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Er hörte den Befehl, die Ruder einzuziehen. Wenige Sekunden später war das Großboot am Floß vertäut und der Transfer begann.

Der Gestank aus den offenen Geschützöffnungen verschlug einem den Atem. Die Flussmündung war zu beiden Seiten von Marschland gesäumt. An warmen Tagen, wenn der Wind über das flache Land strich, war der Geruch hier schon schlimm genug, aber der bestialische Gestank, der aus dem Inneren der Rapacious drang, war weitaus schlimmer als jeder Geruch, der sich von der Marsch herüberwälzte. Es war noch schlimmer als ein Konvoi von Fäkalienkähnen.

Hawkwood schulterte seinen Ranzen. Er war einer der wenigen, die ein Gepäckstück hatten. Die meisten besaßen nur das, was sie am Leibe trugen.

Die Navysoldaten fingen an, die Gefangenen mit den Kolben ihrer Musketen vorwärtszustoßen. »Verflucht noch mal, bewegt eure Ärsche! Ich sag es nicht noch mal! Kein Wunder, dass ihr den verdammten Krieg verliert! Nutzloses Pack!«

Mit klirrenden Fußschellen kletterten die Männer aus dem Boot und auf das Floß.

»Bewegt euch!« Die Bewacher fuhren fort, die Männer mit ihren Musketen den Steg entlangzutreiben. Die Fußfesseln erschwerten jede Bewegung, aber die Wachen machten keine Zugeständnisse. »Ein bisschen dalli! Mann, ihr Kerle stinkt ja zum Himmel!«

Ein endloser Strom von Beleidigungen ergoss sich über die Männer, und während viele von denen, die den Laufsteg entlangschlurften, die groben Worte wohl kaum verstanden, ließen der Ton und die Antreiberei keinen Zweifel daran, was von ihnen erwartet wurde.

Langsam, einer nach dem anderen, stiegen die Männer mit klirrenden Fesseln nach oben auf das Schiff.

»Weitergehen, verdammt noch mal!«

Hawkwood trat von der Treppe auf die Kanzel, Lasseur dicht neben ihm. Hier, wo es eng war, hatte sich ein Stau gebildet. Beide Männer starrten hinunter in den Schiffsrumpf, und Lasseur zuckte unwillkürlich zurück. Dann beugte sich der Franzose vor und brachte seinen Mund dicht an Hawkwoods Ohr. Sein Gesicht war eine Grimasse.

»Willkommen in der Hölle«, sagte er.

2

Verdammt, ich hätte es wissen müssen, dachte Hawkwood.

Ezra Twiggs Gesicht hätte es ihm verraten müssen, und Hawkwood fragte sich, warum er es nicht gemerkt hatte. Der kleine Büroangestellte hielt den Kopf gesenkt, als Hawkwood das Vorzimmer des Obersten Richters betrat, der ihn hierher beordert hatte. Nochmalerweise hätte Twigg von seinem Schreibkram hochgesehen und eine trockene Bemerkung losgelassen über die Kratzer, die Hawkwoods Stiefelabsätze auf dem Fußboden hinterließen, aber diesmal hatte Twigg die Ankunft des Runners kaum zur Kenntnis genommen. Er hatte lediglich kurz aufgesehen und gemurmelt: »Sie werden erwartet«, und sich wieder seinen Papieren zugewandt. Es waren keine guten Vorzeichen. Hawkwood machte sich Vorwürfe, dass er nicht aufmerksamer gewesen war. Er war allerdings gewarnt worden, dass der Oberste Richter nicht allein war.

Als Hawkwood das Büro betrat, verließ James Read seinen Platz an dem hohen Fenster, wo er gestanden hatte. Es war Vormittag, und die Sonne schien herein. Hawkwood war überrascht, dass der Oberste Richter, der aus seiner Abneigung gegen kaltes Wetter kein Geheimnis machte, so ernst aussah. Normalerweise untröstlich über schlechtes Wetter, hätte er doch heute bei bester Laune sein müssen.

Der zweite Mann sah sich um. Er war untersetzt, hatte kurzes, aschblondes Haar und ein breites Gesicht, auf dem sich ein Netz roter Äderchen über die Wangen zog. Er trug die Uniform eines Navyoffiziers und hatte die charakteristische gebückte Haltung vieler Seeleute. Hawkwood wusste, es war kein angeborener Fehler, nur ein Beweis für die niedrige Deckenhöhe auf bewaffneten Segelschiffen.

