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Er nahm die Kleider aus dem Schrank, zog das Nachthemd aus und fing an, sich anzuziehen. Er bückte sich und hob die Stiefel auf, wobei er ignorierte, dass ihm schon wieder der Schweiß über den Rücken lief. Leicht benommen setzte er sich auf die Bettkante und versuchte, seinen rechten Stiefel anzuziehen. Er sah, dass das Messer noch immer an seinem Platz steckte. Er sah sich flüchtig im Spiegel an und hätte das aschgraue, unrasierte Gesicht fast nicht erkannt, das ihm daraus entgegenstarrte. Er musste zugeben, er hatte schon besser ausgesehen. Er wandte sich ab und merkte, dass Lasseur ihn mit besorgtem Blick beobachtete. Da er ihm jedoch keine Hilfe anbot, wusste Hawkwood, dass der Privateer ihm etwas klarmachen wollte.

Lasseur versuchte es wieder. »Matthew, jetzt hör mir mal zu. Du kannst noch gar nicht klar denken. Morgan wird mit dem Goldraub sowieso nicht Ernst machen. Dazu ist es jetzt zu spät. Er wird es nicht wagen. Solange er uns nicht gefunden hat, kann er nicht wissen, ob du deine Leute gewarnt hast oder nicht. Wie kann er denn sicher sein, dass das Militär ihn nicht dort schon erwartet? Er wird den Überfall nur wagen, wenn er uns vorher zum Schweigen bringen kann, und auch dann nur, wenn er noch Zeit dazu hat. Es ist viel wahrscheinlicher, dass du den Überfall verhinderst, indem du hierbleibst und er nicht weiß, was Sache ist. Und so sind wir alle sicher.«

»Wir werden niemals sicher sein! Vor Morgan jedenfalls nicht. Wir haben ihn zu schwer getroffen. Er wird furchtbar wütend sein, weil er an Gesicht verloren hat.« Hawkwood griff nach seinem anderen Stiefel. »Ich muss das machen. Dieser Bastard ist doch so rotzfrech, es würde mich gar nicht wundern, wenn er es trotzdem wagte. Und in dem Falle habe ich keine Wahl. Es ist meine Pflicht, ich muss zumindest versuchen, es zu verhindern.«

Lasseur seufzte. »Dann bitte ich dich um einen Gefallen. Warte wenigstens bis Sonnenuntergang, ehe du gehst. Dann ist das Risiko geringer, dass du in der Nähe der Farm gesehen wirst.«

Hawkwood schüttelte den Kopf. »Das geht nicht. Ich werde mich vorsehen, aber ich kann nicht warten, bis es dunkel ist. Ich muss Barham erreichen, solange es noch hell ist.«

»Barham?« Lasseur runzelte die Stirn. »Was ist in Barham? Und warum musst du vor Sonnenuntergang dort sein? Ich verstehe nicht.«

»Dort ist eine Telegrafenstation der Admiralität.«

Ludd hatte Hawkwood mit dieser Einrichtung bekannt gemacht, falls er davon Gebrauch machen müsse. Die Admiralität hatte dieses System eingerichtet, um mit sämtlichen Stützpunkten an der Südküste schnell Verbindung aufnehmen zu können. Es bestand aus einer Reihe von Stationen, die auf erhöhten Punkten standen und übers ganze Land verteilt waren. Jede Station bestand aus einem großen rechteckigen Rahmen, in dem sich sechs Klappläden befanden, angeordnet in zwei Reihen zu jeweils drei. Diese Klappläden konnten ganz nach Wunsch geöffnet und geschlossen werden, wobei die verschiedenen Kombinationen jeweils einen Buchstaben des Alphabets darstellten. Ludd war mit Hawkwood auf das Dach des Admiralitätsgebäudes gestiegen und hatte ihm gezeigt, wie dieser Signalisier-Mechanismus bedient wurde. Es war eine geniale Erfindung. Ludd hatte behauptet, bei klarem Wetter und guter Sicht brauche eine Nachricht von Portsmouth nach Whitehall weniger als zehn Minuten. Bekannte Signale konnten in einem Viertel dieser Zeit bestätigt werden, was umso bemerkenswerter war, als Hawkwood und Ludd allein fünf Minuten gebraucht hatten, um auf das Dach zu gelangen.

In Kent gab es zwei Strecken dieser Telegrafenstationen. Eine lief von Sheerness nach Faversham; Hawkwood vermutete, dass die Nachricht von ihrer Flucht diesen Weg genommen hatte. Die andere Strecke war von wesentlich größerem Nutzen. Sie lief vom Dach in Whitehall über ein Dutzend weiterer Stationen, einschließlich Chatham und Faversham, bis nach Deal.

