Und nicht nur das ihre. Auch das unserer kleinen Schwester, der Menschenfrau. Doch nur ein dumpfer, gefühlskalter Chauvinist wird ihr das zum Vorwurf machen. Denn die Frau ist durchaus nicht aus einer Rippe Adams geschaffen, das hat ein Kopist in seinem Eifer durcheinander gebracht. Die Frau ist aus der Wunde gemacht, die Adam bei Entnahme der Rippe entstand. Alle Frauen wissen das, offen zugegeben haben es meines Wissens nur zwei: Die eine war Marina Zwetajewa (was auch Eva dem Baum nicht verraten hat, das Geheimste – ich sag es dir: Ich bin nur ein – von wem? – arg gemartertes, ein im Unterleib wundes Tier), die andere die Kaiserin Cixi, die es unglaublich fuchste, dem schwachen Geschlecht anzugehören. (Ihre diesbezügliche Äußerung zitiere ich hier nicht, weil sie erstens unanständig und zweitens eine idiomatische Redewendung und darum unübersetzbar ist.) Adam bekam seine Rippe zurück, und seither versucht er sie in die Wunde wieder einzusetzen – in der Hoffnung, sie könnte heilen und vernarben. Pustekuchen! Diese Wunde wächst niemals zu.
Das Bild des Grafen Chermandois von der Klinge und der Mauer trifft es sehr schön. Wir Werfüchse tun tatsächlich so etwas: ertasten des Menschen verborgenste Saiten und spielen darauf mit Vorliebe den Walkürenritt, was das ganze Persönlichkeitsgebäude zum Einsturz bringt. Heutzutage ist das übrigens halb so schlimm. Die modernen Persönlichkeitsgebäude ähneln eher Unterständen – da kann nicht viel einstürzen, und sie zu erobern kostet wenig Mühe.
Dafür ist die Beute aber auch geringfügig: Die Gefühle heutiger Augenzwinkerer sind seicht, ihre kleinen Seelenorgeln spielen den Flohwalzer und nichts sonst. Du entfesselst in diesem Menschen einen Wirbelsturm, so mächtig, dass er gerade noch hineingeht, und es bringt nichts ein als ein paar zerknitterte Hundertdollarscheine, bei denen du noch aufpassen musst, dass sie nicht bemalt, zerrissen oder – Gott behüte! – älter als Ausgabejahr 1980 sind. So sieht es aus.
Wie angekündigt, rief Alexander nach zwei Tagen an.
Ich schlief noch, als ich den Hörer abnahm, und wusste doch sofort, dass er es war.
»Hallo.«
»Ada«, sagte er, »bist dus?«
»Ada?«
So hatte ich mich noch nie genannt, dessen war ich mir sicher.
»Ich nenne dich von jetzt ab Ada«, sagte er. »Könnte doch gut die Verkleinerungsform von Adèle sein, nicht wahr?«
Ada – das klingt im Russischen nach Hölle A genauso wie nach »Ah ja«. Aufregend war das! Am meisten wunderte mich, dass ich nicht schon selbst darauf gekommen war.
»Tu das, wenn du magst«, sagte ich.
Der Übergang vom Sie zum Du geschieht besser nebenher, ohne Aufhebens, denn die zugehörigen Rituale unterscheiden sich von Kultur zu Kultur beträchtlich, und alle kann man nicht im Gedächtnis behalten. Diese Regel hatte ich für mich vor ungefähr anderthalbtausend Jahren formuliert und war immer gut damit gefahren.
»Ich möchte dich sehen«, sagte er.
»Wann?«
»Jetzt gleich.«
»Na, na …«
»Mein Auto wartet schon auf dich.«
»Wo??«
»Vor der Tribüne.«
»Wie bitte? Woher weißt du, wo ich …«
»Das war nicht schwer«, sagte er lachend. »Michalytsch fährt dich her.«
Es klopfte laut an meine Tür.
»Das ist er«, sagte Alexander im Hörer. »Ich warte auf dich, mein Röslein.«
Er legte auf. Röslein!, dachte ich, na prima. Scheint mich für ein Gartengewächs zu halten. Das Klopfen an der Tür wiederholte sich, diesmal schon penetrant. So viel Entgegenkommen grenzte an Frechheit.
»Adèle!«, ertönte die bekannte Stimme hinter der Tür. »Bist du da? Ich sehe es am Gerät, dass du da bist. He!«
Er klopfte noch mal.
