Völlig klar, dass dieser Mann sich über die Maßen lächerlich macht, und sein Bemühen ist aussichtslos. Aber man muss die Sache nicht so trübe sehen. Es gibt für den Bauern aus Nikolajewo zwei Nachrichten, eine gute und eine schlechte:
1. die schlechte: Unter dem Marktwert kriegt er gar nichts zu kaufen. Alles ist kalkuliert, alles einbedacht und abgeglichen. Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren.
2. die gute: Dieser Marktwert liegt weit niedriger, als der Mann in seinem hormonellen Überschwang, potenziert durch Minderwertigkeitskomplex und Zweifel am Erfolg, glauben mag.
Aus dem orangenen Boxster wird natürlich nichts – den kauft sich der gute alte Ministerialbeamte aus dem Referat für Sozialentwicklung. Aber für einen gebrauchten Audi könnte es durchaus reichen. Das Dumme ist nur: Der Mann bräuchte keinen Audi, sondern einen Traktor. Die Tragödie dieses Bauern (und aller übrigen Männer ebenso) besteht darin, dass sie unserer Schönheit nachlaufen, ohne deren Natur zu verstehen. Was über sie nicht schon alles gesagt worden ist: Eine unheimliche und furchtbare Sache sei sie, die noch dazu die Welt retten soll, und so weiter, und so fort. Begreiflicher wird sie dadurch nicht.
Wir Werfüchse haben mit den schönsten Frauen gemein, dass wir von den Gefühlen, die wir hervorrufen, leben. Wobei die Frau sich von ihrem Instinkt leiten lässt, ein Werfuchs vom Verstand, und wo die Frau sich blind, im lichtlosen Raum bewegt, schreitet ein Werfuchs im hellen Licht des Tages stolz einher. Man muss übrigens zugeben, dass manche Frauen mit ihrer Rolle gut zurechtkommen. Doch könnten sie, selbst wenn sie es wollten, ihre Berufsgeheimnisse nicht preisgeben, da sie sie selbst nicht rational erfassen. Während wir Werfüchse uns diese Geheimnisse bewusst vor Augen führen – und ich werde nun auf eines zu sprechen kommen, welches das einfachste und wichtigste zugleich ist.
Wer der Schönheit wahre Natur verstehen will, muss sich als Erstes die Frage stellen: Wo ist sie lokalisiert? Darf man annehmen, dass sie irgendwo in dieser Frau steckt, die einem so wunderschön erscheint? Darf man zum Beispiel sagen: Die Schönheit liegt in ihren Gesichtszügen? In der Figur?
Will man der Wissenschaft glauben, so bezieht das Hirn seinen Informationsfluss von den Sinnesorganen, im gegebenen Fall den Augen. Ohne die vom visuellen Kortex zugelieferten Interpretationen wären dies jedoch nur chaotische Farbmuster, die im Sehkanal zu Nervenimpulsen digitalisiert werden. Jeder Dummkopf sieht ein, dass an dieser Stelle von Schönheit noch keine Rede sein kann; durch die Augen kommt sie dem Menschen jedenfalls nicht ein. Technisch gesprochen, ist Schönheit pure Interpretation, wie sie im Bewusstsein des Patienten vonstatten geht. In the eye of the beholder, sozusagen.
Schönheit ist der Frau nicht im Wortsinne eigen. Zu einem bestimmten Zeitpunkt ihres Lebens wird die Schönheit plötzlich von ihrem Gesicht reflektiert, wie das Licht der hinter Dächern vor uns verborgenen Sonne von einer Fensterscheibe reflektiert wird. Darum wäre es auch falsch zu sagen, weibliche Schönheit sei vergänglich – es ist die Sonne, die weiterwandert, und andere Fenster werfen ihr Licht nun zurück. Doch steckt die Sonne bekanntlich nicht in den Scheiben, auf die wir schauen. Sie steckt in uns.
Was ist das für eine Sonne? Mit Verlaub, dies wäre schon Geheimnis Nummer zwei, und für heute möchte ich es bei der Enthüllung des einen belassen. Außerdem ist die Natur der Sonne vom Standpunkt der praktischen Magie vollkommen nebensächlich. Entscheidend ist, was wir mit dem Licht anfangen, und da besteht zwischen Frauen und Werfüchsen ein gewichtiger Unterschied. Den ich aber, wie schon im Fall zuvor, nur vermittels einer Analogie zu erklären weiß.
Es gibt so kleine Leuchten, die man an einem speziellen Riemen vor der Stirn trägt. Bei Radfahrern und Höhlenforschern sehr beliebt. Wohin der Kopf sich wendet, dorthin fällt das Licht, das ist praktisch. Ich radle selbst manchmal mit so einem Ding durch den Bitza-Park. Drei kleine spitze Lämpchen stecken darin, die einen bläulich weißen Lichtfleck auf den Wegbelag werfen. So gesehen, ist Schönheit ein Effekt, der sich im Bewusstsein des Betrachters einstellt, wenn das Licht der Lampe an seinem Kopf, von etwas reflektiert, wieder in seinem eigenen Auge ankommt.
