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Hier hat der Faschismus im Traum seinen Widerhall. Aber nun wird es erst richtig interessant:

Vielleicht aufgestachelt durch unseren Applaus brach einer, ich weiß nicht mehr welcher, in ein siegreiches Gekräh aus, unglaublich schrill, mit einem Röcheln und Zischen darin. Von diesem Moment an veränderten sich die Dinge.

Im Weiteren war der Text dicht mit Anmerkungen versehen. Stellen waren unterstrichen, andere in Ausrufezeichen gesetzt, manche sogar umrahmt – offenbar zur emotionalen Abstufung:

Alles begann mit dem (vielleicht übertriebenen) Verdacht, die Götter seien der Sprache nicht mächtig. Das gehetzte und verwilderte Leben von Jahrhunderten hatte das Menschliche an ihnen verkümmern lassen; der Halbmond des Islam und das Kreuz Roms waren mit diesen Flüchtlingen unbarmherzig umgegangen. Sehr niedrige Stirnen, gelbe Zahnreihen, spärliche Mulatten- oder Chinesenschnurrbärte und tierische Lefzen verrieten die Entartung der olympischen Sippe. Ihre Kleidung entsprach nicht einer mit Würde und Bescheidenheit getragenen Armut, sondern dem gemeinen Luxus der Spielhöllen und Bordelle der Unterwelt. In einem Knopfloch blutete eine Nelke; unter einer eng anliegenden Jacke erriet man den Abdruck eines Dolches. Plötzlich fühlten wir, dass sie !ihre letzte Karte spielten!, dass sie !verschlagen, unwissend und grausam waren wie alte Raubtiere!, und dass sie, !WENN WIR UNS VON FURCHT ODER MITLEID ÜBERWÄLTIGEN LIESSEN, UNS SCHLIESSLICH VERNICHTEN WÜRDEN!.

Wir zogen die schweren Revolver (plötzlich gab es im Traum Revolver), UND FRÖHLICH ERSCHOSSEN WIR DIE GÖTTER.

Darauf folgten zwei Seiten aus der Älteren Edda – den Zukunftsdeutungen der Seherin, wenn ich nicht irrte. Sie mussten einer edlen Geschenkausgabe entstammen; der Text war, wenig ökonomisch, in großer roter Schrift auf Kunstdruckpapier gesetzt:

Das Meer hebt sich

Zur Himmelswölbung

Überflutet das Land

Und die Luft schwindet.

Dann kommen Schnee

Und stürmische Winde:

Dann ist's bestimmt,

dass die Götter sterben.

Letztere Zeile war mit dem Fingernagel unterkerbt. Der Text auf der nachfolgenden Seite war von ebenso düsterer Vieldeutigkeit:

Einst kommt ein andrer

mächtiger als Er;

doch ihn zu nennen

wage ich nicht.

Wenige werden

weiter blicken,

als bis Odin

den Wolf angreift.

In diesem Ton ging es weiter. Sämtliche Blätter in dem Hefter bezogen sich mehr oder weniger auf den nordischen Mythos. Den traurigsten Eindruck machte auf mich das Schwarzweißfoto eines deutschen U-Boots mit Namen Naglfar – so hieß in der skandinavischen Mythologie Lokis Schiff, gezimmert aus den Nägeln der Toten. Für ein U-Boot im Zweiten Weltkrieg kein ganz unpassender Name. Die spitzknochigen, stoppelbärtigen Besatzungsmitglieder, die da von der Brücke herunterlächelten, wirkten sympathisch, wie eine Abordnung Grüne in heutiger Zeit.

Zum Ende der Mappe hin wurden die Anmerkungen seltener – als wäre bei dem, der hier geblättert und das Material studiert hatte, das Interesse beizeiten erlahmt, vielleicht aber auch, wie es in einem anderen Text von Borges formuliert steht, eine Art großzügiger Ungeduld dazwischengekommen, die ihn daran gehindert hatte, die Mappe bis zum Ende durchzublättern. Nichtsdestoweniger schien der Mann ein Auskenner zu sein, erst recht an den Maßstäben unserer merkantilen Zeit gemessen (Beilalter, Schwertalter, wie sie eines der abgehefteten Fragmente definierte, Windzeit, Wolfszeit, eh die Welt zerstürzt…).

