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»Mit welcher Begründung?«, fragte Hawkwood.

»Nun, weil wir bisher nicht einen von diesen Mistkerlen gefasst haben«, erklärte Ludd.

»Können Sie das näher erklären?«

Ludd seufzte. »Nun ja, Ausbrüche sind nichts Neues. Manche passieren spontan, wenn sich plötzlich eine Möglichkeit bietet: eine unverschlossene Tür, ein unaufmerksamer Wachsoldat, der beim Bewachen eines Arbeitstrupps in die falsche Richtung schaut, solche Sachen. Da handelt meist ein Gefangener allein. Und in neun von zehn Fällen wird er schnell wieder aufgegriffen, meist weil er durchgefroren und nass ist, nichts zu essen hat und keine trockenen Klamotten findet, oder weil er nicht weiß, wo er ist und nicht wagt, jemanden zu fragen, weil er die Sprache nicht spricht. Die kommen nicht weit. Viele kommen sogar freiwillig wieder zurück - und nicht nur zum Militär. Die ergeben sich sogar gewöhnlichen Menschen auf der Straße. Aber wenn es mehr als einer ist, wenn zwei oder drei ausgebrochen sind, dann muss man davon ausgehen, dass es geplant war, dass sie Nahrungsmittel und Kleidung beiseitegeschafft haben, vielleicht haben sie sogar einen Bewacher erpresst, ihnen eine Landkarte zu verkaufen, damit sie sehen, wie weit es zur Küste ist, wo man ein Boot stehlen kann. Selbst dann schaffen es nicht viele. Es genügt ein unvorsichtiges Wort, jemand hört sie Französisch sprechen, oder Englisch mit einem Akzent, und schon ist es vorbei. Aber mit diesen Geflüchteten ist es anders.«

»Inwiefern?«

»Wie ich schon sagte, wir haben keine Spur von ihnen gefunden.«

»Und das heißt?«

»Für mich heißt es, dass es jemanden geben muss, der ihnen hilft.«

»Wer zum Beispiel?«

»Gerade das sollten Masterson und Sark ja herausfinden.«

»Und was vermuten Sie?«

»Meine Theorie? Am wahrscheinlichsten wohl Schmuggler.«

»Schmuggler?«

»Ich vermute, sie bringen die Flüchtlinge runter zur Küste. Die haben ihre Schleichwege, außerdem genügend Leute und Boote.«

»Und das, Hawkwood, wäre Ihre dritte Aufgabe«, sagte Read. »Wenn es einen organisierten Fluchtweg gibt, möchte ich, dass er unterbrochen und wenn möglich ganz zerschlagen wird.«

»Das könnte erklären, warum Ihr Mann Masterson in der Swale gefunden wurde«, sagte Hawkwood. »Vielleicht wurde er von einem Schiff geworfen.«

»Möglich«, gab Ludd zu. »Ich würde es als persönlichen Gefallen betrachten, wenn Sie nebenbei noch herausbringen würden, was mit meinen Männern passiert ist. Wenn sie ermordet wurden, dann würde ich es gern wissen.«

»Wenn Schmuggler involviert sind, wird es nicht einfach sein«, gab Hawkwood zu bedenken. »Die haben ihre eigenen Gesetze. Sobald da einer auftaucht und Fragen stellt, spitzen sie die Ohren. Höchstwahrscheinlich werden die mich schon von weitem erkennen.«

Ludd und Read sahen sich an.

»Genau so ist es«, sagte Read leise, »aber in diesem Falle werden sie in die verkehrte Richtung schauen.«

»Späte Einsicht ist etwas Wunderbares«, sagte Ludd. »Wir haben den Fehler gemacht, Masterson und Sark zum Haupteingang zu schicken. Beide waren kompetente Männer, aber sie waren eben in erster Linie Navyoffiziere und erst in zweiter Linie Landbewohner. In dieser Situation waren sie überfordert. Wir hätten sie genauso gut mit einer Blaskapelle losschicken können. Masterson hatte den Auftrag, die Schmugglerbanden zu infiltrieren. Wir hielten es für das Beste, wenn er sich als ehemaliger Seemann ausgibt, der Arbeit sucht und den es nicht weiter interessiert, ob sie legal oder illegal ist. Aber leider bilden die Schmuggler ein solidarisches, engmaschiges Netzwerk. Ich fürchte, er hat den falschen Leuten die falschen Fragen gestellt - und dass Sark den gleichen Fehler gemacht hat.

»Man kann einen Mann aus der Navy nehmen, aber man kann diesem Mann die Navy nicht aus dem System austreiben«, sagte Hawkwood.

»So sieht’s aus«, sagte Ludd düster.

