»Wo finde ich Dan?« erkundigte sich Crompton.
»Ah«, sagte der alte Mann, mit seinen wäßrigen Augen blinzelnd, »Sie wissen nicht, daß Dan von hier weggegangen ist? Das muß jetzt zehn oder fünfzehn Jahre her sein.«
»East Marsh war ihm zu langweilig«, erklärte die alte Frau giftig. »Er hat sich unseren Notpfennig ausgeliehen und ist mitten in der Nacht verschwunden.«
»Er wollte uns eben nicht stören«, verbesserte der Alte schnell. »Dan hat sein Glück machen wollen. Und ich wäre nicht überrascht, wenn er es geschafft hätte. In ihm war das Zeug zu einem richtigen Mann.«
»Wohin ist er gegangen?« fragte Crompton.
»Keine Ahnung«, erwiderte der Alte. »Er hat uns nie geschrieben. Mit den Worten ist er nicht so gut zurechtgekommen, unser Dan. Aber Billy Davis sah ihn einmal in Ou-Barkar, als er eine Ladung Kartoffeln hinbrachte.«
»Wann war das?«
»Vor fünf oder sechs Jahren«, sagte die alte Frau. »Seitdem haben wir nichts mehr von Dan gehört. Die Venus ist sehr groß, Mister.«
Crompton bedankte sich bei den beiden. Er versuchte, Bill Davis ausfindig zu machen, erfuhr aber, daß er als Maat auf einem kleinen Frachter arbeitete. Das Schiff war vor einem Monat abgefahren und besuchte sämtliche Häfen der südlichen Inland-Zee.
»Es gibt nur eine Möglichkeit«, sagte Crompton. »Wir müssen nach Ou-Barkar.«
»Wahrscheinlich hast du recht«, meinte Loomis. »Offengestanden mache ich mir aber langsam Gedanken über diesen Stack.«
»Ich auch«, gab Crompton zu. »Aber er gehört zu uns, und wir brauchen ihn zur Reintegrierung.«
»Eben«, sagte Loomis. »Also vorwärts, Kameraden.«
Crompton machte sich auf den Weg. Er bestieg einen Hubschrauber nach Depotsville und fuhr von dort mit dem Bus nach St. Denis. Hier gelang es ihm, von einem Schlepper mitgenommen zu werden, der mit einer Ladung Insektenvertilgungsmittel durch die Sümpfe nach Ou-Barkar wollte. Der Fahrer war froh, bei der Fahrt durch die eintönige Landschaft Gesellschaft zu haben.
Während der vierzehnstündigen Reise erfuhr Crompton einiges über die Venus. Die riesige, warme Wasserwelt galt als Pioniergebiet für die Erde, erzählte ihm der Fahrer. Der Mars diene lediglich als Touristenattraktion, aber die Venus biete echte Möglichkeiten. Auf die Venus kämen die Bahnbrecher, vom Schlag wie die amerikanischen Westler, Burenfarmer, Israelis und australischen Rancher. Hartnäckig kämpften sie um die fruchtbaren Steppen, die erzreichen Gebirge und warmen Seen. Sie schlugen sich mit den auf Steinzeit-Niveau lebenden, von Eidechsen abstammenden Ureinwohnern, den Ais. Ihre großen Siege bei Satan's Pass, Squareface, Albertsville und Double Tongue, und ihre Niederlagen am Slow River und bei Blue Falls standen bereits im Buch der Geschichte vermerkt. Und die Kriege seien noch nicht vorbei. Auf der Venus könne man noch eine ganze Welt erringen, meinte der Fahrer.
Crompton hörte zu und wünschte, dazuzugehören. Loomis langweilte sich entsetzlich; die aus den Sümpfen aufsteigenden Dämpfe förderten seine Stimmung nicht.
Ou-Barkar bestand aus einer Gruppe von Pflanzungen tief im Innern des White Cloud-Kontinents. Fünfzig Menschen beaufsichtigten die Arbeit von zweitausend Eingeborenen: die Anpflanzung, Pflege und Aberntung der Li-Bäume, die nur in diesem Gebiet wuchsen. Die Li-Frucht, zweimal jährlich gepflückt, diente als Grundlage für Eli-Würze, ein Gewürz, ohne das kein Koch der Erde mehr auskam.
Crompton wandte sich an den Aufseher, einen großen, rotgesichtigen Mann namens Harris, der einen Revolver an der Hüfte trug und eine lange, geflochtene Lederpeitsche in der Hand hielt.
»Dan Stack?« wiederholte der Aufseher. »Natürlich, Stack hat fast ein ganzes Jahr hier gearbeitet. Dann zog er ab, nicht ohne vorher noch einen Tritt in den Hintern bekommen zu haben.«
»Macht es Ihnen etwas aus, mir den Grund dafür zu sagen?« fragte Crompton.
»Durchaus nicht«, sagte der Aufseher. »Aber dazu müssen wir schon einen heben.«
Er führte Crompton zur einzigen Kneipe Ou-Barkars. Bei einem Glas des im Ort gebrannten Kornwhiskys erzählte Harris von Dan Stack.
