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Dies alles, gleich dem Lichtrausch des Sonnenaufgangs, währte nur Minuten. Ergriffen sah Knecht dem wunderbaren Schauspiel zu, in welchem der Schüler vor seinen Augen sich verwandelte und enthüllte, ihm neu und fremd und vollwertig als seinesgleichen entgegentrat. Beide standen sie auf dem Gehsteige zwischen Haus und Hütte, von der Lichtfülle aus Osten gebadet und vom Wirbel des eben Erlebten tief erregt, als Tito, kaum hatte er den letzten Schritt seines Tanzes getan, aus dem Glückstaumel erwachte und wie ein beim einsamen Spielen überraschtes Tier stehenblieb, gewahr werdend, daß er nicht allein sei, daß er nicht nur Ungewöhnliches erlebt und getan, sondern auch einen Zuschauer dabei gehabt habe. Blitzschnell folgte er dem ersten Einfall, der ihm ermöglichte, aus der Lage zu entkommen, die er plötzlich als irgendwie gefährlich und beschämend zu erkennen meinte, und die Zauber dieser wunderlichen Augenblicke, die ihn so völlig eingesponnen und überwältigt hatten, kräftig zu durchbrechen.

Sein eben noch alterslos maskenstrenges Gesicht nahm einen kindlichen und etwas törichten Ausdruck an, wie das eines allzu plötzlich aus tiefem Schlaf Geweckten, er wiegte sich ein wenig in den Knien, blickte dem Lehrer dumm-erstaunt ins Gesicht und streckte mit plötzlicher Eile, als falle ihm soeben etwas Wichtiges, beinahe schon Versäumtes ein, den rechten Arm mit zeigender Gebärde aus, auf das jenseitige Seeufer weisend, das wie die Hälfte der Seebreite noch in dem großen Schatten lag, den der vom Morgenstrahl bezwungene Felsberg allmählich immer enger um seine Basis zusammenzog.

»Wenn wir sehr schnell schwimmen,« rief er hastig und knabeneifrig, »so können wir grade noch vor der Sonne am andern Ufer sein.«

Die Worte waren kaum hervorgestoßen, die Parole zum Wettschwimmen mit der Sonne kaum erteilt, so war Tito mit einem gewaltigen Satz, den Kopf voran, im See verschwunden, als könne er, sei es aus Übermut oder aus Verlegenheit, gar nicht rasch genug sich davonmachen und die vorangegangene feierliche Szene in gesteigerter Tätigkeit vergessen machen. Das Wasser spritzte auf und schlug über ihm zusammen, einige Augenblicke später erschienen Kopf, Schultern und Arme wieder und blieben, sich rasch entfernend, auf dem blaugrünen Spiegel sichtbar.

Knecht hatte, als er hier herauskam, keineswegs im Sinne gehabt, zu baden und zu schwimmen, es war ihm viel zu kühl und nach der halbkrank verbrachten Nacht viel zu wenig wohl gewesen. Jetzt, in der schönen Sonne, angeregt durch das soeben Geschaute, kameradschaftlich eingeladen und angerufen von seinem Zögling, fand er das Wagnis weniger abschreckend. Vor allem aber fürchtete er, es möge das, was diese Morgenstunde angebahnt und versprochen hatte, wieder versinken und verlorengehen, wenn er jetzt den Jungen allein ließe und enttäuschte, indem er in kühler erwachsener Vernünftigkeit die Kraftprobe ablehnte. Wohl warnte ihn das Gefühl von Unsicherheit und Schwäche, das er sich durch die rasche Bergreise zugezogen hatte, aber vielleicht ließ dies Unwohlsein sich grade durch Zwang und rauhes Zugreifen am schnellsten überwinden. Der Anruf war stärker als die Warnung, der Wille stärker als der Instinkt. Eilig zog er den leichten Morgenmantel aus, holte tief Atem und warf sich an derselben Stelle ins Wasser, an der sein Schüler untergetaucht war.

Der See, aus Gletscherwassern gespeist und selbst im wärmsten Sommer nur für sehr Abgehärtete bekömmlich, empfing ihn mit einer Eiseskälte von schneidender Feindseligkeit. Er war auf einen tüchtigen Schauder gefaßt gewesen, nicht aber auf diese grimmige Kälte, die ihn ringsum wie mit lodernden Flammen umfaßte und nach einem Augenblick aufwallenden Brennens rasch in ihn einzudringen begann. Er war nach dem Absprung schnell wieder emporgetaucht, entdeckte mit großem Vorsprung vor sich den Schwimmer Tito wieder, fühlte sich von dem Eisigen, Wilden, Feindseligen bitter bedrängt und glaubte noch um die Verringerung des Abstandes, um das Ziel des Wettschwimmens, um die Achtung und Kameradschaft, um die Seele des Knaben zu kämpfen, als er schon mit dem Tode kämpfte, der ihn gestellt und zum Ringen umarmt hatte. Mit allen Kräften kämpfend hielt er ihm stand, solange das Herz noch schlug.

Der junge Schwimmer hatte des öftern zurückgeblickt und mit Genugtuung wahrgenommen, daß der Magister ihm ins Wasser gefolgt sei. Nun spähte er wieder, sah den andern nicht mehr, wurde unruhig, spähte und rief, kehrte um und beeilte sich, um ihm beizustehen. Er fand ihn nicht mehr und suchte schwimmend und tauchend so lange nach dem Versunkenen, bis in der bittern Kälte auch ihm die Kräfte schwanden. Taumelnd und atemlos kam er endlich an Land, sah den Bademantel am Ufer liegen, hob ihn auf und begann sich damit mechanisch Leib und Glieder abzureiben, bis die erstarrte Haut sich wieder erwärmte. In der Sonne setzte er sich nieder wie betäubt, starrte ins Wasser, dessen kühles Blaugrün ihn jetzt wunderlich leer, fremd und böse anblidckte, und fühlte sich von Ratlosigkeit und tiefer Traurigkeit ergriffen, als mit dem Schwinden der körperlichen Schwäche das Bewußtsein und der Schreck über das Geschehene wiederkehrte.

