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Pater: »Ihr seid große Gelehrte und Ästhetiker, ihr Kastalier, ihr messet das Gewicht der Vokale in einem alten Gedicht und setzt seine Formel zu der einen Planetenbahn in Beziehung. Das ist entzückend, aber es ist ein Spiel. Ein Spiel ist ja auch euer höchstes Geheimnis und Symbol, das Glasperlenspiel. Ich will auch anerkennen, daß ihr den Versuch machet, dies hübsche Spiel zu so etwas wie einem Sakrament zu erheben, oder mindestens zu einem Mittel der Erbauung. Aber Sakramente entstehen nicht aus solchen Bemühungen, das Spiel bleibt Spiel.«

Josef: »Sie meinen, Pater, es fehle uns das Fundament der Theologie?«

Pater: »Ach, von Theologie wollen wir gar nicht reden, davon seid ihr noch allzuweit entfernt. Es wäre euch schon mit einigen einfacheren Fundamenten gedient, mit einer Anthropologie zum Beispiel, einer wirklichen Lehre und einem wirklichen Wissen vom Menschen. Ihr kennt ihn nicht, den Menschen, nicht seine Bestialität und nicht seine Gottesbildschaft. Ihr kennt bloß den Kastalier, eine Spezialität, eine Kaste, einen aparten Züchtungsversuch.«

Für Knecht war es ja ein Glücksfall außerordentlicher Art, daß er für seine Aufgabe, den Pater für Kastalien zu gewinnen und vom Wert einer Bundesgenossenschaft zu überzeugen, in diesen Stunden das denkbar günstigste und breiteste Feld eingeräumt bekam. Es war ihm damit eine Situation geboten, welche allem nur irgend Wünsch- und Ersinnbaren so vollkommen entsprach, daß er schon bald etwas wie Gewissensskrupel dabei empfand, denn es wollte ihm beschämend und unwürdig erscheinen, wie ihm da der verehrte Mann vertrauensvoll sich hingebend gegenübersaß oder mit ihm den Kreuzgang hinab und hinauf wanderte, während er doch das Objekt und Ziel geheimer politischer Absichten und Geschäfte war. Knecht hätte diese Lage nicht lange schweigend hingenommen und sann nur noch über die Form nach, die er seiner Demaskierung zu geben habe, als ihm der Alte zu seiner Überraschung zuvorkam.

»Lieber Freund,« sagte er eines Tages wie nebenher, »wir haben da wirklich eine höchst angenehme und, so hoffe ich, auch fruchtbare Art des Austausches erfunden. Die beiden Tätigkeiten, die mir zeitlebens die liebsten waren, das Lernen und das Lehren, haben in unsern gemeinsamen Arbeitsstunden eine schöne neue Kombination gefunden, und für mich kam das gerade zur richtigen Zeit, denn ich beginne zu altern und hätte mir eine bessere Kur und Auffrischung, als unsre Stunden sie sind, gar nicht ausdenken können. Also was mich betrifft, ich bin bei unsrem Austausch der Gewinnende, auf jeden Fall. Dagegen bin ich nicht so sicher, ob auch Sie, Freund, und namentlich ob die Leute, deren Abgesandter Sie sind und in deren Dienst Sie stehen, so viel bei der Sache zu gewinnen haben, wie sie vielleicht hoffen. Ich möchte einer spätem Enttäuschung vorbeugen und möchte außerdem zwischen uns beiden kein unklares Verhältnis entstehen lassen, darum erlauben Sie einem alten Praktiker eine Frage: ich habe mir über Ihren Aufenthalt in unsrem Klösterchen, so angenehm er mir ist, natürlich schon des öftern Gedanken gemacht. Bis vor kurzem, bis zu Ihrem neulichen Urlaub nämlich, glaubte ich feststellen zu können, daß der Sinn und das Ziel Ihrer Anwesenheit bei uns auch Ihnen selbst keineswegs vollkommen klar sei. Habe ich richtig beobachtet?«