In jeder Frau nun steckt ein Spiegel, der von Geburt an in einem bestimmten Winkel angebracht ist; der Winkel lässt sich nicht ändern, da kann die Schönheitsindustrie noch so viel lügen. Wir Werfüchse hingegen vermögen den Stellwinkel unseres Spiegels in einem sehr weiten Schwenkbereich zu regulieren. So können wir uns auf praktisch jeden Radfahrer einstellen. Suggestion und Koketterie gehen hierbei Hand in Hand: Der Schweif bleibt unter der Kleidung, wir helfen mit ihm nur ein bisschen nach. Aber wie jeder Werfuchs weiß – dieses bisschen macht es aus.
Extra für diese Aufzeichnungen habe ich ein Stück aus den Erinnerungen des Grafen de Chermandois übersetzt, eines bekannten Lebemannes des 18. Jahrhunderts; darin hat er I Huli für die Nachwelt ein Denkmal gesetzt. Chermandois begegnete ihr in London, wohin er sich vor den Schrecken der Revolution in Sicherheit gebracht hatte. Zwischen ihnen entspann sich eine Affäre, doch das Ende war tragisch: Der Graf starb unter sonderbaren Umständen an Herzschlag. Hier nun beschreibt der Graf den Moment, da der Werfuchs den Spiegel so dreht, dass ein Strahl vom reflektierten Licht dem Opfer direkt ins Auge fällt:
Dass sie besonders hübsch gewesen wäre, kann ich nicht sagen. Wenn ich sie nach längerer Trennung wiedersah, wunderte ich mich jedes Mal, wie es so weit hatte kommen können, dass dieses kleine magere Geschöpf mit den tückischen Äuglein alles für mich gewesen war: Liebe, Leben, Tod, Rettung meiner Seele. Doch es genügte, ihrem Blick zu begegnen, und alles änderte sich. Zuerst erschien in ihren grünen Augen etwas wie ein erschrockener Zweifeclass="underline" Werde ich geliebt? schienen sie zu fragen. Dass es eigentlich keinen Grund gab, sie zu lieben, war in diesem Moment noch offenbar, und jedes Mal überkam mich eine Welle von Mitleid, das in Zärtlichkeit überging. Diese Gefühlsanwandlungen wurden von ihr eingesogen wie Wein von einem Schwamm, und sogleich erblühte sie in einer Schönheit, die quälend war, die einen um den Verstand bringen konnte. Ein kurzer Blickwechsel, und alles war anders. Eine Minute zuvor hatte ich nicht begreifen können, wie diese im Grunde unschöne Frau mich hatte hinwegreißen können – und nun wollte mir nicht mehr in den Kopf wie ich an der magischen Kraft ihrer Züge auch nur einen Augenblick hatte zweifeln können. Und je länger ich in ihre Augen blickte, desto stärker wurde dieses Gefühl brachte mich an den Rand des Wahnsinns, des physischen Schmerzes; es war, als hätte sie einen Dolch in eine Ritze der Mauer gestoßen, hinter der ich Zuflucht gesucht hatte, und mit ein paar Bewegungen der Klinge das Mauerwerk so erschüttert, dass die Mauer einstürzte, und wieder stand ich vor ihr schutzlos und nackt wie ein Kind. Ich habe diese Metamorphose bis ins Letzte studiert, doch das Feuer; das meine Seele in Asche legte, lernte ich doch nicht zu verstehen.
O weh, so ist es: Schönheit gleicht einem Feuer, sie verbrennt, macht verrückt mit ihrer Glut, verheißt dort, wohin sie ihr Opfer treibt, Beruhigung, Abkühlung, ein neues Leben – und all dies ist pure Täuschung. Das heißt, nein, es ist wahr – nur nicht für das Opfer, sondern für jenes neue Leben, welches an die Stelle des Opfers tritt, um genauso von diesem gnadenlosen Dämon verzehrt zu werden.
Ich weiß sehr wohl, wovon ich rede. Dieser Dämon ist mir seit mehr als zwei Jahrtausenden zu Diensten, und wiewohl diese Geschäftsbeziehung schon so lange währt, fürchte ich ihn immer noch ein wenig. Der Dämon der Schönheit ist der stärkste aller Dämonen des Geistes. Er ist wie der Tod, doch er dient dem Leben. Und er wohnt nicht in mir, ich befreie ihn nur aus der Lampe an der Stirn des Betrachters, so wie Aladin den Geist aus der Wunderlampe, und wenn der Dschinn dann in seinen Kerker zurückkehrt, ziehe ich marodierend über das Schlachtfeld. Kein leichtes Los. Der Buddha des Westlichen Paradieses wird meine Taten schwerlich gutheißen. Aber was tun. Es ist der Werfüchse Schicksal.