O weh, dachte er entsetzt, nun bin ich an seinem Tode schuldig! Und erst jetzt, wo kein Stolz zu wahren und kein Widerstand mehr zu leisten war, spürte er im Weh seines erschrockenen Herzens, wie lieb er diesen Mann schon gehabt hatte. Und indem er sich, trotz allen Einwänden, an des Meisters Tode mitschuldig fühlte, überkam ihn mit heiligem Schauer die Ahnung, daß diese Schuld ihn selbst und sein Leben umgestalten und viel Größeres von ihm fordern werde, als er bisher je von sich verlangt hatte.

Josef Knechts Hinterlassene Schriften

Die Gedichte des SchüLers und Studenten

Klage
Uns ist kein Sein vergönnt. Wir sind nur Strom, Wir fließen willig allen Formen ein: Dem Tag, der Nacht, der Höhle und dem Dom, Wir gehn hindurch, uns treibt der Durst nach Sein.
So füllen Form um Form wir ohne Rast, Und keine wird zur Heimat uns, zum Glück, zur Not, Stets sind wir unterwegs, stets sind wir Gast, Uns ruft nicht Feld noch Pflug, uns wächst kein Brot.
Wir wissen nicht, wie Gott es mit uns meint, Er spielt mit uns, dem Ton in seiner Hand, Der stumm und bildsam ist, nicht lacht noch weint, Der wohl geknetet wird, doch nie gebrannt.
Einmal zu Stein erstarren! Einmal dauern! Danach ist unsre Sehnsucht ewig rege, Und bleibt doch ewig nur ein banges Schauern, Und wird doch nie zur Rast auf unsrem Wege.
Entgegenkommen
Die ewig Unentwegten und Naiven Ertragen freilich unsre Zweifel nicht. Flach sei die Welt, erklären sie uns schlicht, Und Faselei die Sage von den Tiefen.
Denn sollt es wirklich andre Dimensionen Als die zwei guten, altvertrauten geben, Wie könnte da ein Mensch noch sicher wohnen, Wie könnte da ein Mensch noch sorglos leben?
Um also einen Frieden zu erreichen, So laßt uns eine Dimension denn streichen!
Denn sind die Unentwegten wirklich ehrlich, Und ist das Tiefensehen so gefährlich, Dann ist die dritte Dimension entbehrlich. Doch heimlich dürsten wir …
Anmutig, geistig, arabeskenzart Scheint unser Leben sich wie das von Feen In sanften Tänzen um das Nichts zu drehen, Dem wir geopfert Sein und Gegenwart.
Schönheit der Träume, holde Spielerei, So hingehaucht, so reinlich abgestimmt, Tief unter deiner heitern Fläche glimmt Sehnsucht nach Nacht, nach Blut, nach Barbarei.
Im Leeren dreht sich, ohne Zwang und Not, Frei unser Leben, stets zum Spiel bereit, Doch heimlich dürsten wir nach Wirklichkeit, Nach Zeugung und Geburt, nach Leid und Tod.
Buchstaben
Gelegentlich ergreifen wir die Feder Und schreiben Zeichen auf ein weißes Blatt, Die sagen dies und das, es kennt sie jeder, Es ist ein Spiel, das seine Regeln hat.
Doch wenn ein Wilder oder Mondmann käme Und solches Blatt, solch furchig Runenfeld Neugierig forschend vor die Augen nähme, Ihm starrte draus ein fremdes Bild der Welt, Ein fremder Zauberbildersaal entgegen. Er sähe A und B als Mensch und Tier, Als Augen, Zungen, Glieder sich bewegen, Bedächtig dort, gehetzt von Trieben hier, Er läse wie im Schnee den Krähentritt, Er liefe, ruhte, litte, flöge mit Und sähe aller Schöpfung Möglichkeiten Durch die erstarrten schwarzen Zeichen spuken, Durch die gestabten Ornamente gleiten, Sah Liebe glühen, sähe Schmerzen zucken. Er würde staunen, lachen, weinen, zittern, Da hinter dieser Schrift gestabten Gittern Die ganze Welt in ihrem blinden Drang Verkleinert ihm erschiene, in die Zeichen Verzwergt, verzaubert, die in steifem Gang Gefangen gehn und so einander gleichen, Daß Lebensdrang und Tod, Wollust und Leiden Zu Brüdern werden, kaum zu unterscheiden …
Und endlich würde dieser Wilde schreien Vor unerträglicher Angst, und Feuer schüren Und unter Stirnaufschlag und Litaneien Das weiße Runenblatt den Flammen weihen. Dann würde er vielleicht einschlummernd spüren, Wie diese Un-Welt, dieser Zaubertand, Dies Unerträgliche zurück ins Niegewesen Gesogen würde und ins Nirgendland, Und würde seufzen, lächeln und genesen. Beim Lesen in einem alten Philosophen
Was gestern noch voll Reiz und Adel war, Jahrhundertfrucht erlesener Gedanken, Plötzlich erblaßt's, wird welk und Sinnes bar Wie eine Notenschrift, aus deren Ranken