Und als Knecht bejahte, fuhr er fort: »Gut. Seit Ihrer Rückkehr nun aus jenem Urlaub hat sich das geändert. Sie machen sich jetzt keine Gedanken und Sorgen mehr über den Zweck Ihres Hierseins, sondern wissen darüber Bescheid. Stimmt es? – Gut, ich habe also nicht fehlgeraten. Vermutlich rate ich auch nicht fehl mit der Vorstellung, die ich mir vom Zweck Ihres Hierseins mache. Sie haben einen diplomatischen Auftrag, und der gilt weder unsrem Kloster noch unsrem Herrn Abt, sondern er gilt mir. – Sie sehen, es bleibt von Ihrem Geheimnis nicht gar so viel übrig. Um die Lage vollends ganz zu klären, tue ich den letzten Schritt und gebe Ihnen den Rat, mir auch den Rest vollends mitzuteilen. Wie also lautet Ihr Auftrag?«

Knecht war aufgesprungen und stand ihm überrascht, verlegen, beinahe bestürzt gegenüber. »Sie haben recht,« rief er, »aber während Sie mich erleichtern, beschämen Sie mich auch, indem Sie mir zuvorkommen. Seit einer Weile schon habe ich überlegt, wie ich unsrem Verhältnis die Klarheit geben könne, die Sie nun so rasch hergestellt haben. Ein Glück nur, daß meine Bitte um Ihre Unterweisungen und unsre Vereinbarung wegen meiner Einführung in Ihre Wissenschaft noch in die Zeit vor meinem Urlaub fallen, es hätte sonst wahrhaftig den Anschein, als sei das alles Diplomatie von mir gewesen und unsre Studien nur Vorwand!«

Freundlich beruhigte ihn der Alte. »Ich wollte nichts, als uns beiden einen Schritt vorwärts helfen. Die Lauterkeit Ihrer Absichten bedarf keiner Versicherung. Wenn ich Ihnen zuvorgekommen bin und nichts herbeigeführt habe, als was auch Ihnen erwünscht schien, ist ja alles gut.« Über den Inhalt von Knechts Auftrag, den dieser ihm nun mitteilte, meinte er: »Ihre Herren in Kastalien sind nicht gerade geniale, aber doch ganz annehmbare Diplomaten, und Glück haben sie auch. Ihren Auftrag werde ich mir in aller Ruhe überlegen, und meine Entscheidung wird zum Teil davon abhängen, wie weit es Ihnen gelingt, mich in Ihre kastalische Verfassung und Ideenwelt einzuführen und sie mir plausibel zu machen. Wir wollen uns damit alle Zeit lassen.« Und als er Knecht noch immer etwas betreten sah, lachte er hart auf und meinte: »Wenn Sie wollen, können Sie mein Vorgehen auch als eine Art von Lektion auffassen. Wir sind zwei Diplomaten, und deren Beisammensein ist stets ein Kampf, auch wenn er freundschaftliche Formen hat. In unsrem Kampf nun war ich momentan im Nachteil, das Gesetz des Handelns war mir entschlüpft, Sie wußten mehr als ich. Jetzt ist das also ausgeglichen. Der Schachzug ist geglückt, er war also richtig.«

Wenn es Knecht wertvoll und wichtig erschien, den Pater für die Absichten der kastalischen Behörde zu gewinnen, so schien es ihm doch noch weit wichtiger, so viel als nur möglich bei ihm zu lernen und seinerseits dem gelehrten und mächtigen Manne ein zuverlässiger Führer in die kastalische Welt zu sein. Um vieles ist Knecht von manchen seiner Freunde und Schüler beneidet worden, so wie eben ausgezeichnete Menschen nicht nur um ihre innere Größe und Energie, sondern auch um ihr scheinbares Glück, ihre scheinbare Bevorzugung durch das Schicksal beneidet zu werden pflegen. Der Kleinere sieht am Größeren das, was er eben zu sehen vermag, und Josef Knechts Laufbahn und Aufstieg hat in der Tat für jeden Betrachter etwas ungewöhnlich Glänzendes, Rasches, scheinbar Müheloses; von jener Zeit seines Lebens kann man wohl versucht sein zu sagen: er hat Glück gehabt. Wir wollen auch nicht den Versuch machen, dies »Glück« rationalistisch oder moralistisch, sei es als kausale Folge äußerer Umstände, sei es als eine Art von Belohnung seiner besonderen Tugend zu erklären. Glück hat weder mit Ratio noch mit Moral etwas zu tun, es ist etwas seinem Wesen nach Magisches, einer frühen, jugendlichen Menschheitsstufe Zugehörendes. Der naive Glückliche, der von den Feen Beschenkte, von den Göttern Verwöhnte ist kein Gegenstand für die rationale Betrachtung und somit auch nicht für die biographische, er ist Symbol und steht jenseits des Persönlichen und des Geschichtlichen. Dennoch gibt es hervorragende Menschen, aus deren Leben das »Glück« nicht wegzudenken ist, bestehe es auch nur darin, daß sie und die ihnen gemäße Aufgabe tatsächlich geschichtlich und biographisch einander finden und treffen, daß sie nicht zu früh und nicht zu spät geboren wurden; und zu ihnen scheint Knecht zu gehören. So macht denn sein Leben, wenigstens eine Strecke weit, den Eindruck, als sei ihm alles Wünschenswerte wie von selbst in den Schoß gefallen. Wir wollen diesen Aspekt nicht leugnen und nicht wegwischen, wir könnten ihn auch vernunftgemäß nur durch eine biographische Methode erklären, welche nicht die unsre und nicht die in Kastalien erwünschte und erlaubte ist, mit einem beinahe grenzenlosen Eingehen nämlich auf das Persönlichste, Privateste, auf die Gesundheit und Krankheit, die Schwankungen und Kurven im Lebens- und im Selbstgefühl. Wir sind überzeugt, daß eine solche, für uns nicht in Frage kommende Art der Biographie uns zum Nachweis eines vollkommenen Gleichgewichtes zwischen seinem »Glück« und seinen Leiden führen und dennoch das Bild seiner Gestalt und seines Lebens fälschen würde.

Genug der Abschweifung. Wir sprachen davon, daß Knecht von vielen, die ihn kannten oder die auch nur von ihm hörten, beneidet wurde. Aber wohl nichts in seinem Leben ist Kleineren so beneidenswert erschienen wie sein Verhältnis zu dem alten Benediktinerpater, das zugleich Schülerschaft und Lehrerschaft, Nehmen und Geben, Erobertsein und Erobern, zugleich Freundschaft und innige Arbeitsgemeinschaft war. Auch ist Knecht selbst von keiner seiner Eroberungen seit der des Älteren Bruders im Bambusgehölz so beglückt gewesen, durch keine hat er sich so sehr zugleich ausgezeichnet und beschämt, beschenkt und angespornt gefühlt wie durch diese. Kaum einer seiner späteren Vorzugsschüler, der nicht bezeugt hätte, wie häufig, wie gern und freudig er auf Pater Jakobus zu sprechen kam. Bei ihm lernte Knecht etwas, was er im damaligen Kastalien kaum hätte lernen können; er erwarb nicht nur den Überblick über die Methoden und Mittel historischer Erkenntnis und Forschung und seine erste Übung in ihrer Anwendung, sondern weit darüber hinaus gewann und erlebte er Geschichte nicht als Wissensgebiet, sondern als Wirklichkeit, als Leben, und dazu gehört als Entsprechung die Wandlung und Steigerung des eigenen, persönlichen Lebens zu Geschichte. Er hätte dies von einem bloßen Gelehrten nicht lernen können. Jakobus war nicht nur, weit über die Gelehrtheit hinaus, ein Schauender und Weiser. Er war überdies ein Erlebender und Mitschaffender, er hatte die Stelle, an die ihn sein Schicksal gestellt, nicht dazu benutzt, sich im Behagen eines betrachtenden Daseins zu wärmen, sondern hatte die Winde der Welt durch seine Gelehrtenstube wehen lassen und die Nöte und Ahnungen seiner Epoche in sein Herz eingelassen, er war am Geschehen seiner Zeit mittätig, mitschuldig und mitverantwortlich geworden und hatte es nicht nur mit dem Überblicken, Ordnen und Deuten längst abgelaufener Begebnisse und nicht nur mit Ideen zu tun gehabt, sondern nicht minder mit der Widerspenstigkeit der Materie und der Menschen. Er wurde, zusammen mit seinem Mitarbeiter und Gegenspieler, einem unlängst verstorbenen Jesuiten, als der eigentliche Gründer der diplomatischen und moralischen Macht und des hohen politischen Ansehens betrachtet, das die Römische Kirche nach Zeiten der Resignation und großer Dürftigkeit wiedergewonnen hatte.