Выбрать главу

Den Großteil dieser festlichen Ferienzeit aber brachte Knecht in Waldzell und beim Glasperlenspiel zu, repetierte mit Fritz Tegularius dessen Notizen aus einem Privatissimum, das der Magister in den beiden letzten Semestern für die Fortgeschrittensten gehalten hatte, und lebte sich nach der zweijährigen Entbehrung wieder mit allen Kräften in die edle Spielwelt ein, deren Zauber ihm von seinem Leben so untrennbar und so unentbehrlich schien wie der der Musik.

Erst in den letzten Tagen des Urlaubs kam der Magister Ludi wieder auf Josefs Mariafelser Sendung und auf seine nächste Zukunft und Aufgabe zu sprechen. Im Plauderton zuerst, dann ernster und dringlicher werdend, erzählte er ihm von einem Plan der Behörde, an welchem der Mehrzahl der Magister sowie Herrn Dubois sehr viel gelegen sei, dem Plan nämlich, für die Zukunft eine ständige Vertretung Kastaliens beim Heiligen Stuhl in Rom einzurichten. Es sei, so führte Meister Thomas in seiner gewinnenden und formvollendeten Weise aus, der historische Augenblick gekommen oder doch nahe für eine Überbrückung der alten Kluft zwischen Rom und dem Orden, in etwaigen künftigen Gefahren würden sie ganz ohne Zweifel gemeinsame Feinde haben, würden Schicksalsgenossen und natürliche Verbündete sein, und auf die Dauer sei ja auch der bisherige Zustand unhaltbar und eigentlich unwürdig: nämlich daß die beiden Mächte in der Welt, deren geschichtliche Aufgabe die Erhaltung und Pflege des Geistes und des Friedens sei, so nebeneinander und einander beinahe fremd welterlebten. Die Römische Kirche habe die Erschütterungen und Krisen der letzten großen Kriegsepoche trotz schwerer Verluste überstanden und sich durch sie erneuert und gereinigt, während die damaligen weltlichen Pflegestätten der Wissenschaft und Bildung mit in den Untergang der Kultur hineingeraten seien; erst auf ihren Trümmern seien der Orden und der kastalische Gedanke entstanden. Schon darum und schon ihres so ehrwürdigen Alters wegen sei der Kirche ein Vorrang einzuräumen, sie sei die ältere, vornehmere, in mehr und in größeren Stürmen bewährte Macht. Vorerst handle es sich darum, das Bewußtsein von der Verwandtschaft beider Mächte und ihrem Aufeinanderangewiesensein in allen etwa kommenden Krisen auch bei den Römischen zu wecken und zu pflegen.

(Hier dachte Knecht: »Oh, also nach Rom wollen sie mich schicken und womöglich für immer!« und setzte sich, der Warnung des Alt-Musikmeisters eingedenk, innerlich alsbald in Bereitschaft zur Abwehr.)

Meister Thomas fuhr fort: Ein wichtiger Schritt in dieser von kastalischer Seite schon seit langem angestrebten Entwicklung sei durch Knechts Mariafelser Mission geschehen. Diese Mission, an sich nur ein Versuch, eine höfliche Gebärde und zu nichts verpflichtend, sei ohne Nebenabsichten auf Einladung des dortigen Partners hin unternommen worden, andernfalls hätte man selbstverständlich nicht einen politisch ahnungslosen Glasperlenspieler, sondern etwa einen jungem Beamten aus dem Bereich von Herrn Dubois dafür verwendet. Es habe nun aber dieser Versuch, diese kleine harmlose Mission, ein überraschend gutes Resultat ergeben, es sei durch sie ein führender Geist des heutigen Katholizismus, Pater Jakobus, mit dem Geist Kastaliens etwas näher bekannt geworden und habe von diesem Geist, den er bisher durchaus ablehnte, einen günstigeren Begriff bekommen. Man sei Josef Knecht dankbar für die Rolle, die er dabei gespielt habe. Hier nämlich liege der Sinn und der Erfolg seiner Mission, und von diesem Punkt aus müsse nicht nur der ganze Versuch einer Annäherung, sondern besonders auch Knechts Sendung und Arbeit weiter betrachtet und betrieben werden. Man habe ihm einen Urlaub gewährt, der auch noch etwas verlängert werden könne, falls er dies wünsche, man habe sich mit ihm ausgesprochen und ihn mit den meisten Mitgliedern der obersten Behörden bekannt gemacht, die Oberen hätten ihr Vertrauen zu Knecht ausgesprochen und hätten nun ihn, den Glasperlenspielmeister, beauftragt, Knecht mit einem besonderen Geschäft und erweiterten Kompetenzen nach Mariafels zurückzusenden, wo er ja glücklicherweise eines freundlichen Empfanges sicher sei.

Er machte eine Pause, wie um seinem Zuhörer Zeit zu einer Frage zu lassen, aber dieser gab nur durch eine höfliche Gebärde der Ergebenheit zu verstehen, daß er aufmerke und seines Auftrags gewärtig sei.

