Das Auftauchen weiterer Frühaufsteher war nicht weiter überraschend. Hier gab es Viehhaltung, also musste es auch Personal geben, das sich darum kümmerte. Zwischen Scheune und Stallgebäude tauchten zwei Gestalten auf. Es war auch nicht schwer gewesen, Morgans Wachen zu entdecken, die außen an der Mauer patrouillierten. Sie hielten sich zwar in einigem Abstand, aber dicht genug, dass Hawkwood die Schlagstöcke in ihren Händen und die Pistolen im Gürtel erkennen konnte. Sie hatten ihm keine Schwierigkeiten gemacht, denn Hawkwood hatte nicht versucht, sich zu verstecken, sondern war ganz offen aufgetreten, deshalb hatten sie in ihm keine Bedrohung gesehen. Er hob die Hand, um ein Wiedererkennen anzudeuten, und setzte seinen Rundgang ungestört fort. Das mangelnde Interesse, das die Wachen ihm entgegenbrachten, ließ darauf schließen, dass sie vielleicht doch nicht ganz so gewissenhaft waren, wie ihr Arbeitgeber annahm, was wiederum bedeutete, dass der Haunt doch nicht ganz so sicher abgeriegelt war wie Morgan dachte. Möglicherweise waren die Männer nach einer durchwachten Nacht nachlässig geworden waren, und Hawkwood registrierte diese Information, die vielleicht einmal nützlich sein könnte.
Aus dem Gras, das die Schafe sehr kurz gehalten hatten, erhoben sich vor ihm die Außenmauern eines uralten Gebäudes. Die leeren Torbögen wirkten wie offene Mäuler. Um die bemoosten Steine wuchs Unkraut. Er wollte gerade vorbeigehen, als er durch einen Mauerspalt eine dunkle vierbeinige Gestalt sah. Als der Hund Hawkwood entdeckte, blieb er wie angewurzelt stehen.
Hawkwood erstarrte ebenfalls.
Es war ein riesiger Hund mit gestromtem Fell, der mindestens drei Fuß Schulterhöhe hatte. Als ein zweiter Hund, genau so groß wie der erste, um die Ecke getrabt kam, krampfte sich Hawkwoods Magen zusammen. Dieses Tier war hellbraun, Gesicht und Schnauze waren schwarz.
Der gestromte Hund knurrte. Es war einer der unheimlichsten Laute, die Hawkwood je gehört hatte. Er kam tief aus der Brust des Tieres und ließ die Luft vibrieren.
Die Hunde taten einen Schritt auf ihn zu, völlig lautlos auf dem noch feuchten Gras.
Hinter ihnen erschienen jetzt zwei weitere Gestalten. Eine war groß und hatte einen grauen Bart, die andere war kleiner, hatte einen Stiernacken und trug einen kräftigen Spazierstock aus Schlehdorn.
»Captain Hooper!«, rief Ezekiel Morgan gut gelaunt. »Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen. Sie sind früh auf. Ich hoffe, Sie fanden Ihre Unterkunft bequem?«
Hawkwood merkte erst jetzt, dass er den Atem angehalten hatte. Langsam atmete er aus. Er gab sich Mühe, die Hunde nicht anzusehen, was nicht ganz einfach war, denn erstens ließen sie ihn nicht aus den Augen, und zweitens wusste er, wie kräftig ihr Gebiss beschaffen war.
»Neues Quartier, neues Bett. Man braucht immer eine Weile, bis man sich eingewöhnt hat. Ich dachte, ich gehe ein bisschen an die frische Luft. Sie wissen ja, wie es ist.«
Er hatte nicht gelogen. Er hatte schlecht geschlafen, aus genau den Gründen, die er genannt hatte. Lasseurs Schnarchen hatte auch nicht gerade geholfen.
Morgan breitete die Arme aus und tat einen tiefen Atemzug. »Ein Morgenspaziergang? Ausgezeichnete Idee! Wer könnte es einem verdenken, an einem Morgen wie diesem? Da freut man sich doch, am Leben zu sein. Ist Captain Lasseur nicht mitgegangen?«
Hawkwood fragte sich, ob der Mann neben Morgan sich auch freute, am Leben zu sein. Schwer zu sagen. Cephus Peppers Gesicht war völlig ausdruckslos.
»Der schläft noch. Was macht das Neugeborene?«
Morgan klopfte mit dem Stock gegen seinen Stiefelschaft. »Das Fohlen? Das ist wohlauf. Die Stute ist eine gute Mutter. Den beiden geht’s gut, denke ich.«
Morgan machte keine Anstalten, die Hunde zu sich zu rufen. Hawkwood wusste, der Mann wollte zeigen, wer hier das Sagen hatte: Es war Morgans Anwesen, und man lebte nach Morgans Gesetzen.