Ganz zuunterst in der Mappe lag ein Blatt in einer Klarsichthülle, das aus einem linierten Schulheft gerissen war. Darauf stand so etwas wie eine Widmung:

Sascha zum Andenken.

Wandle dich!

WOLF-FLOW!

Oberst Lebedenko

Ich klappte den Hefter zu, schob ihn Monica wieder unter und setzte die Wohnungsbesichtigung fort. Dass ich neben der Hi-Fi-Anlage gleich mehrere CDs mit Einspielungen ein und derselben Oper: RICHARD WAGNER. DER RING DES NIBELUNGEN. Götterdämmerung fand, konnte mich schon nicht mehr verwundern. Das nächste interessante Objekt, das mir unter die Augen kam, war ein dickes graues Heft, das zwischen Wand und Sofa auf dem Fußboden lag – als hätte jemand vor dem Einschlafen darin geblättert und es dann einfach fallen lassen. Streng geheim! Expl. No.9, stand auf dem Umschlag, darunter: Shitman-Projekt und: Zum internen Gebrauch!

Im ersten Moment kam ich nicht darauf, den seltsamen Projektnamen mit der Geschichte des verrückten Shakespeareforschers in Zusammenhang zu bringen, von dem Pawel Iwanowitsch mir erzählt hatte. Meine Gedanken preschten zunächst in ganz anderer Richtung vor: Da sieht man sie wieder, die kulturelle Dominanz Amerikas, dachte ich mir. Superman, Batman und noch ein paar solcher Filme, schon beginnt der Verstand die Wirklichkeit von ganz allein nach ihrem Vorbild zu klischieren. Was ließe sich dem entgegenstellen?, fragte ich mich. Projekt Kleines Russisches Arschloch? Ob da wirklich jemand nächtelang für wenig Geld drüber brüten und schwitzen möchte? Dieses kleine russische Arschloch im schlecht sitzenden Anzug ist schuld am Untergang des sowjetischen Imperiums. Die menschliche Seele hat eine schöne Verpackung nötig, die russische Kultur hat sie nicht eingeplant, nennt diesen Mangel duchovnost6. Alles Unglück rührt daher …

Das Heft schlug ich gar nicht erst auf. Eine Abneigung gegen Geheimdokumente habe ich mir aus Sowjetzeiten bewahrt: Sie bringen einem nichts – außer, wenn man Pech hat, Probleme bis dorthinaus.

Stattdessen wurde meine Aufmerksamkeit von ein paar seltsamen Graphiken an der Wand angezogen: Runen, entweder mit sehr breitem Pinsel oder aber mit der bloßen Hand gemalt. Sie erinnerten an chinesische Kalligraphien in ihrer gröbsten und expressivsten Form. Zwischen zweien dieser Runen hing ein Mistelzweig – wie man aus der Unterschrift erfuhr: Zu sehen war nur ein dürrer, angespitzter Stock.

Interessant war auch die Zeichnung des Teppichs, eine Schlacht zwischen Löwen und Wölfen darstellend, wohl die Kopie eines römischen Mosaiks. Auf dem einzigen Bücherbord standen fast nur gewichtige Bildbände (The Splendour of Rome, The New Revised History of the Russian Soul, Origination of Species and Homosexuality und ein paar von schlichterer Thematik: Autos, Waffen und so weiter). Wobei mir klar war, dass die Bücher auf solchen Borden nichts über die Geschmäcker der hier Wohnenden aussagen, sie werden von Innenarchitekten ausgewählt.

Nach beendetem Rundgang trat ich vor die Glastür, die auf das Dach hinausführte. Von hier bot sich ein hübscher Ausblick. Unten die dunklen Löcher der vorrevolutionären Hinterhöfe, kosmetisch behandelt. Darüber hinausragend ein paar phallische Neubauten, die weich und fließend in die historische Umgebung einzupassen man sich Mühe gegeben hatte – die Folge war, dass sie aussahen wie in Gleitmittel getaucht. Dahinter der Kreml, der seine alten Gemächte mit Goldkugelpiercing majestätisch in die Wolken ragen ließ.