»Was soll denn das Schild hier bedeuten? Betreten verboten! Lebensgefahr! … Bist du etwa …? Ist alles in Ordnung mit dir? Sag was! Sonst breche ich die Tür auf!«
Idiot, schreit hier die Leute zusammen! dachte ich. Gut, um die Tageszeit ging es noch … Aber man musste nichts unnötig riskieren. Ich trat zur Tür.
»Seien Sie leise, Wladimir Michailowitsch! Ich mach gleich auf, muss mir nur noch was anziehen.«
»Ich warte.«
Ich zog mich rasch an und ließ einen prüfenden Blick durch meine Behausung gehen – nichts Kompromittierendes schien herumzuliegen. Wie er mich bloß gefunden hatte? Beschattete er mich etwa?
»Komme schon …«
Michalytsch trat ein und zwinkerte eine Weile, um sich an das Halbdunkel zu gewöhnen. Dann äugte er umher.
»Sag bloß, hier wohnst du?«
»Na ja.«
»Im Gasverteiler?!«
»Das ist Quatsch. Steht nur draußen so dran, damit keiner auf dumme Gedanken kommt.«
»Und was ist das hier sonst?«
»Wie meinen Sie das?«
»Na, jeder Raum hat doch seine Funktion. Wozu ist er da?«
»Funktion, wenn ich das schon höre! Ich mag in keiner Funktion wohnen. Das ist ein leerer Raum unter der Tribüne, fertig. Zuerst war hier ein Lagerplatz. Dann haben sie Wände eingezogen, da kam eine kleine Trafostation rein, nur der Teil hier hat sie nicht interessiert. Natürlich musste ich ein paar Hebel in Bewegung setzen dafür…«
Ich wedelte vielsagend mit der Hand durch die Luft. Gewedelt hatte ich damals freilich nicht mit der Hand, sondern mit dem Schweif, doch wollte ich Michalytsch gewiss nicht in alle Einzelheiten meines Leidensweges einweihen.
»Hast du wenigstens Heizung?«, fragte er. »Aha, ich seh schon, elektrisch. Und wo ist die Toilette?«
»Müssen Sie mal?«
»Nein, nein, nur so aus Interesse.«
»Durch den Flur. Dort ist auch eine Dusche.«
»Und in dieser Hundehütte wohnst du?«
»Wieso Hundehütte? Im Grundriss erinnert es an die Mansarden von Anwälten oder Polittechnologen. Ein Loft, so wie es grad modern ist. Schräge Decke, da laufen die Sitzreihen drüber. Ist doch romantisch!«
»Und wie kommst du ohne Licht klar?«
»Da unter der Decke die kleine Scheibe, sehen Sie? Das ist das Fenster. Wenn die Sonne hoch genug steht, fällt ein sehr schöner Strahl herein. Ansonsten kann ich im Dunkeln ganz gut sehen.«
Er ließ noch einen Blick herumgehen.
»In den Säcken ist dein ganzer Plunder?«
»So kann man es auch nennen.«
»Das Fahrrad gehört dir?«
»Ja. Ein gutes, nebenbei gesagt. Scheibenbremsen, Carbonfasergabel …«
»Hm. Und der Computer, ist der auch aus Carbonfaser?«
»Sie werden lachen: Das ist er tatsächlich. Ein Vaio. Seltenes Modell, baut Sony nur für den japanischen Markt. Das leichteste Notebook der Welt.«
»Alles klar. Deswegen darf es auf einem Pappkarton stehen statt auf einem Tisch, ja? Ist dir das nicht peinlich, wenn Besuch kommt?«
Sein Ton begann mir auf die Nerven zu gehen.
»Wissen Sie, Wladimir Michailowitsch, wenn ich ehrlich sein soll, kann ich gar nicht sagen, was mir gleichgültiger ist: der Anblick der Dinge oder die Meinung der Leute um mich her. Das eine wie das andere gehört viel zu schnell der Vergangenheit an, als dass ich mich darüber heißmachen könnte, wie man so schön sagt.«
»Eine Pennerhütte«, zog Michalytsch seine Bilanz. »Weiß der Revierförster von dem Loch?«
»Wollen Sies ihm stecken?«
»Kommt ganz auf dein Benehmen an. Gehen wir!«