»Schöne Tiere«, sagte Hawkwood, der es noch immer für vernünftiger hielt, stillzustehen und keine plötzliche Bewegung zu machen.
»Thor und Odin«, sagte Morgan. »Thor ist der gestromte. « Liebevoll betrachtete er die Hunde. »Die Mastiffs kamen mit den Phöniziern nach Europa, wussten Sie das?«
Die Hunde stellten die Ohren auf, als sie ihre Namen hörten. Sie sahen Morgan an, als warteten sie auf seinen Befehl. Es war das erste Mal, dass sie Hawkwood aus den Augen ließen.
»Ich kann nicht behaupten, dass ich schon mal darüber nachgedacht habe«, sagte Hawkwood.
»Sie waren schon vor Cäsar hier«, fuhr Morgan fort, der Hawkwoods zurückhaltende Antwort gar nicht beachtet hatte. »Die Römer nahmen sie mit nach Italien und richteten sie zum Kampf in der Arena ab. Sie ließen sie gegen Bären antreten. Sie haben sie auch auf dem Schlachtfeld eingesetzt. Man sagt, dass auch auf dem ersten Schiff, das in der Neuen Welt landete, ein Mastiff war. Interessant, dass es ausgerechnet die Phönizier waren, finden Sie nicht? Das waren auch Kaufleute, wie ich. Vielleicht habe ich irgendwann im Laufe der Zeit etwas von ihnen geerbt. Das wäre doch was, nicht wahr?«
Hawkwood betrachtete die Hunde. Und die Mastiffs betrachteten ihn, unerschrocken und aufmerksam, wobei ihre Zungen zwischen den gewaltigen Kiefern heraushingen.
Morgan lächelte freundlich. »Hätten Sie Lust, uns Gesellschaft zu leisten, Captain? Cephus und ich gehen oft um diese Zeit hier draußen spazieren. So bekommen die Hunde die Bewegung, die sie brauchen, und wir bringen inzwischen die Welt in Ordnung.«
Hawkwood nickte und überlegte, ob diese Einladung erfolgt war, weil Morgan nicht wollte, dass er allein hier umherwanderte.
Morgan schnippte mit den Fingern, und mit einer Handbewegung schickte er die Hunde los, die mit der Nase auf dem Boden losstürmten. Hawkwood ging neben ihm und passte seinen Schritt an. Pepper ging einige Schritte voraus.
»Man hat uns gesagt, Sie kontrollieren den gesamten Handel entlang der Küste hier«, sagte Hawkwood. Er hatte den Eindruck, als zuckte Pepper kurz zusammen.
Morgan veränderte sein Tempo nicht, sondern ging ruhig weiter. Er hielt seinen Stock waagerecht auf dem Rücken.
»So, hat man das gesagt?«
»Stimmt es?«
Morgan lächelte. »Sehen Sie sich um, Captain. Was glauben Sie denn?«
»Ich glaube, dass ich im falschen Geschäft bin.«
Noch immer lächelnd, sagte Morgan: »Ich würde sagen, Sie haben Ihre Frage selbst beantwortet. Es hängt doch alles von Angebot und Nachfrage ab. Wenn die verdammte Regierung nicht so darauf versessen wäre, uns mit Steuern zu ruinieren, glauben Sie denn, dass wir dieses Gespräch überhaupt hätten?«
»Regierungen brauchen Steuergelder, um ihre Kriege zu finanzieren«, sagte Hawkwood. »Es ist die einzige Möglichkeit, an das nötige Geld zu kommen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob man Engländer, Franzose oder Amerikaner ist; wenn man sein Land verteidigen will, muss man dafür bezahlen. Dafür wurden Steuern ja überhaupt erfunden.«
Morgan schüttelte den Kopf. »Ich habe ja grundsätzlich nichts dagegen, aber es ist der hohe Steuersatz und die Tatsache, dass sie jedes Vergnügen besteuern, niemals das Unangenehme. Verdammt noch mal, die besteuern ja sogar Spielkarten! Können Sie sich das vorstellen? Das ist ja fast so dämlich wie diese idiotische Fenstersteuer! Wenn so ein armer Kerl den ganzen Tag schwer auf dem Feld arbeitet, dann hat er sich meiner Meinung nach abends seine Pfeife, seine Runde Whist und sein Glas Brandy ehrlich verdient, ohne dass er der Regierung für dieses Privileg noch zusätzlich Geld in den Rachen schmeißen sollte. Deshalb sehe ich es so: Wenn ich das Leben dieses Mannes etwas leichter machen kann, dann ist das kein Verbrechen. Und wenn ich gleichzeitig der Regierung auch noch ein Schnippchen schlagen kann, dann ist das erst recht in Ordnung.«