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Der Schlamm schmatzte an seinen Stiefeln, als er auf den Anlegesteg zuging. Aber er hatte kaum ein paar Schritte zurückgelegt, als die Beschaffenheit des Schlammes sich veränderte. Er war jetzt weniger fest, und seine Stiefel sanken mit jedem Schritt tiefer ein. Es war, als watete er durch zähen Haferbrei. Er sah zum Fluss hinüber. An dieser Stelle war er etwas schmaler, daher gab es hier die Fähre. Aber es war Ebbe, und zwischen dem Anlegesteg und dem Wasser lag ein breiter Streifen Watt. Er würde das Boot eine ganze Strecke ziehen müssen, ehe er es im Wasser hätte. Aber er konnte den horizontalen Schatten des anderen Ufers erkennen, und das gab ihm Mut. Er zwang sich, weiterzugehen.

Der Lärm hinter ihm war schwächer geworden. Er hörte keine Rufe mehr, keine heulenden Hunde. Der Abend war plötzlich merkwürdig still, bis auf das schmatzende Geräusch, das seine Stiefel beim mühsamen Waten durch den Schlamm machten. Verwundert sah Sark sich um, und das Blut erstarrte in seinen Adern.

Sie standen am Ufer und beobachteten ihn; eine Reihe von Männern, auf ihren grimmigen Gesichtern die Schatten vom Schein ihrer Fackeln. Angeleint, zu ihren Füßen, die Hunde, die keinen Laut von sich gaben.

Es waren riesige Mastiffs, mit breiten Köpfen und muskulösen Körpern, jeder so groß wie ein kleines Kalb. Sie standen reglos, wie Standbilder, und beobachteten die einsame Gestalt dort unten mit gespannter Aufmerksamkeit. Nur gelegentlich hoben sie die Köpfe hoch zu den Männern, auf deren Befehl sie warteten.

Es war geschehen. Sark wusste, dass es keine Möglichkeit zur Flucht mehr gab.

Aber er versuchte es trotzdem.

Sark schätzte, dass es noch etwa fünfzig Schritte bis zum Boot waren. Seine Beine waren schwer wie Blei, und hinter seinen Rippen schmerzte es, als wolle ihm das Herz aus der Brust springen. Entschlossen versuchte er, schneller zu laufen, aber wenn sein Geist auch willig war, sein Körper signalisierte ihm, dass er keine Kraftreserven mehr hatte.

Sark hörte den Befehl nicht, mit dem die Hunde von den Leinen gelassen wurden, aber ein sechster Sinn sagte ihm, dass es so war. Er drehte sich um. Aus der Nähe hätte man gesehen, wie ein Ausdruck müder Resignation sich über sein Gesicht stahl.

Die Hundeführer waren den Hunden nicht hinunter aufs Watt gefolgt, sondern blieben auf festerem Boden und liefen am Flussufer entlang, während die Flammen ihrer Fackeln Kometenschweife hinter ihnen herzogen. Keiner sprach.

Zum zweiten Mal an diesem Abend sank Sark auf die Knie. Die Hunde schienen es nicht besonders eilig zu haben und trabten auf ihn zu. Sie bewegten sich mühelos, weil ihr Gewicht auf alle vier Beine verteilt war statt auf zwei, was sie weniger leicht in den Schlick einsinken ließ. Es schien, als wüssten sie, dass sie alle Zeit der Welt hatten.

Jeden Gedanken an Flucht unterdrückend, hielt Sark seine Pistole fest in der Hand und beobachtete die Hunde, die auf ihn zukamen.

Er blickte zur Seite. Er sah, dass die Männer ihm jetzt direkt gegenüberstanden, die Fackeln hoch erhoben. Sie waren so nahe, dass er im Feuerschein ihre Gesichter sehen konnte. Vier von ihnen sahen aus wie aus Stein gemeißelt, die anderen beiden grinsten.

Sark keuchte. Er sah den Hunden entgegen und hob die Waffe. Er zielte auf den Leithund und folgte ihm mit dem Pistolenlauf.

Er hörte, wie einer der Männer am Ufer fluchte und merkte, dass sie ebenfalls alle ihre Waffen gezogen hatten.

Sark hörte die Pfoten der Hunde über den Schlamm platschen. Sie liefen jetzt schneller und waren bereits so nahe, dass er ihre angriffslustig blitzenden Augen sehen konnte.

Der Leithund war weniger als zwölf Schritte entfernt, als Sark den Lauf der Pistole unter sein eigenes Kinn setzte und abdrückte.

Sarks Hinterkopf flog auseinander. Der Pulverdampf hatte kaum Zeit, sich zu verziehen, als sich auch schon das geifernde Rudel muskulöser Hundekörper mit wild schnappenden Kiefern auf seine immer noch kniende Leiche stürzte. Die Männer am Ufer rannten auf das Wirrwarr zu, und das Jaulen der Hunde stieg in den Nachthimmel auf und hallte wie ein Höllenchor über das schlammige, blutgetränkte Watt.