»Er kam von East Marsh hierher. Ich glaube, daß das was mit einem Mädchen zu tun hatte - er soll ihr die Zähne eingeschlagen haben oder so. Aber das geht mich nichts an. Die meisten Leute hier sind nicht gerade Musterknaben, und in den Städten wird man wohl froh sein, daß man uns los ist. Ich stellte Stack als Aufsicht über fünfzig Ais auf einem vierzig Hektar großen Li-Feld ein. Anfangs leistete er gute Arbeit.«
Der Aufseher leerte sein Glas. Crompton bestellte den zweiten Drink und bezahlte ihn.
»Ich hatte ihm erklärt, daß er seine Leute antreiben muß, wenn er etwas erreichen will«, fuhr Harris fort. »Wir verwenden hauptsächlich Ais vom Chipetzistamm, und sie sind mürrische, hinterhältige Kerle, aber kräftig. Ihr Häuptling vermietet uns Arbeiter in einem Zwanzigjahresvertrag. Als Bezahlung bekommt er Waffen. Damit versuchen sie dann wieder, uns umzulegen, aber das ist eine andere Sache. Wir werden schon mit ihnen fertig.«
»Ein Zwanzigjahresvertrag?« fragte Crompton. »Dann sind die Ais also praktisch Sklavenarbeiter?«
»Richtig«, erwiderte Harris. »Manche Pflanzer versuchen das zu beschönigen. Sie nennen das System >Dienstverpflichtung< oder auch >Feudalübergangswirtschaft<. Aber es ist Sklaverei, und warum soll man das nicht offen sagen? Auf andere Weise kann man diese Leute nicht zivilisieren. Stack hatte das begriffen. Er war ein großer, starker Bursche und konnte mit der Peitsche umgehen. Ich nahm eigentlich an, daß es mit ihm klappen müßte.«
»Und?« fragte Crompton, nachdem er noch einen Whisky für Harris bestellt hatte.
»Anfangs hielt er sich prima«, meinte der Aufseher. »Er benützte die Peitsche, erfüllte seine Erntequote und holte sogar einen Überschuß heraus. Aber er kannte kein Maßhalten. Er begann, seine Leute mit der Peitsche umzubringen, und Ersatz kostet Geld. Ich wies ihn an, ein bißchen vorsichtiger zu sein. Er hörte nicht auf mich. Eines Tages überfielen ihn seine Chipetzi, und er mußte etwa acht davon niederknallen, bevor sie sich zurückzogen. Ich redete ihm ins Gewissen und erklärte ihm, daß man die Ais zur Arbeit zwingen müsse, sie aber nicht umbringen dürfe. Natürlich rechnen wir mit Verlusten. Aber Stack trieb es zu arg und verminderte den Ertrag.«
Der Aufseher seufzte und zündete sich eine Zigarette an. »Stack bediente sich zu gern seiner Peitsche. Das tun viele Aufseher, aber Stack kannte kein Maß. Seine Chipetzi stürzten sich wieder auf ihn, und er mußte ein Dutzend davon niederschießen. Bei diesem Kampf verlor er eine Hand. Die Hand, mit der er die Peitsche geführt hatte. Ich glaube, daß sie ihm ein Chipetzi abgebissen hat.
Ich gab ihm Arbeit in den Trockenanlagen, aber es kam wieder zu einer Auseinandersetzung, bei der er vier Ais tötete. Das war zuviel. Diese Arbeiter kosten Geld, und wir können es uns nicht leisten, daß irgendein hitzköpfiger Idiot bei jedem Anfang ein Dutzend davon umlegt. Ich gab Stack seinen Lohn und warf ihn hinaus.«
»Hat er gesagt, wohin er sich wenden würde?« erkundigte sich Crompton.
»Er meinte, wir hätten nicht begriffen, daß man die Ais ausrotten müsse, um Platz für die Menschen zu schaffen. Er wolle sich auf jeden Fall den Vigilanten anschließen. Das ist eine Art umherziehender Truppe, deren Angehörige die nicht befriedeten Stämme in Schach halten.«
Crompton bedankte sich beim Aufseher und fragte nach dem Weg zum Hauptquartier der Vigilanten.
»Zur Zeit kampieren sie am linken Ufer des RainmakerFlusses«, sagte Harris. »Sie wollen mit den Seriiden einen Waffenstillstand schließen. Sie wollen Stack unbedingt finden, wie?«
»Er ist mein Bruder«, erwiderte Crompton mit einem mulmigen Gefühl im Magen.
Der Aufseher sah ihn gleichmütig an. »Na ja«, meinte er nach einiger Zeit, »verwandt ist verwandt. Aber Ihr Bruder ist so ziemlich das schlimmste Exemplar Mensch, das mir jemals begegnet ist, und ich habe wirklich viel gesehen. Lassen Sie lieber die Finger davon.«