»Der Auftrag, den ich dir zu übergeben habe,« sagte nun der Magister, »ist also dieser: wir planen, für früher oder später, die Einrichtung einer ständigen Vertretung unsres Ordens beim Vatikan, womöglich auf Gegenseitigkeit. Wir sind, als die Jüngeren, Rom gegenüber zu einer zwar nicht servilen, aber sehr ehrfurchtsvollen Haltung bereit, wir wollen gerne den zweiten Rang einnehmen und ihm den ersten lassen. Vielleicht – Ich weiß das so wenig, wie Herr Dubois es weiß – würde der Papst unser Anerbieten schon heute annehmen; was wir aber unbedingt zu vermeiden haben, ist eine abschlägige Antwort von dort. Es gibt nun einen uns bekannten und erreichbaren Mann, dessen Stimme in Rom das allergrößte Gewicht hat, den Pater Jakobus. Und dein Auftrag ist, du sollst ins Benediktinerstift zurückkehren, sollst wie bisher dort leben, Studien treiben, einen harmlosen Glasperlenspielkurs abhalten und sollst all dein Augenmerk und deine Sorgfalt daran wenden, den Pater Jakobus langsam für uns zu gewinnen und dafür, daß er dir seine Befürwortung unsres Vorhabens in Rom zusagt. Diesmal ist das Endziel deiner Sendung also genau umgrenzt. Wie lange du brauchen wirst, um es zu erreichen, ist nebensächlich; wir denken, es werde mindestens noch ein Jahr dauern, aber es können auch zwei, auch mehrere Jahre sein. Du kennst ja das benediktinische Tempo und hast gelernt, dich ihm anzupassen. Wir dürfen unter keinen Umständen den Eindruck von Ungeduld und Gierigkeit machen, die Sache muß wie von selber spruchreif werden, nicht wahr? Ich hoffe dich mit dem Auftrag einverstanden und bitte um offene Aussprache jedes Einwandes, den du etwa zu machen hast. Wenn du es wünschest, stehen auch ein paar Tage Bedenkzeit zur Verfügung.«

Knecht, den der Auftrag nach manchem vorangegangenen Gespräch nicht mehr überraschte, erklärte die Bedenkzeit für überflüssig, nahm den Auftrag gehorsam an, setzte aber hinzu: »Ihr wisset, daß Missionen dieser Art am besten gelingen, wenn der Beauftragte dabei nicht eigene innere Widerstände und Hemmungen zu bekämpfen hat. Ich habe gegen den Auftrag selbst keine Widerstände, ich begreife seine Wichtigkeit und hoffe ihm gerecht werden zu können. Eine gewisse Furcht und Bedrückung aber empfinde ich meiner Zukunft wegen; seid so gütig, Magister, und höret mein ganz persönliches, egoistisches Anliegen und Geständnis an. Ich bin Glasperlenspieler, wie Ihr wisset, infolge meiner Sendung zu den Patres habe ich nun zwei volle Jahre in meinen Studien versäumt, habe nichts hinzugelernt und meine Kunst vernachlässigt, nun kommt mindestens ein weiteres Jahr hinzu, wahrscheinlich mehr. Ich möchte in dieser Zeit nicht noch weiter zurückkommen. Darum bitte ich um öfteren kurzen Urlaub nach Waldzell und um ständigen Funkanschluß an die Vorträge und Spezialübungen eures Seminars für Fortgeschrittene.«

»Gern bewilligt,« rief der Meister und hatte schon etwas von Verabschiedung im Ton, da hob Knecht die Stimme und sagte auch das andere noch, nämlich, daß er befürchte, falls das Vorhaben mit Mariafels glücke, etwa nach Rom geschickt oder sonst weiter zu diplomatischen Diensten gebraucht zu werden. »Und diese Aussicht,« schloß er, »würde auf mich und meine Bemühungen im Kloster niederdrückend und hemmend wirken. Denn auf die Dauer in den diplomatischen Dienst abgeschoben zu werden, war mir äußerst unerwünscht.«

Der Magister zog die Brauen zusammen und hob rügend den Finger. »Du sprichst von Abgeschobenwerden, das Wort ist wirklich schlecht gewählt, niemand hat je an Abschieben gedacht, eher an Auszeichnung, an Beförderung. Ich bin nicht befugt, dir über die Art, wie man dich späterhin verwenden wird, Auskunft zu geben oder Versprechungen zu machen. Doch kann ich deine Bedenken zur Not verstehen, und vermutlich werde ich dir behilflich sein können, falls du wirklich mit deiner Furcht recht behalten solltest. Und nun höre: du hast eine gewisse Gabe, dich angenehm und beliebt zu machen, ein Übelwollender könnte dich beinahe einen Charmeur heißen; vermutlich hat ja auch diese Gabe die Behörde zu deiner zweimaligen Absendung ins Kloster veranlaßt. Aber mache nicht allzuvielen Gebrauch von deiner Gabe, Josef, und suche nicht den Preis deiner Leistungen in die Höhe zu treiben. Wenn es dir mit dem Pater Jakobus glückt, so wird das der rechte Augenblick für dich sein, eine persönliche Bitte an die Behörde zu richten. Heute scheint es mir zu früh. Laß es mich wissen, wenn du reisebereit bist.«

Schweigend nahm Josef die Worte entgegen, sich mehr an das hinter ihnen versteckte Wohlwollen als an die Rüge haltend, und reiste bald darauf nach Mariafels zurück.

