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In der Ferne hörte man eine Explosion, und auf dem Deck des Kutters sah man eine Rauchwolke, dann stieg fünf Yards vor Steuerbord des Schoners eine Wasserfontäne auf.

Irgendjemand prustete schadenfroh los.

Lasseur schnaubte verächtlich und rief seinem Ersten Offizier zu: »Bei Hub schießen!«

Hawkwood erinnerte sich, dass er mal gehört hatte, dass englische Kanoniere gewöhnlich schossen, wenn der Bug sich senkte, so dass bei einer Verzögerung die Kugel am Wasser abprallen und den Bug des Feindes treffen würde. Französische Geschützmannschaften jedoch zielten in erster Linie auf die Takelage. Was zur Folge hatte, dass die Franzosen meist größere Verluste bei der Besatzung erlitten. Hawkwood wusste, dass Lasseur den Kutter auf keinen Fall versenken wollte, besonders in Anbetracht seiner Ladung, also hielt er sich an die Tradition, indem er auf die Takelage schoss. Hawkwood versuchte, nicht darüber nachzudenken, was danach passieren würde.

Als die Scorpion mit der Steuerbordseite an dem schmalen Heck des Kutters vorbeiflog, senkte Delon den Arm.

Der Kanonier riss an der Schnur und Hawkwood war überrascht von der Explosion. Sie war schärfer und lauter, als er erwartet hatte, eher ein ohrenbetäubender Knall als ein Dröhnen. Der Lärm fühlte sich an wie ein Spieß, der sich in seinen Kopf bohrte, und er sah, wie auch Jago neben ihm zusammenzuckte.

Hawkwood wartete auf den Einschlag, doch er sah nichts. Verdammt, nicht getroffen!, dachte er enttäuscht, und dann sah er, wie die Spitze des Großmasts sich in einem Gewirr von Tauwerk auf die Seite legte.

Die Geschützmannschaft stieß einen lauten Freudenschrei aus und war bereits dabei, das Kanonenrohr für den nächsten Schuss vorzubereiten. Die restliche Mannschaft stimmte in den Jubel ein, als der Mast in einem Durcheinander von Tauen und Spieren umstürzte.

Lasseurs Munition bestand aus jeweils zwei kleinkalibrigen Kanonenkugeln, die durch eine Kette verbunden waren. Wieder schrie er: »Feu!«

Erneut eine Detonation. Diesmal sah Hawkwood den Treffer, der die Gaffel hinwegriss, das Segel beschädigte und den Rest des Masts beseitigte. Ohne Taljen und mit dem Großsegel in Fetzen hatte die Takelage des Kutters ihre Wirksamkeit eingebüßt. Der Mann im Heck kämpfte mit der Ruderpinne, aber das Schiff begann sich hilflos zu wälzen.

Doch ihre Besatzung kämpfte auch.

Ein doppelter Schuss hallte über das Wasser. Hawkwood sah, wie sich die Qualmwolken auf dem Deck verflüchtigten, eine davon kam von der Drehbasse. Instinktiv duckte er sich, als ein Teil der Steuerbordreling des Schoners zertrümmert wurde, hörte ein Pfeifen, als die Kugel an seinem Ohr vorbeiflog, und duckte sich wieder, als Splitter durch die Luft flogen. Er hörte Schreie. Hawkwood sah, wie ein Mann sich zusammenkrümmte, die Hand am Hals, aus dem man Blut zwischen den Fingern herausquellen sah.

Ein trotziges Gebrüll erhob sich unter der Mannschaft der Scorpion.

»Au tribord!«, schrie Lasseur dem Steuermann zu.

Der Steuermann drehte das Ruder und die Scorpion reagierte sofort. Ihr Bug senkte sich. Das Wasser an ihrer Seite kochte und schäumte über ihr stark geneigtes Deck, als sie sich dem Rumpf des Kutters näherte. Ihr Heck hob sich und sie drehte nach Steuerbord. Ein weiterer Kanonenschuss, und Hawkwood sah, wie einer der Männer auf dem Kutter in einem Chaos aus Blut und Rauch und Splittern und taumelnden Gefährten zerrissen wurde. Und die Scorpion lag jetzt in voller Breite mit Backbord neben der Steuerbordseite des Kutters. Die Schiffe waren keine zwei Kanonenlängen voneinander entfernt, als der erste Enterhaken über das Schanzkleid des Kutters geworfen wurde. Es folgte ein wahrer Hagel von Metallklauen. Während ihre Kameraden für Feuerschutz sorgten, holten die Männer die Seile ein. Hawkwood fühlte Jagos starke Hand auf der Schulter, hielt sein Tau mit aller Kraft fest und stemmte die Beine auf den Boden, um den Aufprall abzufangen. Es war nicht sehr anders als der Angriff auf eine Bresche in einer Mauer, dachte er, während der Abstand zwischen den beiden Schiffen sich immer weiter verringerte. Das Prinzip war dasselbe: Immer versuchte jemand, einen umzubringen. Also: Augen auf, Verstand gebrauchen, möglichst nicht hinfallen.

»Es ist möglich, dass sie genau so viel Mann sind wie wir«, hatte Lasseur gesagt. »Aber meine Leute haben das schon ein paarmal gemacht. Achtet auf eure Flanken.«

Pulverblitze beleuchteten die Gesichter an der Reling des Kutters. Der Seemann links von Hawkwood stöhnte laut auf und stürzte nach hinten, auf seiner Brust breitete sich ein Blutfleck aus.

Krachend und unter Ächzen des Holzes stießen die Schiffe aneinander. Sofort sprangen die Männer der Scorpion mit Gebrüll auf das Schanzkleid und warfen sich auf das Deck des Kutters.

Sie wurden mit Kugel und Klinge empfangen.

Als Hawkwood sprang, sah er in der Lücke unter sich das graugrüne Wasser schäumen. Auf der anderen Seite kam das Deck ihm entgegen. Er landete hart, rutschte in einer dunklen Blutlache aus, zog die Pistole und schoss aus nächster Nähe auf jemanden, der mit hoch erhobener Klinge auf ihn zukam. Er sah, wie der Kopf des Angreifers in einem roten Nebel verschwand, dann sackte die Leiche in dem allgemeinen Gewühl aufs Deck. Hawkwood drehte die Pistole um und zog den Tomahawk aus dem Gürtel. Die Luft hallte wider vom Klirren der Stahlklingen und den Schüssen der Pistolen.

Er suchte Morgan, konnte aber weder ihn noch Pepper sehen. In dem Wirrwarr und dem Lärm und dem Pulverdampf, der sich über das Deck wälzte, konnte er nichts erkennen, es war ein unübersichtliches Durcheinander kämpfender Männer. Hawkwood hielt Ausschau nach jemandem, der kein Halstuch um den Arm trug. Er sah Lasseur, der mit Messer und Schwert kämpfte, seine Klinge gegen einen Mann in blauer Jacke schwingen; sein Gesicht war eine wütend verzerrte Maske. Einige von Morgans Leuten trugen noch immer die französische Uniform. Lasseur hatte seine Mannschaft darauf vorbereitet, die diesen Hinweis zu nutzen wusste. Die blauen Jacken boten gut sichtbare Ziele.

Eine riesige Gestalt - offenbar jemand von der Besatzung des Kutters, da er keine Armbinde trug - erschien an Hawkwoods rechter Seite, in den Händen ein Musketoon, mit dem man aus der Nähe schoss. Hawkwood kam es vor, als habe die Mündung der Waffe einen Durchmesser von einem Fuß. Hawkwood dachte, er sähe dem Tod ins Auge, doch dann war Jago da und hieb dem Mann mit dem Entermesser ins Handgelenk, ehe er abdrücken konnte. Hawkwood beendete das Werk mit dem Tomahawk. Er spürte, wie die Klinge in den Knochen drang, nahm die Waffe an sich und kämpfte weiter.

Die Schlacht tobte. Sie war brutal und blutig, und der Boden wurde immer glitschiger. Durch die Überreste der zerstörten Takelage war das Deck schon vorher ein Wirrwarr aus Tauen, zerfetztem Segeltuch und zerbrochenen Spieren gewesen, jetzt war das Chaos durch die Toten und Verletzten, die überall herumlagen, noch größer.

Plötzlich entdeckte Hawkwood in einer Lücke, die zwischen den Kämpfenden entstanden war, Pepper. Morgans Leutnant stand am Heck des Kutters und versuchte, mit dem Entermesser einen Tauknoten am Arm der Winde zu durchschlagen, an dem die Jolle hing. Der Steuermann lag tot zu Peppers Füßen.

Der Bastard will wieder über Bord gehen, dachte Hawkwood. Doch Pepper war nicht allein. Ein zweiter Mann versuchte, das Tau am anderen Arm der Winde durchzuschneiden. Hawkwood erkannte Morgan nicht sofort. Er trug den schwarzen Bart nicht mehr, aber sein Körperbau verriet ihn. Er sah hoch, erkannte Hawkwood und versuchte es trotz seiner Überraschung nur noch verzweifelter. Wie einige seiner Männer trug auch er noch die blaue Uniformjacke und die weiße Hose. Als Morgan den Arm hob, sah Hawkwood die diagonalen Streifen an den Manschetten der Jacke und plötzlich hörte er wieder die Stimme von Leutnant Borden und seine Beschreibung des breitschultrigen Sergeanten, der Korporal Jefford in der Eingangshalle erschossen hatte.