1

Der schwarze Schiffsbug stand vor dem bleigrauen Himmel und erhob sich vor den Männern im Großboot gleich einer der gigantischen Felsklippen, wie man sie auf den Hebriden findet.

Die Männer schwiegen, ganz mit ihren Gedanken beschäftigt und eingeschüchtert von dem bedrohlichen Anblick dieses Schiffes. Nur ab und zu wurde die Stille unterbrochen vom dumpfen Klirren der Fußfesseln, dem Knarren der Riemen und dem Plätschern der Wellen, die gegen die Seite des Bootes schwappten, das durch das kalte, graue Wasser gerudert wurde.

Jemand schluchzte, und einige der Männer bekreuzigten sich. Andere beugten den Kopf und begannen flüsternd zu beten. Sie waren fünfzehn Männer im Boot, dazu die Ruderer und die beiden Soldaten der Navy, die sie bewachten. Bis auf wenige Ausnahmen waren ihre Kleider abgerissen, ihre Gesichter blass, unrasiert und von Angst gezeichnet; Angst nicht nur vor dem hoffnungslosen Anblick, den das Schiff bot, sondern auch von dem Gestank, der von ihm ausging.

Dieser Gestank wurde von einem leichten Ostwind über den Fluss getragen, und sie hatten ihn schon wahrgenommen, ehe sie ins Großboot gestiegen waren. Zuerst hatten die Männer kaum darauf geachtet, weil sie dachten, der Geruch ginge von ihren eigenen ungewaschenen Körpern aus, aber langsam begann es ihnen zu dämmern. Seit das Boot von der Kaimauer abgestoßen hatte, waren sie wie gelähmt bei dem Gedanken an das Schicksal, das ihnen bevorstand. Wie um das wachsende Grauen ihrer Passagiere noch zu verstärken, tauschten die Wachen vielsagende Blicke aus und zogen sich ihre Halstücher über Mund und Nase.

Das Boot näherte sich dem Heck des Schiffes. Hoch oben, unter den Heckfenstern, sah man ein Namensschild, das einst in Goldprägung gestrahlt haben mochte, jetzt aber unwiederbringlich blind geworden war und das Schiff als die Rapacious auswies.

Aus der Nähe wirkte das Schiff noch furchteinflößender. Der dunkle Rumpf sah eher wie ein riesiger, rauchgeschwärzter Sarkophag aus, nichts erinnerte an das ehemals stolze Schiff der Navy. Es hatte keinen Besanmast mehr, und Großmast sowie Fockmast waren auf ein Drittel ihrer früheren Länge gekürzt worden, so dass nur noch die unteren Rahe vorhanden waren. Zwischen ihnen war von vorn nach achtern ein Gewirr aus Wäscheleinen gespannt, an denen etwas flatterte, das man auf die Entfernung für Signalflaggen hätte halten können, was sich aber bei näherem Hinsehen als eine Ansammlung zerfetzter Strümpfe, Hemden und Hosen entpuppte. Durch ihr Alter sowie vom ständigen Tragen und Waschen hatten sämtliche Kleidungsstücke ein einheitliches Grau angenommen, wobei die meisten von ihnen ohnehin überwiegend aus mehr Löchern als Stoff bestanden.

Dies waren nicht die einzigen Veränderungen, die man an dem einst so stolzen Schiff vorgenommen hatte. Das Bugspriet war entfernt worden, und wo einst das Hüttendeck war, stand jetzt lediglich ein kleiner rußgeschwärzter Ziegelbau mit schrägem Dach und einem Schornstein, aus dem Rauch aufstieg. Ein ähnliches Gebäude zierte die Back. Ihr Aussehen ließ darauf schließen, dass schon viele Jahre vergangen waren, seit die Rapacious zum letzten Mal den Kanonendonner einer Seeschlacht gehört hatte. Das bestätigte auch das Fehlen jeglicher Geschütze; an den Geschützöffnungen waren die Kanonenmündungen durch feste Eisengitter ersetzt worden.

Durch das Kürzen der Masten und die fehlenden Kanonen war das Schiff wesentlich leichter geworden, wodurch es viel höher im Wasser lag, als es für ein Schiff dieser Größe üblich war. Auf Höhe des Orlopdecks, das normalerweise unterhalb des Wasserspiegels gelegen hätte, zog sich ein Laufsteg aus Metallgittern außen am Schiffsrumpf entlang, von dem mehrere Holztreppen zu einer kleinen Plattform führten, die, ähnlich einer Kanzel, sich neben der Lücke in der Reling befand, durch die man an Bord gelangte.