Dort empfand er die Sicherheit, welche ein genau umgrenzter Auftrag gibt, sehr wohltätig. Überdies war dieser Auftrag wichtig und ehrenvoll, und in einer Hinsicht traf er mit den eigensten Wünschen des Beauftragten zusammen: soviel wie nur möglich sich an den Pater Jakobus anzuschließen und dessen volle Freundschaft zu erwerben. Daß seine neue Mission hier im Stift ernst genommen werde und er selbst im Range erhöht sei, bewies ihm überdies die etwas veränderte Haltung der Würdenträger des Klosters, namentlich des Abtes; sie war unvermindert freundlich, aber um einen spürbaren Grad respektvoller als vormals. Josef war nicht mehr der junge Gast ohne Rang, gegen den man seiner Herkunft wegen und aus Wohlwollen für seine Persönlichkeit artig ist, er wurde jetzt eher wie ein höherer kastalischer Beamter empfangen und behandelt, ein bevollmächtigter Gesandter etwa. Nicht mehr blind in diesen Dingen, zog er daraus seine Schlüsse.

Bei Pater Jakobus allerdings konnte er keine Änderung des Verhaltens entdecken: die Freundschaftlichkeit und Freude, mit der ihn der Pater begrüßte und, ohne Knechts Bitte oder Mahnung abzuwarten, an die vereinbarte gemeinsame Arbeit erinnerte, rührte ihn tief. Sein Arbeitsplan und Tageslauf bekam nun ein wesentlich anderes Gesicht als vor dem Urlaub. Im Arbeitsplan und Pflichtenkreis nahm diesmal der Glasperlenspielkurs längst nicht mehr die erste Stelle ein, und von seinen musikarchivalischen Studien sowie der kollegialen Zusammenarbeit mit dem Organisten war überhaupt nicht mehr die Rede. Obenan stand jetzt der Unterricht bei Pater Jakobus, ein Unterricht in mehreren Fächern der Geschichtswissenschaft zugleich, denn der Pater führte seinen Vorzugsschüler nicht nur in die Vor- und Frühgeschichte des Benediktinerordens ein, sondern auch in die Quellenkunde des frühen Mittelalters, und las außerdem in einer gesonderten Stunde mit ihm einen der alten Chronisten im Urtext. Es gefiel dem Pater, daß Knecht ihn mit der Bitte bestürmte, auch den jungen Anton teilnehmen zu lassen, doch wurde es ihm nicht schwer, ihn davon zu überzeugen, daß auch der bestgewillte Dritte diese Art von privatestem Unterricht erheblich hemmen müßte, und so wurde Anton, der von Knechts Fürsprache nichts ahnte, nur zur Teilnahme an der Chronistenlektüre eingeladen und war darüber hoch beglückt. Ohne Zweifel waren diese Stunden für den jungen Bruder, über dessen Leben wir des weiteren nicht unterrichtet sind, eine Auszeichnung, ein Genuß und Ansporn höchster Art; es waren zwei der reinsten Geister und originalsten Köpfe seiner Zeit, an deren Arbeit und deren Austausch er als Zuhörer und junger Rekrut ein wenig teilhaben durfte. Knechts Gegenleistung an den Pater bestand in einer fortlaufenden, jeweils auf die Lektionen in Epigraphik und Quellenkunde folgenden Einführung in die Geschichte und Struktur Kastaliens und der leitenden Ideen des Glasperlenspiels, wobei der Schüler zum Lehrer, der verehrte Lehrer zum aufmerksamen Zuhörer und oft recht schwer zu befriedigenden Fragensteller und Kritiker wurde. Sein Mißtrauen gegen die gesamte kastalische Mentalität blieb immer wach; da er eine eigentlich religiöse Haltung an ihr vermißte, zweifelte er an ihrer Fähigkeit und Würdigkeit zum Erziehen eines wirklich ernst zu nehmenden Menschentyps, obwohl ihm in Knechts Person ein so edles Ergebnis dieser Erziehung gegenüberstand. Auch als er längst, soweit dies eben möglich war, eine Art von Bekehrung durch Knechts Unterricht und Beispiel erfahren hatte und längst entschlossen war, die Annäherung Kastaliens an Rom zu befürworten, schlief dies Mißtrauen nie völlig ein, Knechts Aufzeichnungen sind voll von drastischen, jeweils im Moment notierten Beispielen, deren wir eins anführen: