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Damit bin ich nun auch bei dem persönlichen Gesuch angelangt, das ich an die verehrliche Behörde richten möchte. Ich bitte hiermit die Behörde, mich meines Amtes als Magister Ludi zu entheben und mir draußen im Lande eine gewöhnliche Schule anzuvertrauen, eine große oder kleine, und mir zu erlauben, an diese Schule allmählich einen Stab von jungen Ordensbrüdern als Lehrer mir nachzuziehen, Leute, zu welchen ich das Vertrauen habe, daß sie mir treulich helfen werden, unsre Grundsätze in jungen Weltmenschen zu Fleisch und Blut werden zu lassen.

Es möge der verehrlichen Behörde belieben, mein Gesuch und dessen Begründung mit Wohlwollen zu prüfen und mir alsdann ihre Befehle zuzustellen.

Der Glasperlenspielmeister

Nachschrift:

Man erlaube mir, ein Wort des verehrten Pater Jakobus anzuführen, das ich mir bei einem seiner unvergeßlichen Privatissima notiert habe:

»Es können Zeiten des Schreckens und tiefsten Elends kommen. Wenn aber beim Elend noch ein Glück sein soll, so kann es nur ein geistiges sein, rückwärts gewandt zur Rettung der Bildung früherer Zeit, vorwärts gewandt zur heitern und unverdrossenen Vertretung des Geistes in einer Zeit, die sonst gänzlich dem Stoff anheimfallen könnte.«

Tegularius wußte nicht, wie wenig in diesem Schriftstück von seiner Arbeit übriggeblieben war; er hat es in dieser seiner letzten Fassung nicht zu sehen bekommen. Wohl aber hat ihm Knecht zwei frühere, viel ausführlichere Fassungen zu lesen gegeben. Er sandte das Schreiben ab und wartete auf die Antwort der Behörde mit weit geringerer Ungeduld als sein Freund. Er war zum Entschluß gekommen, diesen nicht fernerhin zum Mitwisser seiner Schritte zu machen; so verwies er ihm ein weiteres Bereden der Angelegenheit und deutete nur an, daß ohne Zweifel bis zum Eintreffen einer Antwort eine lange Zeit vergehen werde.

Und als sodann in kürzerer Frist, als er selbst gedacht hätte, diese Antwort einlief, erfuhr Tegularius nichts davon. Das Schreiben aus Hirsland lautete:

S. Ehrw. dem Magister Ludi in Waldzell

Hochgeschätzter Kollege!

Mit nicht gewöhnlichem Interesse hat sowohl die Ordensleitung wie das Magisterkollegium von Eurem so warmherzigen wie geistvollen Rundschreiben Kenntnis genommen. Die historischen Rückblicke in diesem Schreiben nicht weniger als dessen sorgenvolle Blicke in die Zukunft haben unsre Aufmerksamkeit gefesselt, und gewiß wird mancher von uns diesen aufregenden und gewiß zum Teil nicht unberechtigten Erwägungen noch weiterhin Raum in seinen Gedanken gewähren, um Nutzen aus ihnen zu ziehen. Mit Freude und Anerkennung haben wir alle die Gesinnung erkannt, welche Euch beseelt, die Gesinnung eines echten und selbstlosen Kastaliertums, einer innigen und zur zweiten Natur gewordenen Liebe zu unsrer Provinz und deren Leben und Sitten, einer besorgten und zur Zeit etwas beängstigten Liebe. Mit Freude und Anerkennung nicht minder lernten wir die persönliche und momentane Note und Stimmung dieser Liebe kennen, ihre Opferbereitschaft, ihren Tätigkeitsdrang, ihren Ernst und Eifer und ihren Zug zum Heldischen. In allen diesen Zügen erkennen wir den Charakter unsres Glasperlenspielmeisters wieder, seine Tatkraft, sein Feuer, seinen Wagemut. Wie sehr paßt es doch zu ihm, dem Schüler des berühmten Benediktiners, daß er die Historie nicht zu rein gelehrtem Endzweck und gewissermaßen in ästhetischem Spiel als affektloser Betrachter studieren mag, sondern daß seine Geschichtskenntnis unmittelbar zur Anwendung auf den Augenblick, zur Tat, zur Hilfsbereitschaft drängt! Und wie sehr auch, verehrter Kollege, entspricht es diesem Eurem Charakter, daß das Ziel Eurer persönlichen Wünsche ein so bescheidenes ist, daß Ihr Euch nicht zu politischen Aufgaben und Missionen, zu einflußreichen und ehrenvollen Posten hingezogen fühlet, sondern nichts andres zu sein begehret als ein Ludi Magister, ein Schulmeister!