Wenn man die Lage der Farm relativ zur Küste in Betracht zog, dann war der Telegraf in Shottenden der nächste. Er war vermutlich nicht weiter als sieben oder acht Meilen entfernt, aber der Weg führte über Land. Barham, die nächste Station an dieser Strecke, befand sich hingegen an der Hauptstraße von Canterbury nach Dover. Die Entfernung war etwas über eine Meile mehr, und es war eine Route, die Morgan vielleicht bewachte, aber sie wäre wesentlich schneller. Hawkwood wusste, wenn er nach Barham käme, konnte er von dort aus die Admiralität in London und die Behörden in Deal gleichzeitig benachrichtigen.

»Dann warte bis morgen«, sagte Lasseur. »Das reicht immer noch, um ein Signal zu schicken. Du musst essen, außerdem bist du dann besser ausgeruht. Wenn du beim ersten Morgengrauen aufbrichst, ist es auch weniger wahrscheinlich, dass du Morgans Leuten begegnest, und wenn du vor ihnen fliehen müsstest, dann wärst du fitter.«

Hawkwood zog seinen linken Stiefel an und griff nach seiner Jacke, die auf dem Bett lag. Es war mühsamer als erwartet. Er verspürte eine leichte Übelkeit. Der bittere Nachgeschmack von Jess Flynns Medizin stieg wieder in seiner Kehle hoch. Nach dem losen, bequemen Nachthemd fühlte er sich beengt in seinen Kleidern. Plötzlich hatte er keinen größeren Wunsch, als seinen Kopf wieder auf das Kopfkissen zu legen.

Im Inneren wusste er, dass Lasseurs Rat vernünftig war. Sein Körper signalisierte ihm, dass er Ruhe brauchte. Er hatte wirklich lange nichts mehr gegessen. Er war einfach noch nicht in der Verfassung, sich auf ein Pferd zu setzen und neun Meilen zu reiten, und noch viel weniger, mit irgendeiner Bedrohung fertig zu werden.

Widerwillig nickte er. »Also gut, du hast gewonnen. Ich werde mich morgen früh auf den Weg machen.«

Als Pepper eintrat, saß Morgan an seinem Schreibtisch und blätterte im Kassenbuch. Es war kein guter Tag für ihn. Trotz der Turbulenzen - insbesondere der Bedrohung, die das Verschwinden des Franzosen und des Runners darstellte - musste es weitergehen. Es gab nach wie vor vieles zu erledigen: Da waren Transporte und Treffen, die abgesprochen werden mussten, zugleich musste er sich um die Leute kümmern, die dafür infrage kamen. Lieferungen mussten überwacht und die Buchhaltung erledigt werden, sowohl für die offiziellen als für die »inoffiziellen« Lieferungen. Er sah auf. Sein Blick war eiskalt. »Cephus?«

»Ezekiel«, sagte Pepper und schloss die Tür hinter sich.

Morgan sah seinen Leutnant finster an. »Was gibt’s?«

Peppers ernstes Gesicht sagte alles.

Wütend warf Morgan den Federhalter auf den Tisch. Sein Gesicht verfinsterte sich noch mehr. »Verflucht nochmal! Irgendjemand muss doch was wissen!« Er schüttelte den Kopf, wütend und verzweifelt zugleich. »Dieser Bastard von einem Runner kann doch nicht bis nach Hause gekommen sein. Es gibt auch keine Anzeichen, dass er jemanden alarmiert hat. In Deal ist es ruhig. Keine zusätzlichen Truppenbewegungen. Wenn die Admiralität oder das Militär in Bereitschaft wäre, würde es dort vor Soldaten wimmeln.«

»Dann bleibt also alles wie geplant?«, fragte Pepper. Er stand da, als erwarte er einen Befehl.

Morgan sah auf den Kamin, in dem kein Feuer brannte. Hier hatten sich die beiden Mastiffs ausgestreckt und nahmen den größten Teil des Teppichs ein. Verdammte, nutzlose Köter, dachte er, und seine Wut wurde noch größer. Die Hunde sahen nicht auf. Es war, als wussten sie, dass sie Morgans Zorn auf sich geladen hatten, und wollten jeden Blickkontakt vermeiden.

»Ich habe mich noch nicht entschieden.« Er gab sich Mühe, seine Stimme fest klingen zu lassen.

»Wir haben nicht mehr viel Zeit«, sagte Pepper.

»Verdammt, das weiß ich selber, Cephus!« Frustriert schob Morgan die Kontenbücher zur Seite. Und er hatte doch ruhig bleiben wollen. Er wusste, dass ihm die Zeit davonlief, die Entscheidung konnte nicht mehr lange aufgeschoben werden. Er fühlte, wie seine innere Spannung zunahm, wie ein Staudamm, der jeden Moment brechen konnte. Er kaute an seiner Unterlippe. »Was machen unsere Gäste?«