»Andererseits werden Sie nicht so leicht auffallen«, sagte James Read. »Hoffentlich.«

»Sie meinen, ich werde den Hintereingang nehmen«, sagte Hawkwood.

Um Reads Mundwinkel zuckte es. »Vorausgesetzt, wir können eine geeignete Geschichte für Sie erfinden.« Der Oberste Richter unterbrach sich. »Mein erster Gedanke war, Sie könnten sich als französischer Offizier ausgeben, aber ich weiß nicht, ob das praktisch machbar wäre. Zwar haben Sie ausgezeichnete französische Sprachkenntnisse, aber könnten Sie das über einen längeren Zeitraum durchhalten? Captain Ludd und ich haben darüber gesprochen, und wir denken, dass die augenblickliche Krise in Amerika uns die perfekte Lösung bietet. Sie werden sich als amerikanischer Freiwilliger ausgeben.«

»Als Amerikaner?«

»Wie Sie von Ihrem letzten Zusammentreffen mit William Lee nur zu gut wissen, sind unsere amerikanischen Vettern im Moment nicht besonders gut auf uns zu sprechen. Schon vor der Kriegserklärung sind viele amerikanische Freiwillige zu Bonapartes Fahnen geeilt; ein Vermächtnis des amerikanisch-französischen Bündnisses während der Revolution. Darum dachten wir, dass Sie am besten unter dem Deckmantel eines amerikanischen Offiziers auftreten, der zu einer von Bonapartes Truppen gehörte und gefangen genommen wurde. Die Tatsache, dass Sie fließend Französisch sprechen, ist da von großem Vorteil.«

»Bleibt nur noch Ihre Identität. Etwas Glaubwürdiges, das näherem Hinsehen standhält, am besten etwas, das mit Ihren Fähigkeiten übereinstimmt und idealerweise mit einer Sache, von der Sie persönliche Kenntnis haben. Das einzige Problem dabei wäre die Frage, wo Sie sich in den letzten zwei Jahren aufgehalten haben. Deshalb ist es am besten, wenn wir uns etwas aussuchen, das nicht zu lange zurückliegt und wo die Fakten noch nicht so bekannt sind. Captain Ludd und ich haben Meldungen durchge sehen und meinen, dass der Sieg von Ciudad Rodrigo am besten geeignet wäre. Über diese Schlacht wird noch immer berichtet. Sind Ihnen Einzelheiten darüber bekannt?«

»Nur das, was ich in den Zeitungen darüber gelesen habe«, sagte Hawkwood.

Die Times hatte allgemeine Berichte über die Schlacht gebracht, ebenso der Chronicle und die Gazette. Ciudad Rodrigo war eine malerische spanische Stadt am Fluss Agueda. Es lag nur wenige Meilen von der Grenze und wachte über die nördliche Hauptroute zwischen Spanien und Portugal. Anfang Januar hatte Wellington die Stadt belagert. Der Angriff war heftig gewesen und es hatte viele Verwundete gegeben, aber Wellington hatte gesiegt. Man hatte viele Gefangene gemacht.

Read nickte. »Sehr gut; ein freiwilliger Hauptmann, der dem 34. Régiment d’Infanterie Légère angehörte, das wird für Ihre Zwecke am besten sein, denke ich. Das Regiment gibt’s erst seit letztem Jahr und wurde mit Männern aus anderen Einheiten gebildet, also ist es durchaus möglich, dass man auch ausländische Experten zu Hilfe genommen hat. Ich überlasse es Ihnen, sich eine passende Biografie zurechtzustricken.«

Der Oberste Richter langte über den Schreibtisch und hob eine kleine Leinentasche auf. »Hier sind einige Berichte über die Belagerung. Bedienen Sie sich. Sie enthalten Details, die nicht an die Öffentlichkeit gelangt sind, warum, das werden Sie bald merken. Unsere Soldaten mögen wohl siegreich gewesen sein, aber mit Ruhm haben sie sich nicht bekleckert. Solche Einzelheiten könnten helfen, unbequeme Fragen abzublocken. Setzen Sie sie klug ein, falls Sie unter Druck geraten sollten, Angriff ist die beste Form der Verteidigung. Und wenn Sie Ihre ehemaligen Kameraden schlechtmachen, wird das die Aufmerksamkeit von Ihrer eigenen Identität ablenken. Also, lesen Sie die Depeschen. Sie werden bald sehen, was ich meine.«

Read reichte ihm die Tasche. »Als Offizier dürfen Sie ein paar persönliche Sachen bei sich haben. Mr. Twigg wird Ihnen Geld dafür geben. Auf den Hulks ist englisches und französisches Geld in Umlauf. Ich würde Ihnen jedoch raten, mit Ihren Ausgaben zurückhaltend zu sein. Die Schatztruhen des öffentlichen Dienstes sind auch nicht unerschöpflich.