Dies sind einige der Eindrücke und Gedanken, welche schon beim ersten Lesen Eures Rundschreibens sich ungesucht einstellten. Sie sind bei den meisten Kollegen dieselben oder doch ähnliche gewesen. In der weiteren Beurteilung Eurer Mitteilungen, Mahnungen und Bitten hingegen vermochte die Behörde zu einer so einmütigen Stellungnahme nicht zu gelangen. In der darüber abgehaltenen Sitzung wurde namentlich die Frage, wieweit Eure Ansicht von der Bedrohtheit unsrer Existenz annehmbar sei, sowie die Frage nach der Art, dem Umfang und der etwaigen zeitlichen Nähe der Gefahren lebhaft besprochen, und der größere Teil der Mitglieder hat diese Fragen sichtlich ernst genommen und sich für sie erwärmt. Doch hat sich, wie wir Euch mitteilen müssen, in keiner dieser Fragen eine Mehrheit der Stimmen zugunsten Eurer Auffassung ergeben. Anerkannt wurden lediglich die Vorstellungskraft und der Weitblick Eurer historisch-politischen Betrachtungen, im einzelnen aber wurde keine Eurer Vermutungen, oder sollen wir sagen Prophezeiungen, in ihrem vollen Umfang gebilligt und als überzeugend angenommen. Auch in der Frage, wieweit der Orden und die kastalische Ordnung an der Erhaltung der ungewöhnlich langen Friedensperiode mitbeteiligt seien, ja wieweit sie überhaupt und grundsätzlich als Faktoren der politischen Geschichte und Zustände gelten könnten, wurde Euch nur von wenigen, und auch da mit Vorbehalten, zugestimmt. Es sei, so etwa lautete die Meinung der Majorität, die nach Ablauf der kriegerischen Epochen in unsrem Erdteil eingetretene Ruhe zum Teil der allgemeinen Erschöpfung und Ausblutung als Folge der vorangegangenen furchtbaren Kriege zuzuschreiben, weit mehr aber noch dem Umstande, daß damals das Abendland aufgehört habe, Brennpunkt der Weltgeschichte und Kampfplatz der Hegemonieansprüche zu sein. Ohne die Verdienste des Ordens im mindesten in Zweifel zu ziehen, könne man dem kastalischen Gedanken, dem Gedanken einer hohen Geistesbildung unter dem Zeichen kontemplativer Seelenzucht, eine eigentlich geschichtsbildende Kraft, das heißt einen lebendigen Einfluß auf die politischen Weltzustände nicht zuerkennen, wie denn ein Antrieb und Ehrgeiz dieser Art dem ganzen Charakter des kastalischen Geistes denkbar fernliege. Es sei, so wurde in einigen sehr ernsten Ausführungen zum Thema betont, weder der Wille, noch sei es die Bestimmung Kastaliens, politisch zu wirken und auf Frieden und Krieg Einfluß zu nehmen, und es könne von solcher Bestimmung schon darum nicht die Rede sein, weil alles Kastalische sich auf die Vernunft beziehe und sich innerhalb des Vernünftigen abspiele, was doch wohl von dr Weltgeschichte nicht gesagt werden könne, es sei denn, man falle in die theologisch-dichterischen Schwärmereien der romantischen Geschichtsphilosophie zurück und erkläre den ganzen Mord- und Vernichtungsapparat der Mächte, welche die Geschichte machen, als Methoden der Weltvernunft. Auch sei es ja schon bei flüchtigstem Überblick über die Geistesgeschichte einleuchtend, daß die hohen Blütezeiten des Geistes sich im Grunde niemals aus den politischen Zuständen erklären ließen, vielmehr die Kultur oder der Geist oder die Seele ihre eigene Geschichte habe, welche neben der sogenannten Weltgeschichte, das heißt den nie ruhenden Kämpfen um die materielle Macht, wie eine zweite, heimliche, unblutige und heilige Geschichte einherlaufe. Einzig mit dieser heiligen und heimlichen, nicht mit der »wirklichen« brutalen Weltgeschichte habe unser Orden es zu tun, und niemals könne es seine Aufgabe sein, die politische Geschichte zu bewachen oder gar sie machen zu helfen.

