paar Milliarden dafür zahlen!«
»Das ist ein Produkt unserer Technik«, sagte Chefprogrammierer James, »wie die anderen Apparaturen auch.«
»Und dann dieses billige Gerät zur Herstellung von frischem Wasser aus Salzwasser.« Er sah die beiden Männer an. »Es wäre natürlich möglich, daß diese Geräte nur Schwindel sind.«
Dr. Sveg runzelte die Stirn.
»Aber ich verstehe ein bißchen was von Technik. Selbst wenn sie Schwindel wären, müßten sie genauso raffiniert konstruiert sein wie echte Geräte. Ich glaube, Sie haben mich überzeugt. Menschen aus der Zukunft! Donnerwetter!«
»Dann akzeptieren Sie also, was wir Ihnen berichtet haben?« fragte James. »Auch das mit Ben Baxter und der Zeitlinienauswahl?«
»Nun ja...« Brynne dachte angestrengt nach. »Mit Vorbehalt.«
»Werden Sie auf Ihre Besprechung mit Baxter verzichten?«
»Ich weiß es nicht.«
»Sir?«
»Ich sagte, ich weiß es nicht. Sie haben wirklich Nerven«, ereiferte sich Brynne. »Ich habe wie ein Galeerensklave gearbeitet, um dieses Ziel zu erreichen. Diese Verabredung ist die größte Chance, die ich je in meinem Leben haben werde, und Sie verlangen, daß ich das alles aufgeben soll, wegen irgendeiner nebulösen Voraussage -« »Die Voraussage ist nicht nebulös«, meinte James. »Sie ist an Präzision nicht zu überbieten.«
»Hören Sie, es dreht sich ja nicht nur um mich. Ich habe eine Firma, Angestellte, Teilhaber, Aktionäre. Auch um ihretwillen muß ich diese Verabredung einhalten.«
»Mr. Brynne«, sagte Dr. Sveg, »überlegen Sie, was auf dem Spiel steht!«
»Ja, gewiß«, sagte Brynne säuerlich. »Und was ist denn mit den anderen Teams, von denen Sie gesprochen haben? Vielleicht hat man mich in einer anderen Wahrscheinlichkeitswelt aufhalten können.«
»Leider nicht.«
»Woher wissen Sie das?«
»Ich durfte den Teams das nicht sagen«, erklärte Chefprogrammierer James, »aber die Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg war verschwindend gering - ebenso wie auch die Wahrscheinlichkeit dafür, daß ich bei Ihnen Erfolg habe, statistisch ebenso geringfügig ist.«
»Zum Teufel noch mal«, sagte Brynne, »ihr kommt aus der Zukunft daher und verlangt von einem Mann, daß er sein ganzes Leben verändert. Dazu habt ihr nicht das mindeste Recht!«
»Wenn Sie die Verabredung um einen einzigen Tag verschieben könnten -«, meinte Dr. Sveg.
»Bei Ben Baxter verschiebt man keine Verabredungen. Entweder hält man diejenige ein, die er mit einem vereinbart hat, oder man wartet, bis er eine neue festsetzt, wahrscheinlich dann aber umsonst.« Brynne erhob sich.
»Hören Sie, ich weiß nicht, was ich tun werde. Ich habe Sie angehört, ich glaube Ihnen mehr oder weniger, aber ich bin mir einfach nicht sicher. Ich muß eben sehen, was sich ergibt.«
Dr. Sveg und James standen ebenfalls auf. »Das ist Ihr gutes Recht«, sagte Chefprogrammierer James. »Leben Sie wohl. Hoffentlich treffen Sie die richtige Entscheidung, Mr, Brynne.«