Der Offizier musterte Hawkwood von oben bis unten: das narbige Gesicht, das altmodisch lange Haar, das im Nacken zusammengebunden war, die dunkle, gutsitzende Kleidung. Der Oberste Richter trat an seinen Schreibtisch. Wie immer war jede seiner Bewegungen gemessen und kontrolliert. Er setzte sich. »Officer Hawkwood, dies ist Captain Elias Ludd. An seiner Uniform sehen Sie, dass er zur Admiralität gehört.«

Hawkwood und der Captain nickten sich kurz zu.

»Genauer gesagt, zur Transportbehörde«, sagte James Read.

Hawkwood schwieg. Die Transportbehörde war ursprünglich gegründet worden, um im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg Schiffe, Truppen und Lieferungen zu befördern. Aber in den Kriegen gegen Bonaparte hatte sich das Tätigkeitsfeld der Behörde weit über den Atlantik hinaus ausgedehnt. Inzwischen waren die Aufgaben von Großbritanniens Militär und Navy ins Unermessliche angewachsen und die Versorgungsschiffe der Behörde fuhren auf allen Weltmeeren.

»Die Admiralität hat uns um Hilfe gebeten.« Read nickte in Richtung seines Besuchers. »Captain, Sie haben das Wort.«

»Danke, Sir.« Ludd sah kurz zu Boden, dann hob er den Kopf. »Bei uns ist ein Offizier verschwunden; sein Name ist Sark. Leutnant Andrew Sark.«

Es entstand eine kurze Pause.

Fragend sah Hawkwood zum Obersten Richter hinüber, dann wandte er sich wieder an den Offizier. »Ja und, wollen Sie, dass wir ihn finden? Ist das nicht Aufgabe der Navy?«

Ludd wirkte bestürzt über diese wenig hilfreiche Bemerkung. James Read sagte: »Es gibt noch andere Dinge, die hier zu berücksichtigen sind. Wie Sie wissen, reicht die Zuständigkeit der Transportbehörde wesentlich weiter als das, was man gemeinhin als ihre Aufgabe ansieht.«

Was zum Teufel sollte das heißen?, fragte sich Hawkwood.

»Der Behörde obliegt auch die Verwaltung ausländischer Kriegsgefangener«, sagte James Read. »Wie Sie sich vielleicht erinnern, übernahm sie das Ressort von der Sanitätsbehörde.«

Hawkwood überlegte, ob der Oberste Richter eine Antwort erwartete. Er entschied, dass es besser wäre, nichts zu sagen, gemäß dem Motto: Es ist besser, den Mund zu halten und für dämlich gehalten zu werden, als ihn aufzumachen und alle Zweifel zu beseitigen. Er beschloss, dass ein unverbindliches Nicken vielleicht genügen würde.

»Ich bitte um Entschuldigung, Captain«, sagte Read. »Bitte fahren Sie fort.«

Ludd räusperte sich. »Im Laufe der letzten Wochen hat die Anzahl der geflohenen Gefangenen plötzlich zugenommen. Wir beauftragten Leutnant Sark, zu untersuchen, ob es sich hierbei um einen Zufall handelte oder ob wir es mit einem organisierten Vorgang zu tun haben.«

»Und er hat sich nicht zurück gemeldet?«, fragte Hawkwood.

Ludd nickte, sein Gesicht war ernst.

»Wann haben Sie zuletzt von ihm gehört?«

Ludd hob das Kinn. »Das ist es ja gerade - wir haben überhaupt nichts von ihm gehört. Es sind jetzt schon sechs Tage.«

»Nicht lange«, sagte Hawkwood.

»Normalerweise würde ich Ihnen zustimmen.« Ludd kaute an seiner Unterlippe.

»Captain?« Hawkwood hatte nicht verstanden.

Ludd hörte auf zu kauen. »Er war nicht der Erste«, sagte er endlich widerstrebend.

Hawkwood merkte, wie James Read auf seinem Stuhl herumrutschte. Ludd sah höchst unglücklich aus. »Der erste Offizier, den wir schickten, Leutnant Masterson, kam ums Leben.«

»Er kam ums Leben? Wie?«

»Vermutlich ertrank er. Seine Leiche wurde vor zwei Wochen auf einer Sandbank in der Nähe von Fowley Island gefunden.«