Es möge nun also die weltpolitische Konstellation wirklich so sein, wie Euer Rundschreiben sie andeutet, oder nicht, in jedem Falle stehe es dem Orden nicht zu, anders als abwartend und duldend dazu Stellung zu nehmen. Und so wurde, gegen einige Stimmen, Eure Meinung, wir sollten diese Konstellation als einen Aufruf zu aktiver Stellungnahme betrachten, von der Majorität entschieden abgelehnt. Was Eure Auffassung der heutigen Weltlage und Eure Andeutungen über die nächste Zukunft betrifft, so haben sie zwar sichtlich auf die Mehrzahl der Kollegen einen gewissen Eindruck gemacht, auf einige der Herren sogar wie eine Sensation gewirkt, doch konnte auch in diesem Punkte, so sehr die meisten Redner ihren Respekt vor Euren Kenntnissen und Eurem Scharfsinn bezeugten, eine Übereinstimmung der Mehrheit mit Euch nicht festgestellt werden, im Gegenteil. Es herrschte vielmehr die Neigung vor, Eure Äußerungen hierüber zwar als bemerkenswert und in hohem Maße interessant, jedoch als übertrieben pessimistisch zu beurteilen. Es meldete sich auch eine Stimme, welche fragte, ob es denn nicht gefährlich, ja frevelhaft, zumindest aber als leichtsinnig zu bezeichnen sei, wenn ein Magister es unternimmt, seine Behörde durch so düstere Bilder angeblich nahender Gefahren und Prüfungen zu erschrecken. Gewiß sei eine gelegentliche Mahnung an die Vergänglichkeit aller Dinge erlaubt, und müsse jedermann, und gar jeder auf hohem und verantwortlichen Posten Stehende, sich je und je das Memento mori zurufen; so verallgemeinernd jedoch und nihilistisch dem gesamten Stande der Magister, dem gesamten Orden, der gesamten Hierarchie ein angeblich nahe bevorstehendes Ende zu verkündigen, sei nicht nur eine unwürdige Attacke auf die Seelenruhe und Phantasie der Kollegen, es sei auch eine Gefährdung der Behörde selbst und ihrer Leistungsfähigkeit. Unmöglich könne die Tätigkeit eines Magisters dadurch gewinnen, daß er jeden Morgen an seine Arbeit gehe mit dem Gedanken, daß sein Amt, seine Arbeit, seine Schüler, seine Verantwortlichkeit vor dem Orden, sein Leben für und in Kastalien – daß dies alles morgen oder übermorgen dahin und nichtig sein werde. Wenn auch diese Stimme nicht von der Mehrheit bekräftigt wurde, so fand sie doch einigen Beifall.

Wir halten unsre Mitteilung kurz, stehen aber für mündliche Aussprache zur Verfügung. Aus unsrer knappen Wiedergabe sehet Ihr ja schon, Verehrenswerter, daß Euer Rundschreiben nicht jene Wirkung getan hat, welche Ihr Euch von ihm möget versprochen haben. Zum größern Teil beruht der Mißerfolg wohl auf sachlichen Gründen, auf tatsächlichen Differenzen zwischen Euren derzeitigen Ansichten und Wünschen und denen der Mehrheit. Doch sprechen auch formale Gründe mit. Wenigstens will uns scheinen, es wäre eine direkte mündliche Auseinandersetzung zwischen Euch und den Kollegen wesentlich harmonischer und positiver verlaufen. Und nicht nur diese Form einer schriftlichen Rundfrage ist, so glauben wir, Eurem Anliegen hinderlich gewesen; noch viel mehr war es die in unsrem Verkehr sonst nicht übliche Verbindung einer kollegialen Mitteilung mit einem persönlichen Anliegen, einem Gesuch. Die meisten sehen in dieser Verquickung einen unglücklichen Neuerungsversuch, einige bezeichneten sie direkt als unstatthaft.

Damit kommen wir zum heikelsten Punkt Eurer Angelegenheit, zu Eurem Gesuch um Amtsentlassung und um Verwendung Eurer Person im weltlichen Schuldienst. Daß die Behörde auf ein so abrupt gestelltes und so eigenartig begründetes Gesuch nicht eingehen, daß sie es unmöglich gutheißen und annehmen kann, hätte der Gesuchsteller von vornherein wissen müssen. Selbstverständlich beantwortet die Behörde es mit Nein.

Was würde aus unsrer Hierarchie, wenn es nicht mehr der Orden und der Auftrag der Behörde wäre, der jeden an seinen Platz stellt! Was würde aus Kastalien, wenn jeder seine Person, seine Gaben und Eignungen selber einschätzen und sich seinen Posten danach aussuchen wollte! Wir empfehlen dem Glasperlenspielmeister, hierüber einige Augenblicke nachzudenken, und tragen ihm auf, das ehrenvolle Amt weiter zu verwalten, mit dessen Führung wir ihn betraut haben.